… daß Hans immer dabeisteht, wenn wir ein Paket von zu Hause kriegen!« empörte sich Hilde. »Daß wir es vor seinen Augen aufmachen müssen … eine Affenschande ist das!«
»Ja, das ist wirklich ’ne Gemeinheit«, piepste Rölchen, »und dann nehmen sie uns alles Eßbare raus!«
»Gestern habe ich ein Paket von meiner Tante bekommen, da war Schokolade drin und was nicht alles … und was meint ihr, was ich davon behalten durfte? Nicht so viel!« Hilde schnippte wütend mit den Fingern.
»Hans ißt die Sachen ja nicht selber, er will sie doch nur gleichmäßig an alle verteilen«, erklärte Anja, »und damit hat er eigentlich recht, muß ich sagen. Stellt euch vor, wie das wäre, wenn einer den ganzen Tag Äpfel und Schokolade und Bonbons knabbern würde, und wir anderen könnten zuschauen!«
»Aber er darf das gar nicht!« protestierte Hilde. »Nicht ohne unsere Zustimmung! Wer hat ihm das überhaupt erlaubt?«
»Frag ihn das mal!« Anja grinste.
Aber Hilde war in Fahrt und ließ sich nicht so schnell bremsen. »Und dann das ekelhafte Kartoffelschälen«, schimpfte sie, »jeder Vormittag ist uns dadurch verkorkst!«
»Wenn jeder jeden Tag seine Kartoffeln schälen würde, dann wäre dies alles in einer Viertelstunde erledigt«, stimmte Resi ihr zu, und ihre blassen Wangen röteten sich, »und statt dessen …«
»Pst!« mahnte Anja, »da kommt wer!«
Hertha hatte schon seit einiger Zeit beobachtet, daß Günther Furnickel von einer Gruppe der kartoffelschälenden Mädchen zur anderen gegangen war und jetzt zu ihnen kam. Die Freundinnen sahen rasch auf, um sich sogleich mit verdoppeltem Eifer über ihre Arbeit zu machen.
»Hallo!« sagte Günther, aber niemand antwortete ihm.
Etwas verlegen trat er von dem einen Fuß auf den anderen, dann gab er sich einen Ruck und sagte beiläufig:
»Wollte nur mal sehen, wie weit ihr seid!«
Anja hob den Kopf und lächelte ihn freundlich an. »Ach … du willst uns wohl helfen?«
»Nein«, antwortete Günther noch verlegener, »ich … ich wollte nur … eben schaun!«
»Macht Spaß zuzugucken, wenn andere arbeiten, nicht wahr?« fragte Anja sehr süß.
»Hans hat mich geschickt!« erwiderte Günther patzig.
»Ach ja, der liebe Hans … wenn wir den nicht hätten!« sagte Hertha angriffslustig. »Wenn Hans was sagt, dann muß es natürlich geschehen!«
»Sicher!« entgegnete Günther wütend. »Er ist ja schließlich der Lagerleiter!«
»Hast ganz recht, Günther, sei immer hübsch brav und gehorsam, sonst setzt’s am Ende Prügel vom lieben Hans!«
»Er ist der Lagerleiter, deshalb gehorche ich ihm! Du glaubst doch nicht im Ernst, ich hätte Angst vor Prügel? Ich? Pah!«
»Und wer hat ihn dazu gemacht, zum Lagerleiter, wenn ich fragen darf?«
»Halt den Mund, Hertha … ich sag’s dir im Guten!«
»Warum? Darf man nicht mal fragen? Oder weißt du etwa keine Antwort drauf?«
»Ich finde, du hast allen Grund, Hans dankbar zu sein … du und die anderen auch! Wenn Hans nicht wäre …«
»… brauchten wir am Ende nicht jeden Tag Kartoffeln zu schälen, was?« fiel Hertha ihm ins Wort.
»Die Kartoffeln müssen geschält werden … das weißt du so gut wie ich!«
»Aber warum von uns? Warum immer von uns?«
Günther hatte eine Antwort schon auf den Lippen, aber was er eigentlich sagen wollte, wird nie ein Mensch erfahren, denn er schluckte heftig und erklärte dann: »Ich habe keine Lust, mich mit euch rumzuzanken! Befehl ist Befehl!«
»Aber ich lasse mir nichts mehr befehlen!« rief Hertha zornig und sprang auf. »Von niemandem, und schon gar nicht von deinem blöden Hans!«
Günther stand mit offenem Munde und starrte sie an. Herthas Benehmen erschien ihm so ungeheuerlich, daß er einfach keine Worte dazu fand.
Hertha warf die Kartoffel, die sie noch in der Hand hielt, mit energischem Schwung in den Topf, so daß das Wasser aufspritzte. »Und dies hier war die letzte Kartoffel, die ich geschält habe … die allerletzte, verstanden! Sag das deinem Hans … und einen schönen Gruß von mir!«
Günther hatte sich wieder gefaßt. Langsam und drohend trat er auf Hertha zu. Er war bei weitem nicht so groß wie die beiden bärenstarken K’s, aber ein sehniger, kräftiger Junge. »Was hast du gesagt?« fragte er, und seine Stimme klang gefährlich.
»Hertha, das kannst du doch nicht machen!« rief Anja erschrocken.
»Das ist einfach gemein!« schrie Hilde. »Sollen wir die Kartoffeln jetzt etwa alleine schälen?«
»Braucht ihr doch gar nicht! Wer zwingt euch denn dazu? Warum laßt ihr euch denn alles von diesen Flegeln gefallen?«
»Sag das noch mal!« – Günther stand jetzt ganz dicht vor Hertha, die unwillkürlich einen Schritt zurückwich und die Fäuste zur Abwehr ballte.
»Flegel seid ihr … alle!« wiederholte sie mit zitternder Stimme, rot vor Wut.
Da hatte Günther auch schon ihr Handgelenk mit schmerzhaftem Griff umfaßt.
»Au! Laß mich los!« Hertha versuchte sich loszureißen, aber Günthers Griff war eisern.
Verzweifelt zielte Hertha nach Günthers Schienbein, aber er wich ihr geschickt aus und drehte ihr das Handgelenk auf den Rücken, so daß sie völlig hilflos war.
»Willst du nun weiter Kartoffeln schälen oder …?« Günthers Stimme war rauh vor Empörung.
»Nein! Aua! Nein, ich will nicht!«
»Was ist denn hier los?« – Wie aus dem Boden gestampft tauchten die beiden K’s auf.
»Hertha weigert sich, Kartoffeln zu schälen«, erstattete Günther Bericht.
»Du bist wohl wahnsinnig geworden, was?« brüllte Klaus.
»Lange nicht mehr dein eigenes Geschrei gehört, wie?« trompetete Karl, das andere K.
»Ich glaube, wir sollten sie zu Hans bringen«, schlug Günther vor.
»Besser, wir verprügeln sie gleich!« meinte Klaus.
»Dazu brauchen wir Hans doch nicht!« erklärte Karl.
»Mädchen verprügeln?! Nee, ohne mich!« widersprach Günther. »Los, wir bringen sie zu Hans runter!«
»Na ja, von mir aus!«
»Einfacher wär’s anders!«
»Los, Hertha, Trab! Dalli ein bißchen!« trieb Günther seine Gefangene an.
Hertha machte einen letzten energischen Versuch, sich loszureißen. »Ihr braucht mich nicht festzuhalten!« schrie sie. »Ich komme schon allein mit!«
»Lieber nicht! Besser ist besser!« Und unbarmherzig wurde Hertha voran dirigiert.
Die anderen Mädchen ließen Kartoffeln Kartoffeln sein und folgten in einiger Entfernung dem Aufzug, und auch die Jungen von den anderen Zelten liefen herbei, um zu sehen, was es gäbe. Es war ein ganzer Schwarm Jungen und Mädchen, fast das ganze Lager, das interessiert zuschaute, als Hertha endlich vor Hans stand.
Hans erhob sich langsam, als er Hertha, gezerrt und gestoßen von Günther Furnickel und den beiden K’s, auf sich zukommen sah. Er klappte sein Taschenmesser zu, steckte es in die Hosentasche und stützte sich auf den Holzstab. Er trug nichts als Turnschuhe und eine kurze Leinenhose, sein braungebrannter Oberkörper glänzte.
»Ruhe!« sagte er, als die drei Jungen durcheinander berichteten. »Die Tatsachen,