an, daß du dein Haar ewig so kurz geschnitten tragen wirst wie jetzt. Na, und da kann es doch passieren, daß ein Boy sich gleichzeitig in uns beide verliebt und nicht weiß, für welche er sich entscheiden soll.“
Jetzt mußte Silvie doch lachen. „Du spinnst wohl!“
Silvie schlug das Trockentuch aus und hing es über den Halter. „Wahrscheinlich hast du sogar wirklich recht. Dann gehe ich eben mit meiner Klasse, wenn es soweit ist…, und bis dahin habe ich ja noch mengenweise Zeit.“
„Bravo.“ Klaudia ließ das Wasser aus dem Becken. „Ich wußte ja, du würdest es richtig verstehen.“
Sie sah sich in der Küche um, ob alles in Ordnung war, und stellte fest, daß sie vergessen hatten zusammenzukehren. Beinahe hätte sie darauf verzichtet, aber dann besann sie sich eines Besseren. Sie hatte allen Grund, die Mutter bei guter Laune zu halten.
Was nun? Klaudia warf einen Blick auf das Zifferblatt ihrer Armbanduhr. Die Eltern schliefen noch. Sie hätte sich also heimlich, still und leise verziehen können. Aber das entsprach nicht ihrer Art. Besser war es, erst die Schulaufgaben zu erledigen. Danach konnte sie Bescheid sagen.
Sie holte also ihre Mappe aus der Garderobe, stieg in ihr Zimmer unter dem „Dach juchhe“ hinauf und machte sich an die Arbeit. Sie kam wie immer flink voran, denn das Lernen bereitete ihr keine Kopfschmerzen.
Erst danach stieß sie auf ein Problem. Was sollte sie anziehen? Es regnete immer noch in Strömen. Also mußte sie ein Kleidungsstück wählen, das unter ihren gelben Regenmantel paßte, und der war reichlich kurz.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich für ihr korallenrotes Wollkleid entschied. Das war zwar im Schnitt reichlich bieder, fand sie, dafür aber stand ihr die Farbe einmalig.
Sie probierte verschiedene Lidschatten aus, bis sie einen dunklen Ton wählte, der ihr ein interessantes Aussehen verlieh.
Nur zu gerne hätte sie ihre hochhackigen Lackpumps angezogen, aber auch das empfahl sich bei diesem Wetter nicht. Klaudia staunte selber über ihre Einsicht: Noch vor einem Jahr wären ihr solche Überlegungen nie gekommen, und sie wäre wahrscheinlich triefnaß bei Frau von Kaiser eingetrudelt.
Doch über einen solchen Leichtsinn war sie inzwischen weit hinaus; sie war entschlossen, ihre weißen Gummistiefel anzuziehen – aber natürlich mit langen Perlonstrümpfen.
Klaudia brauchte geraume Zeit für ihre Toilette, und als sie hinunterging, hatte Dr. May das Haus schon für seine nachmittäglichen Visiten verlassen, und seine Frau nutzte die Zeit, um für morgen vorzukochen.
„Ich gehe ein bißchen fort, Mutti!“ sagte Klaudia und steckte den Kopf in die Küche.
„Bei dem Wetter?“
„Ich zieh das Regenzeug an … tschau, bis später!“ Klaudia wollte sich schon wieder zurückziehen.
„Moment mal!“ rief ihre Mutter. „Laß dich ansehen. Du hast dich ja so fein gemacht. Was hast du vor?“
Klaudia mußte wohl oder übel Rede und Antwort stehen.
„Also weißt du, das ist so, Mutti …” Sie setzte ihr unschuldsvollstes Gesicht auf. „Ein paar aus unserer Klasse haben sich überlegt, ob wir nicht dieses Jahr schon in die Tanzstunde gehen sollen …“
„Und du bist natürlich dabei?“
Klaudia schenkte ihrer Mutter einen gekonnten Augenaufschlag. „Weil ich schon so groß bin, Mutti, nur deshalb! Sonst könnte es doch passieren, daß ich allen Jungens über den Kopf gewachsen bin, bis es soweit kommt.“
„Das kann ich mir zwar nicht vorstellen, Klaudia, denn du wirst ja nicht in den Himmel hineinwachsen … “
„Wer weiß!“ warf Klaudia düster dazwischen.
„Ich“, sagte Frau May, „und andererseits wachsen die Jungen ja auch mit.“
„Du verstehst das nicht, Mutti. Sieh mal, jetzt bin ich die größte in der Klasse, also habe ich wahnsinnig wenig Auswahl unter gleichaltrigen Jungen. Aber bei den älteren Jungen gibt es natürlich eine Menge, die größer sind als ich!“
„Ich dachte, du wolltest mit ein paar aus deiner Klasse gehen?“
„Wahrscheinlich sogar mit der ganzen Klasse, Mutti, da kann ich mich doch nicht ausschließen, das siehst du sicher ein.“
Frau May preßte sich die Hände vor die Ohren. „Klaudia, Klaudia, hör auf! Du redest ein Zeug daher, ich bin schon völlig verwirrt.“
„Tut mir leid, Mutti.“ Klaudia spielte die Zerknirschte. „Es ist einfach so, daß noch gar nichts entschieden ist und daß ich deshalb überhaupt noch nichts davon erzählt hätte, wenn du es nicht hättest wissen wollen!“
„Jetzt hört sich aber alles auf! Das ist doch schließlich mein gutes Recht! Hör mir mal gut zu: Bevor du irgend etwas unternimmst, mußt du vorher deinen Vater und mich um Erlaubnis fragen. Ganz billig wird dieser Tanzkursus ja auch nicht sein.“
„Mutti!“ rief Klaudia beschwörend. „Natürlich werde ich das … Ich hatte es ja von Anfang an vor! Ich wollte euch nur nicht wegen nichts und wieder nichts beunruhigen. Erst muß ich doch mal herausbekommen, ob diese Amelie von Kaiser uns überhaupt aufnimmt und wieviel der Spaß kosten würde. Ich bin doch nicht lebensfremd, Mutti!“
Frau May suchte nach Worten.
„Wenn du es nicht für richtig hältst, Mutti, daß ich mich zuerst erkundige … bitte! Dann warte ich bis heute abend und spreche mit Vati. Allerdings … vielleicht zerschlägt sich ja die ganze Sache, und dann könnte ich mir diese Auseinandersetzung sparen … mir und Vati. Ich glaube, er hat momentan genug am Hals.“
Frau May mußte lachen. „Du bist doch die raffinierteste Person, die mir je vorgekommen ist!“
Klaudia machte große Augen. „Findest du? Ich sage doch bloß, wie es ist!“ Sie legte den Kopf schief. „Also, ich darf, Mutti, ja?“
„Ja!“
Klaudia fiel ihrer Mutter stürmisch um den Hals.
„Bis nachher also … tschau!“
Fragen über Fragen
Klaudia hatte nicht im Telefonbuch nachsehen müssen, um die Adresse der Tanzschule Amelie von Kaiser zu finden. Sie wußte genau, wo sie sich befand, denn sie war schon öfter – auf dem Weg zum Minigolfplatz – an der ehemals hochherrschaftlichen Villa vorbeigekommen, die mit ihren Erkern und Türmchen ein Überbleibsel aus längst vergangener Zeit war; sie war sicher noch vor dem Ersten Weltkrieg, also zu Anfang dieses Jahrhunderts, erbaut worden.
Das große, blankgeputzte Messingschild mit den feingestochenen Buchstaben „Tanzschule Amelie von Kaiser“, glänzte vornehm. Klaudia wollte schon auf den Klingelknopf drücken, der in den steinernen Pfosten eingelassen war, als sie entdeckte, daß das schmiedeeiserne Gartentor nur angelehnt war.
Sie stieß es auf und ging die sauber gefegte, breite Einfahrt hinauf. Unter den Bäumen links und rechts lagen schon Haufen welker Blätter, die dunkel vor Feuchtigkeit waren.
Die schwere eichene Haustüre war verschlossen, und Klaudia klingelte.
Aus der Sprechanlage tönte eine weibliche Stimme: „Sie wünschen, bitte?“
Klaudia war nicht darauf gefaßt gewesen, so schnell Rede und Antwort stehen zu müssen, und all die schönen Sätze, die sie sich zurechtgelegt hatte, wollten ihr nicht mehr einfallen. „Wegen der Tanzstunde“, stotterte sie, „ich komme wegen der Tanzstunde.“
„Moment.“
Ein Summton wurde laut, Klaudia drückte die Türe auf und stand in einer Art Vorhalle, deren Wände und Boden mit weißem Marmor ausgekleidet waren. In der Mitte dieses hohen Raumes führte eine gerade, mit einem roten Läufer belegte Treppe nach oben, wo sich jetzt eine schmale, weiße Türe öffnete, aus der