Marie Louise Fischer

Klaudias erste Tanzstunde


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      Klaudia grüßte.

      „Legen Sie doch bitte ab“, sagte die junge Frau und wies auf einen vielarmigen knallroten Kleiderständer.

      Klaudia sah sich im Zimmer um, in dem es nur einen einfachen Schreibtisch gab, zwei Aktenschränke, einen Besuchersessel und an den Wänden gerahmte Diplome von gewonnenen Tanzturnieren. „Eigentlich“, sagte sie, „wollte ich Frau von Kaiser persönlich sprechen.“

      Die junge Frau lächelte. „Die bin ich.“

      Klaudia riß die Augen auf. „Sie habe ich mir aber viel älter vorgestellt!“

      „Warum denn? Zum Tanzen braucht man junge Beine. Aber wahrscheinlich denken Sie an meine Mutter. Sie hat sich längst ins Privatleben zurückgezogen. Doch ich führe die Tanzschule, die seit über vierzig Jahren existiert, weiter. Aber vielleicht können wir uns jetzt über Sie unterhalten, Fräulein …” Frau von Kaiser machte eine Pause, um Klaudia Gelegenheit zu geben, ihren Namen einzuwerfen.

      „May… Klaudia May! Aber Sie brauchen mich nicht zu siezen, denn ich werde im November erst vierzehn.“

      „Das spielt keine Rolle. Wir siezen prinzipiell alle unsere Schülerinnen und Schüler … Ich nehme doch an, Sie wollen sich zur Tanzstunde anmelden, Fräulein May?“

      Klaudia empfand es als ausgesprochen schmeichelhaft, wie eine Erwachsene behandelt zu werden, und sie gab sich alle Mühe, im gleichen Ton zu antworten. „Ganz so einfach liegen die Dinge nicht. Ich möchte nämlich nicht allein einen Kurs besuchen, Frau von Kaiser, sondern möglichst zusammen mit meiner ganzen Klasse.“

      „Das ist das Übliche“, sagte die Tanzschulleiterin leicht gelangweilt’.

      „Ja, ich weiß. Aber wir sind erst in der achten Klasse, und sonst geht man doch meist erst in der neunten öder zehnten.“

      „Das sollte nichts ausmachen.“

      „Na, wunderbar! Sie würden uns also nehmen?“ Klaudia strahlte. „Dann fragt sich bloß noch, wieviel es kostet.“

      Frau von Kaiser wurde rot, es war ihr offensichtlich peinlich, über Geld zu reden.

      Klaudia verstand das nicht.

      „Das muß ich schließlich wissen“, sagte sie, „oder gehört sich das nicht?“

      „Doch“, sagte Frau von Kaiser, „aber gewöhnlich bespreche ich so etwas mit den Eltern.“

      „Also wieviel?“

      „Hundertzwanzig Mark.“

      „Huii!“ Klaudia pfiff durch die Zähne. „Das ist aber ganz schön saftig.“

      Die Haltung von Frau von Kaiser versteifte sich. „Es sind zwanzig Stunden … dazu noch der Mittel- und der Schlußball.“

      „Hm, das verstehe ich schon. Sie müssen ja auch die Räume in Ordnung halten und das alles. Bloß für uns ist es ein bißchen viel. Könnten wir nicht einen Rabatt kriegen? Wir sind über dreißig.“

      „Weil es sich um Gruppenunterricht handelt, ist es ja so billig“, erklärte Frau von Kaiser. „Einzelstunden sind sehr viel teurer.“

      Klaudia erhob sich. „Na, dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als den anderen die Hiobsbotschaft mitzuteilen.“

      „Das Honorar braucht nicht auf einmal gezahlt zu werden. Üblich ist eine Anzahlung von achtzig Mark und dann Monatsraten von zwanzig Mark.“

      „Immerhin ein Trost.“ Klaudia griff zu ihrem Mantel. „Jedenfalls schönen Dank für die Auskunft.“

      Frau von Kaiser wurde wieder etwas wärmer. „Es würde mich freuen, wenn es klappen sollte. Ihr seid doch eine Mädchenklasse, ja?“

      „Nein. Gemischt.“

      „Also auch Jungen! Wie ist das Verhältnis?“

      Klaudia stülpte sich ihren Südwester auf den Kopf. „Danke, gut.“

      Frau von Kaiser lachte. „Ich meine nicht, wie ihr miteinander auskommt, sondern das Zahlen Verhältnis.“

      Jetzt war es an Klaudia, leicht zu erröten. „So was Dummes“, sagte sie, „jetzt verstehe ich: Sie wollen wissen, wieviel Jungen und wieviel Mädchen?“

      „Ja.“

      „Mal nachdenken. Also, auf alle Fälle haben wir mehr Jungen als Mädchen, da bin ich ganz sicher.“

      „Schade.“

      Klaudia hatte ihren Schirm nehmen wollen, jetzt wandte sie sich wieder Frau von Kaiser zu. „Wieso?“

      „Es wird schwer sein, für die überzähligen Jungen geeignete Tänzerinnen zu bekommen. Ich habe zwar eine Liste ehemaliger Schülerinnen, die in ähnlichen Fällen einspringen. Aber diese jungen Damen sind natürlich älter als Ihre Klassenkameraden, und man kann weder ihnen zumuten, mit diesen noch sehr jungen Herren zu tanzen wie auch umgekehrt.“

      Klaudia runzelte die Stirn. „Auf gut deutsch: Sie wollen uns nicht haben?“

      „O doch. Ganz gewiß. Nur müßte für dieses Problem eine Regelung gefunden werden, die ich Ihnen überlassen möchte. Sicher wird es Ihnen gelingen, Tänzerinnen für die überzähligen Herren aufzutreiben.“

      „Na schön.“ Klaudia packte jetzt endgültig ihren Schirm. „Ich werde es versuchen. Auf Wiedersehen.“

      Aber sie hatte keine Hoffnung mehr, daß es klappen würde. Sie kannte zwar ein paar Mädchen, die nicht in ihre Klasse gingen, aber die würden doch selber lieber mit ihrem eigenen Kreis die Tanzschule besuchen, was man ihnen nicht verdenken konnte, denn so attraktiv waren die Jungen der achten Klasse nun auch wieder nicht.

      Und das teure Honorar! Wenn man die hundertzwanzig Mark auf zwanzig Stunden umrechnete und je zehn Mark für die beiden Bälle ansetzte, dann kostete jede Stunde fünf Mark. Dazu kamen, das wußte Klaudia, die sonntäglichen Tanztees, bei denen Frau von Kaiser auch nur am Tee und am Gebäck verdiente, wenn daran überhaupt etwas zu verdienen war. Nein, die Forderung war bestimmt nicht unverschämt.

      Aber man mußte das Geld erst einmal haben. Klaudia selber war ziemlich sicher, daß sie es den Eltern abbetteln würde, wenn sie es sich als Geburtstags- und Weihnachtsgeschenk erbat. Aber ob alle anderen in der Klasse auch so großzügige Eltern hatten?

      Klaudia war ehrlich genug, zuzugeben, daß es mit den hundertzwanzig Mark alleine ja nicht getan war. Selbst wenn man auf eine Extra-Tanzstunden-Garderobe verzichtete, mußte doch ein neues Kleid für den Mittelball und eins für den. Schlußball her.

      Lohnte sich das denn überhaupt? Noch dazu, wo heutzutage sowieso jeder Mensch nach der modernen Musik herumhopsen konnte, ohne sich groß auf irgendwelche komplizierten Schritte zu verstehen. Wer tanzte denn noch Tango und Foxtrott und langsamen Walzer und all das Zeug?

      Das beste wäre, die ganze Sache abzublasen, dachte Klaudia. Ein Glück, daß sie noch nicht mit ihrem Vater darüber gesprochen hatte.

      Trotzdem mußte sie aber den anderen noch Bescheid sagen.

      Klaudia überlegte, ob sie von zu Hause aus anrufen sollte. Aber das wäre ihr irgendwie feige vorgekommen, und dann war die Sachlage ja auch am Telefon nicht so leicht zu erklären.

      Also entschloß sie sich, quer durch die Stadt zu Heide Lommer zu marschieren. Von dort aus konnte man Axel, der in der gleichen Straße wohnte, rasch hinzuziehen, und auch Jochen würde in wenigen Minuten da sein. Somit wäre der innere Kreis, wie Klaudia ihn in Gedanken nannte, schon beisammen.

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