Marie Louise Fischer

Es tut sich was im Landschulheim


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war immer wieder verblüffend, wie schnell sich Neuigkeiten auf Rabenstein herumsprachen. „Kümmere dich um deinen eigenen Mist.“ Leona bückte sich, um ihre Koffer aufzuheben, die seitlich der Treppe abgestellt waren.

      Die Jungen rissen sie ihr aus den Händen.

      „Laß uns helfen! In Andys Zimmer ist das zweite Bett frei!“ Sie schüttelten sich vor Lachen.

      Leona blieb todernst. „Ha, ha, ha!“

      Klaus Voss und ein kleinerer Junge namens Teddy Hinkel hatten sich je einen ihrer Koffer auf die Schultern gestemmt und machten Anstalten, sie auf den Burghof hinauszutragen. „Wir bringen dein Zeug schon mal rüber“, erklärte Klaus, und seine Anhänger jubelten.

      „Laß den Blödsinn! Das ist alles andere als witzig!“

      Aber die Jungen schienen es darauf abgesehen zu haben, Leonas Koffer zu verschleppen.

      Leona dachte nicht daran ihnen nachzulaufen und sich in eine Rauferei einzulassen, denn sie wußte, daß sie es gerade darauf abgesehen hatten. In scheinbarer Gelassenheit blieb sie am Fuß der Treppe stehen und sagte: „Ihr bringt sie mir auch wieder zurück!“

      In diesem Augenblick kam Kurt Büsing aus dem Speisesaal.

      „Kurt!“ rief Leona. „Kurt, schau nur! Klaus und die anderen Flegel wollen meine Koffer verschleppen!“

      Kurt ließ sich nicht zweimal bitten; er packte Klaus beim Schlafittchen. „Du Esel, laß den Quatsch!“

      Klaus gab sofort nach. Erstens war Kurt Büsing zwei Jahre älter als er und entsprechend stärker, zweitens wußte er selber nicht mehr recht, wie der Spaß weitergehen sollte, da Leona anders als erhofft reagiert hatte.

      „Man wird doch wohl noch einen Witz machen dürfen“, brummte er kleinlaut.

      „Deine Witze haben reichlich Schimmel angesetzt! Zurück, marsch, marsch! Ihr bringt die Koffer bis zur Treppe … genau dorthin, wo ihr sie hergeholt habt!“

      Klaus und Teddy gehorchten und, um ihre Niederlage vor den anderen zu bemänteln, grinsten sie dabei, wenn auch etwas verlegen.

      „Schluck deinen Ärger, Leona“, sagte Klaus frech, „er steht dir nicht.“

      „Bilde dir bloß keine Schwachheiten ein“, gab Leona zurück. „Da müssen schon andere kommen als ihr, wenn ich mich ärgern soll.“

      Sie wartete, bis Klaus und Teddy die Koffer vor ihren Füßen abgestellt hatten. Mit Genugtuung beobachtete sie, wie Kurt den beiden Frechlingen noch einen tüchtigen Knuff verpaßte. Daraufhin hatten sie es eilig fortzukommen. Wenigstens für eine kleine Weile würde ihnen die Lust an albernen Streichen wohl vergangen sein.

      „Ich danke dir, Kuddel“, sagte Leona.

      „Nicht mehr böse?“

      „Deine Anspielung vorhin meinen Eltern gegenüber war zwar nicht gerade geschmackvoll … aber was kann man schon von einem Ochsen verlangen außer Rindfleisch.“

      „Du hast vielleicht ’ne liebenswürdige Art!“

      „Hast du etwa auf ein Kompliment gewartet?“

      „Nicht gerade.“

      „Dann sei froh, daß ich überhaupt noch mit dir rede. Unter Freunden muß man ein offenes Wort einstecken können.“ Sie sah Kurt forschend an. „Wir sind doch noch Freunde?“

      „Immer.“

      Leona lächelte befreit. „Dann ist es ja gut.“

      „Können wir uns nach dem Abendessen treffen? Keine Angst, ich trete dir nicht zu nahe, unsere alte Abmachung gilt.“

      „Das will ich hoffen!“

      Vor den großen Ferien hatten sie ausgemacht, daß Kurt sie erst dann küssen würde, wenn sie selber es wollte.

      „Bestimmt gibt’s noch ’ne Menge zu erzählen.“

      „Erst muß ich mich einrichten. Ich beziehe ja ein neues Zimmer.“

      „Macht nichts. Ich warte einfach, bis du kommst. Unter der großen Eiche. Wie immer.“

      Während Leona ihre Koffer nach oben schleppte, dachte sie, wie gut es war, einen Freund zu haben, auf den man sich verlassen konnte. Kurt Büsing war sicher nicht das Ideal eines Jungen, aber was machte das schon. Sie selber, das mußte sie sich zugeben, war wahrhaftig auch nicht ohne Fehler.

      Die Tür zu Nummer siebzehn, ihrem alten Zimmer, stand offen.

      Alma, die gerade dabei war ihr Bett zu überziehen, rief ihr zu: „Na endlich, Leona! Wo hast du denn so lange gesteckt?“

      „Wir sind schon fast fertig!“ sagte Sabine.

      Leona stellte ihre Koffer für einen Augenblick auf den Boden. „Pauline hat mir ein anderes Zimmer zugewiesen. Ein Zweibettzimmer. Nummer einundzwanzig.“

      „Du kommst nicht mehr zu uns?“ fragte Sabine.

      Mit Genugtuung stellte Leona fest, daß das ehrlich enttäuscht klang. „Ich dachte, ihr würdet froh sein, mich loszuwerden.“

      Die Freundinnen sahen sich an.

      „Na ja“, sagte Alma, „so haben wir natürlich mehr Platz.“

      Sabine fügte hinzu: „Es ist auch ganz schön, wieder zu zweit zu sein.“

      „Aber wir haben uns doch auch zu dritt ganz gut vertragen!“

      „Du wirst uns fehlen, Leona!“

      Leona freute sich. „Als Blitzableiter, wie?“

      Sie lachten.

      „Ich bin ja nicht aus der Welt“, sagte Leona, „nur ein paar Türen weiter. Wir können uns alle naselang besuchen.“

      „Wie ist es mit heute abend? Wir müssen uns doch etwas von den Ferien erzählen.“

      Leona zögerte. Es ging ihr auf, daß sie lieber mit den Freundinnen zusammen gewesen wäre als mit Kurt Büsing. Mit Alma und Sabine ließ sich sehr viel besser tratschen. Aber sie konnte Kurt doch nicht gut im Park warten lassen.

      „Oder hast du etwa schon eine andere Verabredung?“ fragte Sabine hellsichtig.

      „Du gehst aber ran!“ bemerkte Alma.

      „Stimmt“, sagte Leona, „aber, wißt ihr was, die verschiebe ich einfach. Ich sage meinem Freund …“, oh, wie ging ihr diese Bezeichnung süß über die Lippen! „… beim Abendessen Bescheid. Dann machen wir uns einen gemütlichen Abend.“

      Die aparte Neue

      Leonas neues Zimmer lag nur wenige Schritte entfernt – schräg gegenüber – von dem, das sie bisher mit Sabine und Alma geteilt hatte. Der Raum war fast genauso groß, wie sie mit Befriedigung feststellte. Es gab zwei Betten, und sie belegte sofort das neben dem Fenster.

      Als sie vor einem halben Jahr in Rabenstein eingezogen war, hatte es sie gestört, daß die Möbel abgestoßen und unansehnlich waren. Inzwischen hatte sie sich damit abgefunden, ja, es gefiel ihr sogar. Diese Möbel waren reine Gebrauchsgegenstände. Kein Stuhl nahm es übel, wenn man ihn umstieß, kein Tisch litt darunter, wenn man ihm gegen das Bein trat oder in seine Platte kritzelte oder schnitzte. Diese Möbel wollten und sollten nicht schön sein. Das machte das Leben einfacher und bequemer. Natürlich hätte Leona ihr gepflegtes Zimmer zu Hause nicht missen mögen. Aber sie war froh, daß die Mutter nicht mehr, wie sie es getan hatte, als sie noch nicht wieder berufstätig war, zweimal am Tag in der Wohnung Staub wischte. Das wäre ihr jetzt, nachdem sie das zwanglose Wohnen in Rabenstein kannte, verrückt vorgekommen.

      Nachdem sie ihre Koffer und ihre Umhängetasche auf das Bett geworfen hatte, rollte sie als erstes ein Poster auf, das sie von zu Hause mitgebracht hatte. Es war von einem Farbfoto vergrößert worden und zeigte eine Segelregatta: