Ortwin Meiss

Hypnosystemische Therapie bei Depression und Burnout


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nichts mehr erreichen, denn ich habe schon alles. Das ist das Problem der Kinder reicher Leute. Was bringt es, Zeitungen auszutragen und dafür ein paar Euro zu verdienen, wenn Geld im Überfluss vorhanden ist. Wie will man damit etwas bewirken, dass man Geld verdient, wenn es schon da ist. Besser geht es denen, die trotz häuslichen Vermögens knapp gehalten werden und erfahren können, dass es etwas bringt, wenn man sich anstrengt. Mancher Sprössling aus reichem Hause engagiert sich dann auch besser in einem gesellschaftlichen Projekt, wo er wirklich etwas bewegen kann, als dass er sich auf das Geldverdienen konzentriert.

      Bei einem Fest auf dem Rasen vor der ehemaligen Villa des Verlegers Axel Springer mit Blick auf die Elbe lamentiert eine Gruppe von Unternehmern über die Unfähigkeit ihrer Söhne, die, obwohl man ihnen den Weg bahnen würde, nichts hinbekämen. Schließlich wenden sie sich an mich: »Sie sind doch Psychologe, sagen Sie doch mal, was läuft denn da schief?« Ich antworte: »Kann ich Ihnen vielleicht sagen, aber sagen Sie mir erst einmal: Was hat Ihnen in ihrem Beruf richtig Spaß gemacht?« Sie berichten, dass es der eigenständige Aufbau und die Gestaltung des Unternehmens gewesen seien. Es habe Spaß gemacht, sich Herausforderungen zu stellen und diese auch zu bewältigen. »Warum haben Sie sich nicht etwas Einfacheres gesucht und sind zum Beispiel in die Verwaltung gegangen?«, frage ich zurück. »Ach das ist doch langweilig. Wer will so etwas machen? Da kann man doch nichts gestalten«, bekomme ich zur Antwort. »Und nun möchten Sie, dass Ihre Söhne das machen. Das verwalten, was der Vater aufgebaut hat. Eigentlich kein Wunder, dass die sich indirekt wehren, indem sie es nicht hinbekommen.«

      Ererbtes Geld macht selten glücklich. Es ist ebenso ohne inneren Wert wie zu leicht erworbenes oder gewonnenes Geld. Untersuchungen haben gezeigt, dass viele Lottogewinner sich spätestens nach einem Jahr auf dem gleichen Level der Unzufriedenheit befinden wie zuvor. Wenn man sich angestrengt hat und dann einen angemessenen Lohn erhält, entsteht Zufriedenheit und das Gefühl, dass die eigenen Anstrengungen Effekte zeigen und es sich gelohnt hat.

       Unterforderung oder Bore-out

      Eine Klientin hat einen Job in einem Unternehmen, der sie beständig unterfordert. Es gibt kaum etwas zu tun, sie steht vielmehr auf Abruf für den Fall, dass man sie braucht, was selten geschieht. Sie bekommt kaum Anrufe und E-Mails. Manchmal hat sie das Gefühl, man habe sie vergessen. Mehrere Versuche, mehr Arbeit zu bekommen, sind erfolglos geblieben. Den Arbeitstag verbringt sie damit, sich selbst zu beschäftigen. Oft bleibt sie länger in den Pausen, kommt später zur Arbeit und geht früher. Während der Arbeit surft sie im Internet, erledigt private Angelegenheiten und chattet mit Bekannten und Freunden. Für diesen Job wird sie ausgesprochen gut bezahlt. Gleichwohl leidet sie unter der permanenten Unterforderung, was sie ihrem privaten Umfeld schwer vermitteln kann, da viele sie darum beneiden, dass sie so wenig zu tun hat.

      Dass Unterforderung ebenso ein Problem sein kann wie Überforderung, ist für viele Menschen im ersten Moment nicht nachvollziehbar, stöhnt man doch allgemein über Zeitdruck und zu viel Arbeit. Langeweile kann jedoch ein echter Stressor sein, wenn man gerne etwas tun möchte, aber sich daran gehindert fühlt. In einer solchen Situation entsteht kein Gefühl der Selbstwirksamkeit, man kann nicht feststellen, dass man etwas bewirkt und verändert. Die Grundlage für eine depressive Entwicklung ist damit gegeben.

      Langeweile kann ähnlich anstrengend sein wie eine Depression. So wie der depressive Patient in der Ambivalenz zwischen dem Bedürfnis, etwas zu ändern, und der Hoffnungslosigkeit, dass sich etwas ändern ließe, hin- und herschwankt und sich zwischen seinem Anspruch, etwas zu leisten und zu tun, und dem inneren Widerstand dagegen zerrieben fühlt, sucht der Gelangweilte nach etwas, was ihn interessiert und was er unternehmen kann, und kommt doch nicht voran, da er nichts findet.

       Kraftzehrende innere Konflikte

      Die meiste Kraft verschwendet man, indem man sich in innere Konflikte bringt. Man kann sich das einfach verdeutlichen: Spannen Sie den Bizeps und den Antagonisten des Bizeps gleichzeitig fest an und halten Sie diese Spannung für eine halbe Minute. Nach einer halben Minute schwindet nicht nur die Kraft, es beginnt auch zu schmerzen. Gleichzeitig hat sich nichts bewegt. Chronisch ungelöste Konflikte, die permanente Anspannung produzieren, können in chronischen Erschöpfungs- oder auch in chronischen Schmerzzuständen enden.

      Ein Schuldirektor ist mit der Schulbehörde in Konflikt geraten und (auf Kosten des Steuerzahlers) zwangspensioniert worden. Er beklagt, er fühle sich gestresst und erschöpft. »Sie brauchen Urlaub«, erkläre ich ihm. »Wieso? Ich tue doch den ganzen Tag nichts«, antwortet er. »Das ist anstrengend!«, erwidere ich. »Das verstehe ich nicht«, antwortet er. Ich frage ihn, wie er sich fühle, wenn er in einem vollbesetzten Zug stundenlang auf seinem Sitz sitze, nichts zu lesen dabei habe, vor lauter Lärm nicht schlafen könne, aber auch nicht in der Lage sei, aufzustehen und sich frei zu bewegen. Er antwortet: »Völlig fertig.« – »Wieso?«, frage ich ihn, »Sie tun doch die ganze Zeit nichts«. Er merkt an dem Beispiel, dass gerade das Nichtstun anstrengend und erschöpfend sein kann, vor allem dann, wenn man eigentlich etwas tun möchte und sich zum Nichtstun gezwungen fühlt. Er fährt daraufhin in Urlaub, kommt tatsächlich nach zwei Wochen erholt zurück und stellt fest: »Sie haben recht gehabt.«

       Arbeitslosigkeit und Depression

      In meinen Seminaren stelle ich die Frage, welche Mitarbeiter nach einer Entlassung in eine Depression abrauschen. Richtig, es sind nicht diejenigen, die die Briefmarken, Kugelschreiber und Werkzeugkästen geklaut haben, auf Kosten der Kollegen krankgefeiert haben und häufig in Kur gegangen sind. Die reagieren, indem sie sagen: »Mist, jetzt muss ich mir etwas anderes suchen, hoffentlich finde ich wieder so etwas.« Es sind die engagierten, die ihrem Chef den Hintern hinterhergetragen haben, unbezahlte Überstunden gemacht und auf Urlaub verzichtet, die Fehler ihrer Kollegen ausgebügelt haben, sonntags und an Feiertagen in der Firma waren und sich mit dem Unternehmen identifizierten. Diese Mitarbeiter stehen vor einem riesigen Minusgeschäft, denn für all ihr Engagement erhalten sie einen warmen Händedruck und ein paar geheuchelte gute Wünsche für ihre weitere berufliche Zukunft.

      Ein Liedtext von Wolf Maahn, gesungen von Klaus Lage, einem deutschen Musiker aus dem Ruhrgebiet, handelt von einem derartigen Minusgeschäft.

      Ja, Vater du bist noch vom ganz alten Schlag,

      seit 40 Jahren pünktlich jeden Tag.

      Du warst nie krank und bist noch drauf stolz.

      Jetzt heißt’s was soll’s?

      Wann hast du jemals richtig Urlaub gemacht?

      Dein ganzes Leben für’n Betrieb mitgedacht.

      Deinen Job macht jetzt ein Stück Silikon.

      Wen juckt das schon, wen juckt das schon?

      Monopoli, Monopoli,

      wir sind nur die Randfiguren in einem schlechten Spiel.

      Monopoli, Monopoli,

      und die Herrn der Schlossallee verlangen viel zu viel.

      Mama hebt Kaffeegläser auf für’n Gelee.

      Du bist schon ewig in der IG Chemie,

      doch darauf warst du echt nicht gefasst –

      so kalt geschasst.

      Du warst als Kind für mich der stärkste Mann,

      einer der irgendwie alles lösen kann.

      Doch das hier ist keine Modelleisenbahn.

      Was fängst du an, fängst du jetzt an?

      Monopoli, Monopoli,

      wir sind nur die Randfiguren in einem schlechten Spiel.

      Monopoli, Monopoli,

      und die Herrn der Schlossallee verlangen viel zu viel.

      (aus: