als das Klatschen der Zuhörer. Sie musste also nahe am Rednerpult sein. Belle blieb stehen und zog sich das Kleid glatt. Sie hatte keine Lust, unvermittelt wie eine zerzauste Amsel auf einer Bühne zu stehen und die Party zu sprengen. Belle schloss kurz die Augen. Dann eilte sie um die Ecke – und stieß mit etwas Weichem zusammen. Oder besser: mit jemand Weichem.
„Urrgh“, machte ein dunkle Stimme.
Belle fiel rückwärts auf den Boden. Nach einem kurzen Moment der Verwirrung blickte sie nach oben.
Die Gestalt vor ihr stand gekrümmt zwischen zwei Kulissen und presste sich eine Hand gegen den Bauch.
Belle war sich sicher, dass es ein Junge war. Er war ein wenig größer als Belle und komplett schwarz gekleidet. Sogar über dem Kopf trug er eine schwarze Haube, wie unter einem Motorradhelm. Kein Wunder, dass sie ihn hier in der Dunkelheit übersehen hatte.
Wahrscheinlich würde er gleich irgendeinen ACE-typischen Stunt aufführen oder so was. Er wartete bestimmt nur noch auf sein Stichwort.
Belle hielt ihm die Hand hin, doch die Gestalt reagierte nicht. Aber die Augen sahen Belle überrascht an.
„Hilfst du mir jetzt, oder was?“, zischte Belle.
Da zuckte hinter ihr ein Blitz auf. Belle umklammerte schützend ihren Kopf mit den Armen. Als nichts weiter passierte, öffnete Belle die Augen wieder. Mitten im Gang hing eine kleine weiße Wolke. „Was war das …?“, stammelte sie und sah wieder nach oben. Doch da war niemand mehr.
Der Raum vor Belle war leer. Es waren auch keine Schritte zu hören. Nur eine Rede durchschnitt die Stille.
Belle stand auf, schüttelte sich verwirrt und ging auf die Geräusche des Redners zu. Schließlich trennte sie nur noch ein dicker schwarzer Vorhang vom Festsaal. Belle linste hindurch. Sie war nur fünf Meter von einem weißhaarigen Mann entfernt, der wie ein Pfau über die Bühne schritt. Maximov.
Der Junge war nicht bei ihm, auch kein Motorrad. Bis auf den Direktor und einen Tisch, dessen weinrote Samtdecke rundherum bis auf den Boden hing, war die Bühne leer.
Auf Zehenspitzen schlich Belle zum Rand des Vorhangs und wartete. Nach einer halben Ewigkeit verneigte Maximov sich endlich. Applaus donnerte los.
Jetzt! Belle schlug den Vorhang zur Seite, trat in den Saal und ging schnurstracks auf einen der wenigen leeren Stühle zu. Wäre Belle geduckt gelaufen oder herumgeschlichen, wäre sie wohl jedem aufgefallen. So aber war sie beinahe unsichtbar, glaubte Belle, eine Schülerin, die den Auftrag gehabt hatte, hinter der Bühne etwas vorzubereiten.
Belle Pompadour setzte sich, stimmte sofort in den Applaus mit ein und lächelte, als wäre das eben die beste Rede gewesen, die sie je in ihrem Leben gehört hatte. Hätte Belle gewusst, dass die Augen von Catherine Noir jeden ihrer Schritte verfolgt hatten, dann hätte sie sicher nicht gelächelt …
Fest mit Überraschungen
Belle spürte, wie die Anspannung aus ihrem Körper verschwand. Und sie bemerkte noch etwas: Der Junge neben ihr starrte sie unverhohlen an. Er hatte ordentlich gescheitelte Haare und eine Nickelbrille, sein Hemd war unter dem altmodischen Pullunder falsch geknöpft und er hing wie ein nasser Sack auf seinem Stuhl.
Eindeutig Nerd!, schoss es Belle durch den Kopf. Die Sorte Junge, die nächtelang zockt und Sandalen trägt, aus denen vorne die Socken raushängen. War das nicht dieser Oliver?
Belle sah nach unten und prustete los. Bingo!
Als Oliver verlegen grinste, riss Belle sich zusammen.
„Habe ich was Wichtiges verpasst?“, zischte sie ihm zu.
„Oh, ja!“, schwärmte Oliver. „Den Chor der Lehrer und zwei englische Volkstänze …!“
Belle verzog das Gesicht. Chor? Volkstänze? In echt jetzt?
„Wusstest du, dass die Querflöte zu den Holzblasinstrumenten gezählt wird – obwohl sie aus Metall ist? Die ersten Flöten waren ja sogar aus Knochen!“
Belle schüttelte abwesend den Kopf.
„Ich … ich bin Oliver“, stellte der Junge sich nun schüchtern vor. „Und wie heißt d…“
„Pssst, Oli!“, ermahnte der Mann neben ihm den Jungen.
Oliver ließ den Kopf hängen. Belle war froh, dass das Gespräch beendet war. Und wenn sie nicht vor Langeweile einschlafen wollte, würde sie nie wieder eins mit Oliver beginnen, so viel war Belle klar.
Der Rest der Zeremonie war allerdings alles andere als öde. Nacheinander traten drei Mitglieder des Clubs vor das Publikum und berichteten von ihren Expeditionen und Entdeckungen. Eine vornehme Lady spielte ihr Gespräch mit einem Außerirdischen über die Lautsprecher ab, ein vollbärtiger Mann, die Birke, berichtete von der unfassbaren Energie der Polarstrahlen in der Arktis und zum Abschluss flatterte ein übergewichtiger Mann mit einem Trethubschrauber über die Köpfe der Anwesenden hinweg.
Nachdem er sicher gelandet war, spürte Belle, wie trocken ihre Kehle war. Hatte sie wirklich die ganze Zeit mit offenem Mund zugehört? Die Nerdigkeit ihres Nachbarn schien eindeutig auf sie abzufärben.
Dann trat Catherine Noir ans Rednerpult.
„Willkommen ihr Abenteurer, Lehrer, Wissenschaftler, Mitglieder des ACE“, eröffnete sie ihre Rede. „Vor mehr als drei Jahrhunderten geschah auf einer indonesischen Insel etwas Außergewöhnliches: Bartholomeus van Robbemond, bis zu jenem Tag ein gewöhnlicher Pirat und Dieb, hatte genug davon, Schätze zusammenzuraffen. Er machte weiter Jagd auf außergewöhnliche Artefakte, magische Gegenstände und unerklärliche Phänomene. Doch nicht, um sie eigennützig auszubeuten. Im Gegenteil. Er sammelte all das, um ihren Zauber für die Nachwelt zu bewahren und vor dem Zugriff der Falschen zu schützen – vor allem vor seinem Dauerfeind Diablo Cortez, genannt der Bulle.“
Noir verließ ihren Platz hinter dem Pult und schritt am Rand der Bühne entlang. „Viele dieser Stücke ruhen seitdem sicher im Tresorraum unter Ihren Füßen. So auch der berühmteste Gegenstand, der diesen Wandel in van Robbemond auslöste und 1716 in der Gründung des ACE gipfelte: der Feuertiger. Ein Kerim, ein gebogener Dolch also, dessen Wert unschätzbar ist. Nicht wegen seines goldenen Griffs. Oder der eingefassten Edelsteine. Es ist die magische Kraft des Feuertigers, die ihn einzigartig macht. Der Legende nach ist der Mensch, der ihn trägt, unverwundbar. Mehr noch, wie van Robbemond selbst in sein Logbuch schrieb: Es reicht, die Klinge auf jemanden zu richten. Schon werden seine Knochen zu Staub und die Haare zu Asche.“
Die Präsidentin blieb stehen. „Aber jetzt habe ich lange genug geredet, nun sollen Sie ihn auch mit eigenen Augen zu sehen bekommen. Nur einmal im Jahr wird er aus seinem Käfig im Keller der Burg herausgelassen. Meine Damen und Herren, hier ist der Feuertiger!“
Belle wollte begeistert losklatschen. Doch der Rest der Gesellschaft schwieg gebannt. Die Blicke von allen fünfhundert Anwesenden richteten sich auf einen weinroten Vorhang, der sich leicht hin und her bewegte. Endlich wurde er zur Seite geschlagen. Die gesamte Menge zog wie ein einziges Lebewesen geräuschvoll die Luft ein.
Eine riesige Echse schritt breitbeinig in den Saal. Sie war gute zwei Meter lang – ein Komodowaran, wie Belle erkannte. Nur war er nicht grünlich grau, sondern schneeweiß. Es musste ein Albino sein!
Der Waran stapfte an der vordersten Reihe der Zuschauer entlang. Züngelnd drehte er seinen Kopf mal auf die eine, mal auf die andere Seite. Auf seinem Rücken war eine hölzerne Kiste mit dem Logo des ACE festgezurrt, die im Takt seiner Schritte sanft schaukelte.
„Harry!“, riefen die älteren Schülerinnen und Schüler.
„Behandelt ihn mit Respekt!“, ermahnte Noir die Akademiemitglieder. „Harry ist schließlich schon