Karla immer noch Karten. Karla war gerade dabei, eine neue Variante von Solitär zu lernen und sie war ein wenig verärgert, dass Mama gerade jetzt kam. Sie fragte Cecilie, ob sie wieder einmal auf Besuch kommen dürfte, weil es der gemütlichste Nachmittag gewesen war, den sie seit langem erlebt hatte. Vorsichtig blickte sie zu Cecilie hinüber, die ihr zunickte. Auch Cecilie hatte es gefallen und sie hätte sehr gerne wieder einmal Besuch gehabt. Denn Besuch zu haben war das Schönste, was sie sich vorstellen konnte.
„Die Sache mit … dass er gesund wird … kann man sich da auf so ein Kartenspiel verlassen bei dem man nachgeholfen hat?“, fragte Karla. Cecilie blickte mild in Karlas besorgtes Gesicht. Dann sagte sie: „Mit einem Kartenspiel ist es wie mit der Familie. Ab und zu muss man ein bisschen nachhelfen. Und ob man sich darauf verlassen kann? Tja, das kann man wohl so einigermaßen – mehr oder weniger.“
Karla gab Cecilie eine große Umarmung und sagte ihr auf Wiedersehen, denn wiedersehen wollte sie Cecilie gerne.
Auf dem Heimweg sagte Karla kein einziges Wort und das war ein wenig ungewöhnlich. Sonst quasselte Karla ununterbrochen. Jetzt guckte sie jedoch nur auf die Straße, die unter den Reifen des Autos verschwand und fragte sich, ob die Karten wohl die Wahrheit gesagt hatten. Sie hatten ja ein wenig nachgeholfen.
Morgen würde sie ohnehin zu Papa gehen. Da würde sie sich dann selbst überzeugen können, wie die Dinge standen.
Der Tag, an dem Miez-Muzo krank wurde
Es war ein Montagmorgen. Karla war vor allen anderen wach, wie immer. Heute durfte sie zu Papa. Sie hatte sich nett angezogen und ihre Tasche gepackt. Sie war schon fertig, obwohl es kaum Viertel nach Sieben war. Vom Badezimmer her tönten Geräusche. Jemand putzte sich gerade die Zähne. Dann kam Lillebror in Karlas Zimmer gehumpelt.
„Sieh mal, sieh mal!“ Sein kleiner Fuß war in die Luft gestreckt. Karla sah von ihrem Computer hoch. Sie hatte gerade damit angefangen ein Spiel zu spielen, damit die Zeit schneller verging. Sie versuchte herauszufinden, was Lillebror ihr zeigen wollte. Es sah nicht so aus, als wäre irgendetwas an ihm anders als sonst. Während sie guckte, stand er angespannt da.
„Was ist denn?“, fragte Karla endlich.
Enttäuscht senkte er seinen Fuß. Unvorstellbar! Dass sie es nicht sehen konnte!
„Ich kann mit meinem Fuß schnipsen. Kann ich das nicht gut?“, sagte er.
„Sicher“, sagte Karla.
„Wie gut kann ich es?“, fragte Lillebror.
„Du kannst es richtig, richtig gut! Aber darf ich es nochmal sehen?“ Lillebror streckte das Bein in die Luft und wackelte mit seinem großen Zeh vor und zurück. Er sauste an dem anderen benachbarten Zehen vorbei. Während er das machte, sah er sowohl stolz als auch wichtig aus.
„Aber da kommt ja gar kein Geräusch raus“, sagte Karla. Lillebror schaute Karla schelmisch an und flüsterte, dass er es lautlos konnte und fragte ob er nicht richtig tüchtig wäre? Karla nickte, denn das war er wohl. Aber ob man das wirklich schnipsen nennen konnte, wusste sie nicht. Sie war sich, um ehrlich zu sein, fast sicher, dass es kein Schnipsen war, aber sie brachte es nicht übers Herz, ihm das zu sagen.
Nun kamen Rufe aus der Küche unten. Würg, Karla wollte so gar nicht frühstücken. Warum musste man schon essen, wenn man doch gerade erst aufgestanden war? Karla war kein bisschen hungrig – das war sie am Morgen nie. Und wenn sie dann Hunger bekam, war es gerade noch nicht Essenszeit. Wenn sie einmal groß wäre, würde sie genau dann essen, wenn es ihr in den Kram passte; weder früher noch später.
Und noch einmal kamen Rufe aus der Küche. Jetzt war es an der Zeit in die Gänge zu kommen. Möge der Tag doch schnell vergehen! Papa hatte ihr versprochen, mit ihr ins Schwimmbad zu gehen. Sie durfte heute auch bei ihm übernachten. Das durfte sie nämlich momentan, weil es Papa gerade so gut ging.
Karla konnte sich noch gut an den Tag erinnern, an dem sie herausfand, dass ihr Papa Alkoholiker war. Auf die eine oder andere Weise hatte sie schon vorher gewusst, dass irgendetwas nicht stimmte. Sie wusste nur nicht genau, was es war. Er roch anders als andere Erwachsene und er redete sehr laut. Manchmal war es richtig unangenehm. Als Mama Karla dann erzählte, Papa wäre krank, war sie richtig traurig gewesen. Mitten in der Nacht war sie von Mama abgeholt worden. Als Papa sie die Treppe hinuntertrug, war sie wach geworden. Er hatte sie in ihre Decke gewickelt.. Mama war am Fuß der Treppe gestanden und Papa war über den Kleiderständer gestolpert. Alle Jacken waren über ihnen gelandet. Mama hatte geschimpft und dann hatte sich Papa nicht von der Tür wegbewegen wollen, sodass die beiden nicht hinausgehen konnten. Karla war ganz still dagelegen. Sie hatte Angst gehabt und war völlig verwirrt gewesen. Damals war sie sieben Jahre alt.
Am nächsten Abend, als Karla schlafen sollte, hatte ihr Mama erzählt, dass Papa Alkoholiker war und sie ihn deshalb eine Weile lang nicht mehr sehen konnte. Das hatte Karla sehr traurig gemacht und sie hatte Angst gehabt, ihren Papa nie mehr wieder zu sehen. Mama hatte gesagt, dass sie ihn natürlich wiedersehen könnte. Aber Karla hatte geweint und geweint. Sie hatte einfach nicht mehr aufhören können. Alles war so schrecklich traurig gewesen. Und das einzige, worauf sie Lust gehabt hatte, war, zu Papa zu gehen.
Karla dachte eigentlich nicht so oft an diesen Abend. Aber hin und wieder tauchte er einfach in ihrem Kopf auf. Besonders dann, wenn sie wieder zu ihm sollte, denn stell dir vor, wenn nun nichts mehr so war, wie es sein sollte. Mittlerweile war Karla zum Glück schon so groß geworden, dass sie Papa helfen und auf ihn aufpassen konnte. Mama sagte aber immer, dass Karla nicht so groß sei und Papa überhaupt nicht helfen sollte. Papa war erwachsen und sollte sich selbst helfen. Aber das passte ihr nicht. Denn Karla konnte schon viel mehr als Mama wusste. Wenn sie einmal richtig erwachsen wäre, würde sie so richtig gut auf Papa aufpassen.
Der Tag verging schnell, genauso wie die meisten anderen Tage. Als Papa kam, war sie gerade dabei, ein richtig gutes Spiel zu spielen. Sie hatte einfach keine Zeit mitzukommen. Schlussendlich wollte er nicht mehr länger warten und so trotteten sie zusammen zu ihm nach Hause. Das erste, das sie sahen, als sie ankamen, war Miez-Muzo, Papas Kater. Er lag regungslos vor der Haustür. Irgendwas stimmte nicht mit ihm. Denn er sah ganz benommen aus und sein eines Ohr war komplett zerfetzt. Man konnte sehen, dass er am Ohr geblutet hatte. Der Pelz war an einigen Stellen zu kleinen Büscheln verklebt. Er sah richtig schlimm aus. Vater bückte sich, um Miez-Muzo aufzuheben, aber er fauchte ihn einfach nur an.
„Das hat er aber noch nie gemacht, oder Papa?“, fragte Karla. Papa musste Karla Recht geben. Miez-Muzo war der friedlichste Kater der Welt.
„Wir müssen ihn schnell zum Tierarzt bringen. Dann werden wir es heute wohl doch nicht mehr ins Schwimmbad schaffen, Herzlein“, sagte Papa. Karla wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie wollte doch so gerne ins Schwimmbad. Sie hatte sich gerade beigebracht, vom Dreimetersprungbrett zu springen und sie hatte sich schon so sehr darauf gefreut. Aber sie konnte auch sehen, dass das mit Miez-Muzo nicht bis morgen warten konnte. Karla streichelte ihn und nahm ihn vorsichtig in ihre Arme. Diesmal fauchte er nicht mehr und fand sich damit ab, dass sie ihn ins Haus trug. Papa rief den Tierarzt an und bekam sofort einen Termin.
„Wie kommen wir dorthin?“, fragte Karla. Sie saß auf dem Sofa und hatte Miez-Muzo auf den Schoß. Es verging ein bisschen Zeit, bis Papa etwas sagte. Karla merkte, dass ihn ihre Frage traurig machte.
„Ich weiß es nicht, aber ich muss wohl das Auto nehmen.“
„Aber das dürfen wir doch nicht!“ Jetzt wurde auch Karla traurig. Wenn Mama herausgefunden hätte, dass sie mit dem Auto gefahren wären, wäre sie richtig wütend auf Papa geworden.
„Kannst du nicht Mama anrufen und ihr erklären, was passiert ist?“, fragte Karla. Papa setzte sich neben Karla und fuhr sich ein paarmal durch die Haare.
„Das könnte eine Lösung sein. Vielleicht würde sie sagen, dass das schon in Ordnung ginge. Aber viel eher würde sie wohl sagen, dass du hier bleiben und warten sollst bis ich wieder zurückkomme. Das wäre vielleicht gar keine so schlechte Idee …“
„Das mache ich sicher nicht! Ich Will mit!“ An Karlas Stimme war