ich spreche nicht von dir, sondern von mich!“
„Es heißt mir … du spricht von dir und nicht von dich. Dich ist falsch.“
„Ach so!“ Gaston hatte es verstanden. „Niemand kann von mir verlangen …“ Er warf einen fragenden Blick auf Leona.
„Richtig!“ sagte sie.
„ … daß ich mit Mädchen zusammen schlafe!“
Die anderen prusteten.
„Wenn du dir einbildest, daß wir mit dir schlafen wollen“, sagte Alma, „bist du auf dem Holzweg.“
„Auf dem … was?“ fragte Gaston.
„Niemand will mit dir schlafen“, dolmetschte Leona.
„Aber ich kann nicht mit diesen beiden Mädchen … wie ’eißen sie?“
„Alma und Sabine“, erklärte Leona geduldig.
„Ich kann nicht mit Alma und Sabine in einem Zimmer wohnen!“
Leona fand, daß der Scherz nun weit genug getrieben war und hätte dem jungen Franzosen am liebsten die Wahrheit gesagt. Aber sie wollte nicht unkameradschaftlich sein und die Pläne von Klaus Voss durchkreuzen. Deshalb schwieg sie.
„Und warum nicht?“ fragte Alma keck. „Hast du Angst, wir könnten dich beißen?“
„Non, nein, nicht, im Gegenteil…“
Diese mühsame Erklärung löste natürlich neue Lachstürme aus.
„Ich ’ab keine Angst!“ schrie Gaston gegen das Gelächter an. „Ich bin es nur nicht gewohnt … ich mag keine Mädchen!“
„Oje“, sagte Leona, um Fassung ringend, „dann wirst du hier auf Rabenstein ein schweres Leben haben!“
Sie schrien vor Lachen, hielten sich förmlich die Bäuche, während Gaston, der unfähig war zu verstehen, was mit ihm geschah, finster dreinblickte und krampfhaft überlegte, was die anderen wohl so lustig finden mochten.
„Wie ich höre, seid ihr ja sehr vergnügt …“, sagte Frau Tina Wegner in den Lärm hinein.
Ohne daß es jemand bemerkt hatte, war sie in das Zimmer getreten; das Lachen erstarb.
Sie blickte von Gaston zu Klaus Voss. „Nanu, ich sehe wohl nicht recht?! Was habt ihr hier zu suchen?“
„Der Neue“, log Klaus Voss, „er hat sich verirrt. Ich bin ihm nach, als er die Treppe rauflief und wollte ihn gerade zurückholen.“
„Verirrt?“ wiederholte die junge Erzieherin und sah Gaston an. „Du hast dich verirrt?“
„Ich weiß nichts … ich … ich kenne mich nicht aus.“
„Niemand hat dir also gesagt, daß im Schloß nur die Mädchen wohnen?“
„Niemand.“
„Das ist ärgerlich. Du mußt wieder hinunter … Klaus wird es dir zeigen … und über den Hof in das neue Haus. Dort wohnen die Jungen.“
„Ich muß nicht schlafen zusammen mit Mädchen?“
Jetzt lachte sogar Frau Wegner.,Na hör mal, das wäre ja noch schöner. Hast du wirklich geglaubt, bei uns herrschen solche Sitten?“
„Ich kenne nicht die Sitten der Deutschen.“
„Sie werden von den euren nicht weit verschieden sein. Also ab mit dir! Hast du sonst noch Gepäck?“
„Die Tasche.“ Gaston wies mit dem Kinn auf die Reisetasche, die auf dem freien Bett stand.
„Klaus wird dir tragen helfen.“
Klaus, sehr froh, ohne Tadel und Strafe davongekommen zu sein, griff gleich zu.
„Betreue den Neuen“, sagte Frau Wegner, „bis er seinen Platz gefunden hat.“
Die Jungen verließen das Zimmer.
„Und ihr“, ermahnte Frau Wegner, „seht zu, daß ihr eure Sachen auspackt.“ Sie nickte den Mädchen zu und ließ sie allein.
„Das ist gerade noch einmal gutgegangen,“, sagte Sabine, die keine Ungezogenheiten liebte, erleichtert.
„Glaubt ihr, die Wegner hat nichts gemerkt?“ fragte Leona. „Oder hat sie nur so getan?“
„Wenn du mich fragst: sie hat sich mit Absicht dumm gestellt!“ erklärte Alma.
„Das ist aber hochanständig von ihr“, meinte Ute.
„Reine Taktik“, sagte Leona, „wem nützt es denn, wenn es gleich am ersten Tag im Internat einen Riesenkrach gibt?! Es war doch nur einer von Klausens dummen Späßen. Es kam ja nur darauf an, die Jungen hier rauszubugsieren. Das hat sie ohne Krach geschafft.“
„Alle Achtung!“ sagte Alma.
„Die haben wir ja wohl vor Frau Wegner … oder nicht?“ fragte Leona, ohne auf diese rhetorische Frage eine Antwort zu erwarten. „Aber ziemlich dumm dagestanden ist der Neue, was? Mein Einzug auf Rabenstein war zwar auch nicht gerade eindrucksvoll, aber immerhin, was Ähnliches wie ,Ich ’asse die Männer’ habe ich nicht verlauten lassen, als Klaus mich angeführt und auf das Zimmer von Hellmer Theiss geführt hatte.“
Darüber mußten alle lachen, und Leona genoß es, weil sie die Lacher auf ihrer Seite hatte.
Eine tolle Überraschung
Zum Abendessen versammelten sich alle Rabensteiner, Mädchen und Jungen, in dem großen Speisesaal in der Burg. Er hatte hohe gotische Spitzbogenfenster, die ihm etwas Feierliches gaben. Im krassen Gegensatz dazu standen die einfachen langen Tische, an denen gegessen wurde. Sie waren mit frisch ausgelegtem Papier bedeckt. Einige der Stühle hatten wacklige Beine, andere waren schon einmal zusammengekracht und wieder geleimt worden.
Den Rabensteinern war der Gegensatz zwischen der historischen Architektur und dem bescheidenen Mobiliar so vertraut, daß sie ihn gar nicht mehr beachteten. Sie interessierte es nur, was es zu essen gab; Brot, Butter, Wurst, Käse und heißen, schwarzen, stark gesüßten Tee, der in riesigen Blechkannen herumgetragen wurde.
Man saß in einer bestimmten Ordnung an den Tischen, die jeweils einer anderen Aufsicht unterstanden. Leona, Ute, Sabine und Alma hatten das Glück, dem gleichen Tisch zugewiesen worden zu sein. Bei ihnen saßen auch zwei sehr attraktive große Jungen, der braunhaarige, braunäugige Andreas München und der rothaarige Jochen Schmitz, die sich aber beide überhaupt nicht für Mädchen interessierten – jedenfalls nicht für die Mädchen aus dem Landschulheim. Auch Klaus Voss, der Clown, saß bei ihnen, während Kurt Büsing von einem anderen Tisch aus Leona Zeichen zu geben versuchte, die sie jedoch nicht verstand. Tina Wegner, die junge Erzieherin und Sportlehrerin, führte die Aufsicht. An diesem ersten Abend merkte man wenig davon, denn da sie verstand, daß die jungen Leute sich viel zu erzählen hatten, ließ sie sie reden.
Alle sprachen so lebhaft miteinander und durcheinander, daß es eine ganze Weile dauerte, bis Leona darauf aufmerksam wurde, daß der Neue hinter Frau Wegner stand.
„Na und?“ fragte sie.
Jetzt wurde auch die Erzieherin aufmerksam und drehte sich zu dem Jungen um.
„Isch“, sagte er, wobei er ch wie sch aussprach, „soll hier sitzen.“
Das eben noch so lebhafte Gespräch verstummte, und alle sahen ihn an.
Durch dieses Schweigen fühlte er sich abgelehnt und wurde zornig. „Pauline!“ rief er, wobei er den Namen französisch aussprach, so daß aus dem au ein o wurde. „Pauline hat es gesagt!“
Die anderen waren zuerst verdutzt, dann brachen sie in ein Gelächter aus.
„Was sein daran so komisch!?“ schrie Gaston. „Pauline sagte …“
Tina