Jean Jacques Rousseau: Romane, Philosophische Werke, Essays & Autobiografie (Deutsche Ausgabe)
Brief nochmals und zittere bei jeder Zeile. Ich werde indessen gehorchen, ich habe es gelobt, es ist meine Pflicht; ich werde gehorchen. Aber Sie wissen nicht, nein, Grausame, Sie werden es niemals wissen, was ein solches Opfer meinem Herzen kostet. Ach! Sie hatten die Versuchung im Gebüsch nicht nöthig, um es mir fühlbar zu machen: diese raffinirte Grausamkeit hätte sich Ihr fühlloses Herz ersparen können, und ich kann Sie wenigstens dreist herausfordern, mich nun noch unglücklicher zu machen, wenn Sie können.
Sie erhalten Ihr Kästchen uneröffnet zurück. Es ist zu viel, Beschimpfung zur Grausamkeit hinzuzufügen; wenn ich Sie zur Herrin meines Schicksals gemacht habe, so habe ich Ihnen doch nicht über meine Ehre Macht gegeben. Diese ist ein geheiligtes Pfand (das einzige, leider! das mir bleibt), welches ich bis an das Ende meines Lebens keinem Andern anvertrauen werde als mir selbst.
Siebzehnter Brief.
Gegenantwort.
Ihr Brief dauert mich; es ist das erste Mal, daß Sie ohne allen Verstand geschrieben haben.
Ich kränke also Ihre Ehre, für die ich tausend Mal mein Leben geben würde? Ich kränke also deine Ehre, Undankbarer, der du mich bereit gesehen hast, dir die meinige zu opfern? Wo ist sie denn diese Ehre, die ich kränke? Sage mir's doch, niedrige Seele, Herz ohne Zartgefühl! Ach! wie bist du verächtlich, wenn du nur eine Ehre hast, von der Julie nichts weiß! Wie? Die, welche ihr Schicksal theilen wollen, sollten nicht ihr Gut zu theilen wagen, und Der, welcher Metier davon macht, mein zu sein, findet sich beschimpft durch meine Gaben? Und seit wann ist es eine Gemeinheit, von Dem etwas anzunehmen, den man liebt? Seit wann entehrt das, was das Herz giebt, das Herz, welches es annimmt? Aber man verachtet einen Menschen, der von einem Anderen annimmt; man verachtet Den, dessen Bedürfnisse sein Vermögen übersteigen. Und wer verachtet ihn? Gemeine Seelen, welche die Ehre in den Reichthum setzen und die Tugenden nach dem Gewicht des Goldes wägen. Baut auch ein braver Mann auf so elende Grundsätze seine Ehre? Und ist nicht das Vorurtheil des Vernünftigen sogar zu Gunsten des Aermeren?
Ohne Zweifel giebt es verächtliche Geschenke, die ein Ehrenmann nicht annehmen kann; aber merken Sie, daß solche nicht weniger die Hand entehren, welche sie giebt, und daß ein Geschenk, welches sich mit Ehren machen läßt, stets mit Ehren anzunehmen ist; und fürwahr, mein Herz macht mir wegen dieses Geschenks keinen Vorwurf; es ist vielmehr stolz darauf. [Sie hat Recht. An dem geheimen Beweggrund zu diesem Reiseplan sieht man, daß Geld niemals ehrenhafter angewendet worden. Schade nur, daß diese Anwendung nicht bessere Frucht getragen.] Ich wüßte nichts Verächtlicheres als einen Mann, dessen Herz und Mühwaltung man kauft, außer etwa das Weib, welches so kauft: aber unter zwei verbundenen Herzen ist die Gemeinschaft der Güter Recht und Pflicht; und wenn ich mich noch im Rückstand befinde mit dem, was ich mehr habe als Sie, nehme ich ohne Bedenken das an, was ich zurückbehalte, und habe von Ihnen, was ich Ihnen nicht gegeben habe. Ach! wenn die Gaben der Liebe zur Last fallen, welches Herz kann dann je erkenntlich sein?
Fürchten Sie vielleicht, daß ich mir entziehe, was ich Ihnen mittheile? Ich will Ihnen von dem Gegentheil einen unwiderleglichen Beweis geben. Die Börse, welche ich Ihnen wieder sende, enthält das Doppelte von dem, was zuerst darin war, und wenn ich wollte, könnte ich noch einmal verdoppeln. Mein Vater giebt mir zu dem, was ich brauche, ein Jahrgeld, das freilich nur gering ist, aber das ich nie an zurühren brauche, so sehr sorgt meine Mutter für Alles, gar nicht zu rechnen, daß mein Sticken und Spitzenklöpfeln und zwar jedes allein hinreichen würde, mich in Stand zu halten. Es ist wahr, daß ich nicht immer so reich gewesen bin: der sorgenvolle Zustand, in den mich eine unselige Leidenschaft versetzt hat, ist Schuld, daß ich Manches vernachlässigte, wozu ich sonst meine Überschüsse anzuwenden pflegte: ein Grund mehr, sie so zu verwenden, wie ich thue: Sie müssen gedemüthigt werden zur Strafe für das Leid, das Sie mir zugefügt haben, und die Liebe soll die Schuld büßen, zu welcher sie verleitet.
Doch zur Hauptsache. Sie sagen, die Ehre verbiete Ihnen, Geschenke von mir anzunehmen. Wenn das ist, so habe ich nichts weiter zu sagen und ich gebe Ihnen vollkommen Recht, daß Sie streng darauf halten müssen. Wenn Sie mir das also beweisen können, so thun Sie es klar, unwiderleglich und ohne Spitzfindigkeiten; denn Sie wissen, daß ich die Sophistereien nicht leiden kann. Sie können mir dann die Börse wiedergeben, ich nehme sie zurück, ohne mich zu beklagen, und es soll nicht weiter die Rede davon sein.
Aber da ich weder silbenstecherische Leute noch den falschen Point d'Honneur liebe, so sage ich Ihnen: wenn Sie mir das Kästchen noch einmal ohne Rechtfertigung zurückschicken oder wenn Ihre Rechtfertigung nichts taugt, so sehen wir uns nicht wieder. Adieu; merken Sie sich's.
Achtzehnter Brief.
An Julie.
Ich habe Ihr Geschenk angenommen, ich bin abgereist, ohne Sie zu sehen, nun bin ich schon weit von Ihnen: hat nun Ihre Tyrannei genug, und habe ich meinen Gehorsam hinlänglich bewiesen?
Ich kann Ihnen von meiner Reise nichts sagen; kaum weiß ich, wie ich sie gemacht habe. Ich habe drei Tage gebraucht, um zwanzig Lieues zurückzulegen; jeder Schritt, der mich von Ihnen entfernte, trennte meinen Leib von meiner Seele und gab mir einen Vorgeschmack des Todes. Ich hatte den Vorsatz, Ihnen Alles zu beschreiben, was ich sehen würde. Ich habe aber nichts gesehen als Sie und kann Ihnen nichts schildern als Julie, In Folge der heftigen Aufregungen, die mich Schlag auf Schlag getroffen haben, befand ich mich in einer unablässigen Zerstreutheit; ich fühlte mich beständig da, wo ich nicht war: kaum hatte ich Besinnung genug, um mich nicht zu verirren oder nach dem Wege zu fragen, und ich bin in Sion angekommen, ohne Vevay verlassen zu haben.
So habe ich das Geheimniß gefunden, Ihre Härte zu Schanden zu machen, und ohne Ihnen ungehorsam zu sein, Sie doch zu sehen. Ja, Grausame, was Sie auch thun mochten, ganz haben Sie mich nicht von sich trennen können. Ich habe in mein Exil nur den kleinsten Theil meines Selbst mitgeschleppt: was von Leben in mir ist, das wohnt unaufhörlich dort bei Ihnen. Ungestraft schweift es über Ihre Augen, Ihre Lippen, Ihren Busen, alle Ihre Reize hin, dringt überall ein, wie ein feiner Aether, und ich bin Ihnen zum Trotz glücklicher, als ich je mit Ihrem Willen war.
Ich habe hier einige Personen zu sehen, einige Geschäfte abzumachen; das ist meine Qual. In der Einsamkeit bin ich nicht zu beklagen, wo ich mich mit Ihnen beschäftigen und mich dahin zaubern kann, wo Sie weilen. Nur das thätige Leben, welches mich ganz zu mir bringt, ist mir unerträglich. Ich werde die Sachen schlecht und schnell abthun, um nur bald frei zu sein und nach Lust in den Einöden umher zu irren, welche in meinen Augen das Land hier reizend machen. Man muß Alles fliehen und allein sein in der Welt, wenn man nicht mit Ihnen sein kann.
Neunzehnter Brief.
An Julie.
Nichts halt mich hier länger als Ihr Befehl; fünf Tage, die ich hier zugebracht habe, sind mehr als hinreichend für meine Angelegenheiten gewesen, wenn man anders das Angelegenheiten nennen kann, woran das Herz keinen Theil nimmt. Sie haben nun endlich weiter keinen Vorwand und können mich nicht mehr entfernt halten, außer um mich zu quälen.
Ich fange an mich über das Schicksal meines ersten Briefes sehr zu beunruhigen; ich habe ihn gleich nach meiner Ankunft geschrieben und auf die Post gegeben; die Addresse habe ich genau nach Ihrer Vorschrift gemacht, und wenn Sie pünktlich geantwortet hätten, müßte mir die Antwort schon zugekommen sein. Sie kommt aber nicht, und es ist keine erdenkliche schlimme Ursache ihrer Verzögerung, die sich meine aufgestörte Einbildungskraft nicht vorspiegelte. O meine Julie; wie viele unvorhergesehene Ereignisse können nicht in acht Tagen die süßesten Bande von der Welt auf ewig zerreißen! Ich denke mit Zittern, daß es für mich nur ein einziges Mittel giebt, glücklich zu sein, und Millionen, elend zu werden.