Эдгар Аллан По

Die bekanntesten Werke von Edgar Allan Poe (100 Titel in einem Band)


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und gar anderes. Jene Träumer und Phantasten, die von irgendeinem meist wirklich interessanten Gegenstande angezogen werden, verlieren dieses ursprüngliche Objekt bald aus den Augen, weil sein Anblick eine ganze Gedankenkette in ihnen aufrollt und eine Unzahl von Folgerungen und Betrachtungen in ihnen erweckt; und wenn sie dann aus solchen – meist angenehmen – Träumereien erwachen, so ist der Gegenstand, der diese Träumereien veranlaßte, ihrem Bewußtsein völlig entschwunden. In meinem Falle jedoch war es stets ein ganz nichtiger Gegenstand, an den meine Betrachtung sich knüpfte, wenngleich er infolge meines krankhaft intensiven Anschauungsvermögens vielfältige und übertriebne Bedeutsamkeit bekam. Meine Gedanken schweiften nur wenig ab und kehrten stets eigensinnig wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Diese Grübeleien waren niemals angenehm, und wenn sie endeten, so hatte der Gegenstand, von dem sie ausgingen, für mich ein unnatürlich gesteigertes Interesse bekommen, und eben dies war es, was den charakteristischen Zug meines Übels ausmachte. Kurz gesagt: in meinem Fall handelte es sich um ein abnorm konzentriertes Anschauungsvermögen, während das Wachträumen normaler Menschen auf ein Analysieren und Folgern hinausläuft.

      Wenn auch die Bücher, mit denen ich mich damals beschäftigte, diesen krankhaften Zustand nicht gerade hervorgerufen hatten, so trug ihr phantastischer und oft unlogischer Inhalt immerhin viel dazu bei, mein Leiden so eigenartig auszubilden. Ich erinnere mich unter anderm noch gut der Abhandlung des edlen Italieners Coelius Secundus Curio »De Amplitudine Beati Regni Dei«, des großen Werkes des heiligen Augustinus »Die Stadt Gottes« und ferner des Tertullian »De Carne Christi«, in welchem der paradoxe Satz: »Mortuus est Dei filius; credibili est quia ineptum est; et sepultus resurrexit; certum est quia impossibile est«, mich zu tiefem, fruchtlosem Nachsinnen veranlaßte und viele Wochen lang meine Zeit gänzlich in Anspruch nahm.

      So konnte mein Verstand, den nur die trivialsten Dinge aus dem Gleichgewicht brachten, mit jenem Meeresfelsen verglichen werden, von dem Ptolomäus Hephästion sagt, daß er allen menschlichen Angriffen widerstand, ja selbst der heftigen Wut von Wind und Wellen trotzte, der aber erbebte, sobald er mit der Blume Asphodelos berührt wurde. Ein oberflächlicher Beurteiler möchte wohl nun mit Bestimmtheit annehmen, daß die Veränderung, die Berenices unglückselige Krankheit in ihrem Seelenzustand hervorgerufen hatte, mir häufig Gelegenheit für dies intensive und anormale Nachsinnen gegeben hätte, das ich soeben nach bestem Können zu beschreiben versucht habe – aber nein, dies war in keiner Weise der Fall. In meinen klaren Stunden bereitete mir ihr Leiden allerdings Schmerz, denn dieser völlige Zusammenbruch ihres heitren und edlen Lebens ging mir tief zu Herzen, und ich fragte mich oft bekümmert, welch grauenhafte Mächte einen so unerhörten Umsturz hatten herbeiführen können. Aber solche Betrachtungen hingen mit meiner Idiosynkrasie nicht zusammen, sie waren ganz so, wie sie unter analogen Umständen weitaus die meisten Menschen angestellt haben würden. Es ist vielmehr bezeichnend für die Eigenart meines Übels, daß mich die unwichtigere, doch augenfälligere Wandlung in Berenices physischem Zustand – diese sonderbare und grauenhafte Vernichtung ihrer wirklichen, sichtbarlichen Persönlichkeit – weit mehr fesselte.

      Sicherlich habe ich sie in den strahlenden Tagen ihrer unvergleichlichen Schönheit nie geliebt. Infolge meiner seltsamen Anomalie waren meine Gefühle nie vom Herzen – waren meine Neigungen stets vom Verstand ausgegangen. Im frühen Morgengrau – im schattigen Gitterwerk des mittäglichen Waldes – nächtens in der Stille meines Studierzimmers – wann und wo sie mir je vor Augen trat, immer war es mir, als sei sie nicht die lebende, atmende Berenice, sondern eine Traumgestalt; sie erschien mir nicht als ein irdisches Geschöpf, sondern als die Abstraktion eines solchen – nicht als etwas, das man bewundern, sondern als etwas, dem man nachsinnen müsse – nicht als ein Wesen zum Lieben, sondern als ein Thema zu tiefgründigem Erforschen. Und jetzt – jetzt schauderte ich bei ihrem Nahen und erbleichte bei ihrem Anblick. Aber ich beklagte ihren Verfall bitter, und ich erinnerte mich, daß sie mich seit langem liebte, und so kam es, daß ich ihr in einer schlimmen Stunde von Heirat sprach.

      Und als die Zeit nahte, da wir Hochzeit halten wollten, saß ich an einem Winternachmittag eines jener wunderbar warmen, stillen und umschleierten Tage, die man die Amme des schönen Eisvogels nennt, wie ich vermeinte ganz allein im innern Gemach der Bibliothek; aber als ich aufblickte, sah ich Berenice vor mir stehen.

      War es meine eigne fiebernde Einbildungskraft oder eine Wirkung der dunstigen Atmosphäre oder das trübe Dämmerlicht im Zimmer oder der Faltenfluß ihres grauen Gewandes, was ihr so verschwommene Konturen gab? Ich konnte es nicht sagen. Sie sprach kein Wort; und ich – nicht um alles in der Welt hätte ich ein Wort hervorbringen können. Ein eisiger Frost durchrieselte mich; eine unerträgliche Angst befiel mich; eine verzehrende Neugier durchdrang meine Seele, ich sank in meinen Sitz zurück und verharrte regungslos und hielt den Atem an und heftete meine Augen durchdringend auf ihre Gestalt. Ach, sie war entsetzlich abgemagert! Nicht eine einzige Linie, nicht eine einzige Kontur verriet noch eine Spur ihrer früheren Persönlichkeit. Meine brennenden Blicke fielen schließlich auf ihr Antlitz.

      Die Stirn war hoch und sehr bleich und sonderbar starr und war über den hohlen Schläfen von zahllosen Löckchen des einst pechschwarzen Haares beschattet, das jetzt von lebhaftem Gelb war und dessen phantastische Ringel mit der souveränen Melancholie des Antlitzes seltsam kontrastierten. Die Augen waren ohne Leben und ohne Glanz und anscheinend ohne Pupillen; und ich schauderte unwillkürlich vor ihrem glasigen, starren Ausdruck zurück und wandte mich der Betrachtung der dünnen und eingesunkenen Lippen zu. Sie teilten sich zu einem sonderbar bedeutungsvollen Lächeln und enthüllten meinem Blick langsam der veränderten Berenice Zähne. Wollte Gott, daß ich sie nie gesehen hätte oder daß ich, nachdem ich sie sah, gestorben wäre!

      +++

      Das Schließen einer Tür schreckte mich auf, und aufblickend bemerkte ich, daß meine Kusine das Gemach verlassen hatte. Aber in der wüsten Kammer meines Gehirns war etwas zurückgeblieben: das weiße Gespenstbild ihrer Zähne – und das ließ sich nicht mehr vertreiben. Das flüchtige Lächeln von Berenices Lippen hatte genügt, jedes Schattenfleckchen auf dem schimmernden Email, jede Einkerbung der Schneiden – kurz jedes kleinste Merkmal ihrer Zähne tief in mein Gedächtnis einzubrennen. Ich sah sie jetzt sogar deutlicher als vorhin, da ich sie wirklich vor Augen hatte. Die Zähne! – Die Zähne! – Sie waren hier, waren dort, sie waren überall – sichtbar, greifbar vor mir; lang, schmal und übermäßig weiß, umwunden von den bleichen Lippen – ganz so wie in jenem Augenblick, da jenes verhängnisvolle Lächeln sie zuerst enthüllte.

      Dann kam meine Monomanie mit voller Wut über mich, und ich wehrte mich vergeblich gegen ihre unerklärliche, bezwingende Gewalt. Alle Gegenstände und Ereignisse um mich her schienen zu versinken – ich hatte nur noch Gedanken für diese Zähne. Nach ihnen trug ich ein wahnsinniges Verlangen. Die Welt und alles, was mich mit ihr verband, schwand hin vor diesem einen, einzigen Bild. Sie, die Zähne, sie allein waren meinem geistigen Auge gegenwärtig – und sie, in ihrer ausgesprochenen Individualität, wurden zum einzigen Gedanken meines Geistes. Ich hielt sie in jede Beleuchtung. Ich betrachtete sie von allen, allen Seiten. Ich studierte ihren Charakter. Ich verweilte bei ihren einzelnen Eigentümlichkeiten. Ich vertiefte mich in die Übereinstimmungen und Abweichungen, die die Zähne in ihrer Formbildung aufwiesen. Ich entsetzte mich, als ich ihnen in Gedanken die Fähigkeit sinnlichen Empfindens und, auch ohne daß die Lippen sie unterstützten, seelisches Ausdrucksvermögen zuschrieb. Von Mademoiselle Salle hat man mit Recht gesagt: » que tous ses pas étaient des sentiments«, und von Berenice glaubte ich weit überzeugter: » que tous ses dents étaient des idées. Des idées!« – ah, war dies der idiotische Gedanke, der mich zugrunde richten sollte? Des idées – ah, das war es, weshalb ich diese Zähne so wahnsinnig begehrte! Ich fühlte, daß einzig ihr Besitz mir Frieden bringen – mich der Vernunft zurückgeben konnte.

      Und so wurde es Abend – und Nacht kam und verweilte und ging – und wieder dämmerte der Tag – und die Nebel einer zweiten Nacht sammelten sich rings – und immer noch saß ich regungslos in jenem einsamen Zimmer – und immer noch saß ich in Betrachtungen vergraben – und immer noch übte das Gespenst der Zähne, das da mit lebhafter und gräßlicher Deutlichkeit im Wechsel von Licht und Schatten durchs Zimmer schwebte, seine schreckliche Gewalt.

      Da brach in meine Traumversunkenheit ein Ruf voll Grausen und Bestürzung; und nach einer Pause vernahm ich