– so unerhört neue, allen bisherigen Anschauungen aufs äußerste zuwiderlaufende Dinge –, daß zweifelsohne binnen kurzem ganz Europa in hellem Aufruhr lodern, die Physik einer Umwälzung verfallen und der gesunde Menschenverstand und die Astronomie sich in die Haare geraten werden.
Es begab sich, daß am … (ich weiß das Datum nicht genau) sich eine ungeheure Menschenmenge aus nicht ersichtlichen Gründen auf dem großen Börsenplatz in der wohlhabenden Stadt Rotterdam versammelt hatte. Es war ein für die Jahreszeit ungewöhnlich warmer Tag – kaum ein Lüftchen rührte sich, und die Menge empfand es nicht unangenehm, ab und zu von kurzen Regenschauern besprüht zu werden, die aus gewaltigen, über den blauen Himmelsbogen verteilten weißen Wolkenballen niederstürzten. Gegen Mittag machte sich eine schwache, aber unverkennbare Unruhe unter den Versammelten bemerkbar; es folgte ein Geplapper von zehntausend Mäulern, und einen Augenblick später waren zehntausend Köpfe zum Himmel gereckt, zehntausend Pfeifen fielen gleichzeitig aus zehntausend Mundwinkeln, und ein Geschrei, das nur mit dem Getöse des Niagara verglichen werden kann, erscholl lang, laut und ungestüm durch die Stadt und die ganze Umgebung von Rotterdam.
Die Ursache des Tumults wurde bald offenbar. Hinter der riesigen Masse eines der bereits erwähnten scharf umrissenen Wolkenberge schob sich langsam in den blauen Raum heraus ein rätselhafter, untrüglich aber massiver Gegenstand von so sonderbarer Form, so wunderlich zusammengesetzt, daß der Haufe behäbiger Bürger, die offenen Mundes drunten standen, nicht das geringste davon begriff und das Ding nicht genug bestaunen konnte. Was mochte das sein? Bei allen Teufeln Rotterdams, was mochte das sein und bedeuten? Keiner wußte es, keiner konnte es sich denken; keiner – nicht einmal der Bürgermeister Mynheer Superbus van Underduk – wußte den Schlüssel zu diesem Geheimnis zu finden. Da man also nichts Vernünftigeres tun konnte, schoben alle wie ein Mann die Pfeife in den Mundwinkel zurück, und – immer das Wunder im Auge behaltend – paffte man, hielt inne, watschelte umher und grunzte bedeutsam – watschelte zurück, grunzte, machte eine Pause und – paffte schließlich weiter.
Inzwischen aber näherte sich der Gegenstand so unermeßlicher Neugier und die Ursache so zahlloser Pfeifenwölkchen langsam der guten Stadt und kam schließlich nahe genug, um deutlich erkannt zu werden. Es schien – ja, es war zweifellos eine Art Ballon; sicher aber hatte man solch einen Ballon nie vorher in Rotterdam gesehen. Denn wer, frage ich, hätte je von einem Ballon gehört, der vollständig aus schmutzigem Zeitungspapier hergestellt war? Niemand in ganz Holland, sicherlich! Hier aber schwebte solch ein unglaubliches Ding den Leuten vor der Nase – oder richtiger, in einiger Entfernung über ihrer Nase – hier sah man so etwas, und es war, wie ich aus sicherster Quelle weiß, wahrhaftig aus dem genannten Material hergestellt, von dessen Verwendung zu einem solchen Zweck vordem noch kein Mensch etwas gehört hatte. – Es war eine unerhörte Herausforderung für den Verstand der Burghers von Rotterdam.
Was die Gestalt der Erscheinung anlangt, so schien sie noch unverantwortlicher, denn es war nicht mehr und nicht weniger als eine ungeheure, umgestülpte Narrenkappe. Und diese Ähnlichkeit wurde um nichts vermindert, als die Menge bei näherem Zusehen gewahrte, daß von der Spitze eine lange Troddel herunterhing und rund um den oberen Rand, die Kegelbasis, kleine Instrumente hingen, die an Schafglöckchen erinnerten und beständig nach der Melodie von »Betty Martin« klingelten.
Doch schlimmer noch! – Mit blauen Bändern am unteren Ende des phantastischen Apparats befestigt, hing als Gondel ein mächtiger, hellgrauer Biberhut mit einem unerhört breiten Rand und halbkugelförmigem Kopfnapf, den ein schwarzes Band mit silberner Schnalle zierte. Es ist jedoch immerhin erwähnenswert, daß viele Einwohner von Rotterdam schwuren, den Hut schon wiederholt gesehen zu haben; allen kam er wohlbekannt vor, und Vrow Grettel Pfaall stieß bei seinem Anblick einen Laut freudiger Überraschung aus und erklärte, es sei todsicher der Hut ihres guten Mannes. Das blieb nun ein um so bemerkenswerterer Umstand, als Pfaall vor etwa fünf Jahren zusammen mit drei andern ganz plötzlich auf eine ganz unerklärliche Weise aus Rotterdam verschwunden und trotz aller erdenklichen Nachforschungen bis zum heutigen Tag nicht aufzufinden gewesen war. Allerdings – man hatte unlängst an einer abgelegenen Stelle im Osten der Stadt Knochen gefunden, die man für Menschengebeine hielt; es lag noch allerlei seltsamer Schutt dabei – und einige Leute vermuteten nun, an jenem Ort sei ein scheußlicher Mord verübt worden und die Opfer seien aller Wahrscheinlichkeit nach Hans Pfaall und seine Gefährten gewesen. – Doch fahren wir fort.
Der Ballon (denn zweifelsohne war es einer) hatte sich jetzt bis auf etwa hundert Fuß zur Erde herabgelassen und gestattete der Menge drunten, seinen Insassen näher zu betrachten. Das war wirklich eine sehr eigenartige Person. Keinesfalls größer als zwei Fuß! Aber selbst diese geringe Größe würde genügt haben, das Gleichgewicht zu gefährden und den Fahrer über den Rand seiner winzigen Gondel zu schleudern, hätte ihn nicht ein Reif festgehalten, der ihm die Brust umspannte und an den Ballonseilen befestigt hing. Die Gestalt des kleinen Mannes war verhältnismäßig breit, von höchst absonderlicher Rundlichkeit. Seine Füße konnte man natürlich nicht sehen. Die Hände waren ungeheuer groß. Das Haar war grau und rückwärts in ein Schwänzchen zusammengerafft. Seine Nase bog sich unendlich lang vor und glänzte entzündet; die Augen erschienen voll, strahlend und scharf. Kinn und Wangen, vom Alter runzlig, waren breit und aufgedunsen; von Ohren irgendwelcher Art jedoch war an seinem ganzen Kopf nichts zu entdecken. Dieses wunderliche Männchen hatte sich in einen lockeren Überrock von himmelblauem Satin und in enge Kniehosen von gleichem Stoff gekleidet, die mit Silberschnallen geschlossen waren. Seine Weste bestand aus strahlend gelbem Stoff; eine weiße Taffetmütze saß munter seitwärts auf dem Kopf, und zur Vervollständigung der Ausstattung umhüllte ein blutrotes seidenes Tuch den Hals und fiel zierlich in einer phantastischen Schleife von übertriebenem Umfang auf die Brust herab.
Als der kleine alte Herr, wie ich schon sagte, bis auf etwa hundert Fuß zur Erdoberfläche herabgekommen war, wurde er plötzlich von Angst befallen und schien nicht geneigt, sich der » terra firma« noch mehr zu nähern. Er warf also aus einem Leinensack, den er mit vieler Mühe aufhob, eine Menge Sand aus, und augenblicklich hielt sein Fahrzeug. Eilig und aufgeregt holte er nun aus einer Seitentasche des Überrocks eine große Brieftasche aus Saffianleder hervor. Diese wog er argwöhnisch in der Hand, betrachtete sie dann höchst verwundert und war offenbar über ihre Schwere erstaunt. Endlich öffnete er sie, entnahm ihr einen riesigen, mit rotem Lack versiegelten und mit rotem Zwirn verschnürten Brief und ließ ihn genau zu den Füßen des Bürgermeisters Superbus van Underduk niederfallen.
Seine Exzellenz bückte sich, um den Brief aufzuheben. Der Luftschiffer aber, der sich noch immer höchst unbehaglich fühlte und offenbar weiter nichts in Rotterdam zu verrichten hatte, begann im gleichen Augenblick Vorbereitungen zu seiner Abreise zu treffen; und da er, um den Aufstieg zu ermöglichen, genötigt war, Ballast auszuwerfen, fiel jeder einzelne von dem halben Dutzend Säcke, die er, ohne ihren Inhalt zu entleeren, einen nach dem andern herunterwarf, unglücklicherweise auf den Rücken des Herrn Bürgermeisters, der infolgedessen nicht weniger als ein halbes dutzendmal angesichts sämtlicher Leute von Rotterdam Purzelbaum schlug. Es ist jedoch nicht anzunehmen, daß der große Underduk diese Unverschämtheit von seiten des alten Männchens ungestraft hinzunehmen gesonnen war. Es heißt im Gegenteil, daß er bei jeder der sechs Umdrehungen einen betonten und wütenden Zug aus der Pfeife tat, die er die ganze Zeit krampfhaft festhielt und (so Gott will) bis zum Tag seines Hinscheidens festzuhalten beabsichtigt.
Inzwischen stieg der Ballon wie eine Lerche in die Lüfte, segelte hoch über der Stadt dahin und verschwand endlich still hinter einer ebensolchen Wolke wie jener, aus der er so seltsam hervorgetreten war – und wurde so für immer den Blicken der braven Einwohner von Rotterdam entzogen. Die ganze Aufmerksamkeit wandte sich nun dem Briefe zu, der durch seine Niederkunft und deren Folgen so unheilvoll umstürzlerisch für die Person wie auch für das persönliche Ansehen Seiner Exzellenz van Underduk geworden war. Der Beamte jedoch hatte nicht verfehlt, während seiner kreisenden Bewegung daran zu denken, die Epistel in Sicherheit zu bringen, die, wie sich bei näherm Zusehen herausstellte, in die richtigen Hände fiel, da sie tatsächlich an ihn selbst und den Professor Rubadub in ihrer amtlichen Eigenschaft als Präsident und Vizepräsident der Rotterdamer Astronomischen Hochschule gerichtet war. Der Brief wurde also von den beiden Würdenträgern auf der Stelle geöffnet und enthielt folgende erstaunlichen und äußerst wichtigen Mitteilungen: