wurden, um den Effekt zu verstärken.“
Anker Dahl löste die Krawatte. „Die Feuerlöscher? Aber wie – und wie sind sie detoniert?“
„Die Theorie der Experten ist, dass die Feuerlöscher oben mit einem Zünder von einer gewöhnlichen Handgranate bestückt wurden. Das Zünden erfolgt mechanisch mit einer Verzögerung von drei Sekunden, von dem Zeitpunkt, wo der Splint entfernt wird bis der Zünder explodiert und die Ladung sprengt.“
„Dann könnten es die Terroristen vor der Explosion rausgeschafft haben?“
„Im Prinzip ja, aber wir gehen nicht davon aus, dass das passiert ist. Die Rede ist von Selbstmordattentätern. Einen haben wir identifiziert.“
„War das wirklich möglich?“
„Ja. Er war nicht ganz pulverisiert. Der Körper war gesprengt, aber wir haben seinen Kopf fast intakt gefunden und er war dem PET bekannt. Aber der Punkt ist, Dahl, Sie haben ja keinen Sprengstoff in Ihrem Stadtbus gefunden. Wenn an diesem anonymen Tipp nun etwas dran war und dieser Bus in die Luft gesprengt werden sollte, kann es ja sein, dass der Sprengstoff im Feuerlöscher war. Und falls der auch TATP enthält, ist vermutlich die Rede von der gleichen Terrororganisation. Bisher hat noch niemand die Verantwortung für den Anschlag in Kopenhagen übernommen.“
Anker Dahl nickte. „Und falls TATP gefunden würde, wäre das der Beweis, dass unser Beamter tatsächlich einen Terroranschlag verhindert hat und das wäre seinem Fall zweifelsohne dienlich …“, murmelte er vor sich hin, doch Lindt hörte ihn.
„Genau, und noch etwas: Sorgen Sie dafür, dass Ihre Techniker das sofort untersuchen. TATP ist ein gefährlicher Stoff, daher der Name ‚Mutter des Satans‘. Der Scheiß kann explodieren, selbst ohne dass der Splint gezogen wird.“
Kapitel 6
„Es ist nichts Neues – oder in diesem Fall Verkehrtes – daran, dass wir Fremden gegenüber skeptisch sind, die in unser Land kommen. Im Gegenteil. Es liegt seit dem Steinzeitmenschen in unseren Genen. Das ist ein Instinkt. Der Grund dafür, dass der Mensch überlebt hat.“
Tobias Holmetoft sprach langsam und wohlformuliert mit passenden Pausen zwischen den Sätzen, sodass alle sie aufnehmen konnten und mitkamen. Er war ein gut aussehender und sympathischer Mann, der alle Zuhörer in seinen Bann zog, insbesondere die weiblichen. Fasziniert starrten sie ihn an, wie er da in seinem legeren Anzug hinter dem rötlichen Kirschbaumholz des Rednerpults stand und wie ein Hollywood-Star aussah, der sie mit seinem Besuch beehrte. Und er stand nicht einfach nur da. Er bewegte sich auch vom Pult weg und stolzierte umher. An seinem Gang und seinen Bewegungen sah man deutlich, dass er auch Kontrolle über seinen Körper hatte. Er war garantiert Sportler. Hinter ihm strahlte ein riesiges hinterleuchtetes Whiteboard. Es war in zwei Bilder aufgeteilt. Auf der einen Seite sah man eine blasse und runzelige alte Frau mit tränenden Augen, die Hände zu einer Schale geformt wie ein Bettler, der um Geld bat. Auf der anderen eine Frau in Niqab mit unverhohlener Freude und gierigen Augen, die Hände in gleicher Weise geformt, doch hier lag ein großer Stapel Geldscheine darin. Oben auf dem Plakat war das rote Logo der DFD, unten der Text: Dänemark für Dänen – unsere Alten verdienen mehr als die! Es bestand kein Zweifel, wer mit die gemeint war. Die Kampagne war stark kritisiert worden, da sie als ganzseitige Annonce in mehreren Tageblättern erschienen war. Sie wurde als geschmacklos und rassistisch bezeichnet.
Normalerweise ging Roland Benito nicht zu solchen politischen Versammlungen, aber als er gesehen hatte, dass der Gründer der kontroversen Partei einen Vortrag hielt oder Mitgliederwerbung betrieb oder was auch immer das nun war, weckte das seine Neugierde. Siljas Byskov hatte auf Facebook verbreitet, dass er selbst Mitglied der Partei sei und ihre Ansichten unterstütze. Rolands Kollege, Mark Haldbjerg, der im Fall Siljas Byskov ermittelte, erwähnte Gerüchte über rassistische Motive, den Busfahrer zu erschießen, sodass es im Augenblick für Byskov nicht gut aussah. Roland musste nicht daran erinnert werden, dass es nicht sein Fall war, dass er stattdessen die wahrscheinlich falschen Beamten in Kopenhagen überprüfen sollte, aber er und seine Kollegin Karina fuhren erst morgen gen Osten. Und was er privat unternahm, ging niemanden etwas an.
Es eilte nicht, nach Hause zu kommen. Irene war bei einem Treffen der Dänischen Flüchtlingshilfe. Nach der Wahl und der neuen Regierung hatte es neue Regelungen gegeben, mit denen sie sich als ehrenamtliche Beraterin vertraut machen musste. Unter anderem betrafen Änderungen die Familienzusammenführungen. Anschließend sollte sie als Sozialarbeiterin zwei Stunden lang bis mindestens 19:00 Uhr in den Räumlichkeiten der Dänischen Flüchtlingshilfe im Paludan-Müllers Vej vor Ort sein, wo er sie abholen würde. Es war nur einmal pro Woche und passte gut, um rauszukommen. Omar und Majak aus dem Südsudan, die bei ihnen wohnten, bis die Gemeinde eine andere Unterkunft fand, waren beim Fußball, wie es für zwei Jungs von 11 und 13 Jahren normal war. Hier in Dänemark jedenfalls. Glücklicherweise sprachen sie beide Englisch, was die offizielle Sprache des Südsudans war, und sie waren Christen, dieses Mal also kein Gebetsraum und keine Gebetsteppiche. Angolo musste daher auch nicht weggeschickt worden, weil der Hund als unreines Tier galt, und die beiden Jungs schienen ihn zu lieben. Das war eine große Erleichterung für Roland. Die schrecklichen Erlebnisse des letzten Sommers hatten ihre Spuren hinterlassen. Auch bei Irene.
„Wenn der Urmensch einen Fremden traf, der ihm nicht ähnelte und mit dem er nicht kommunizieren konnte, wurde er unruhig, denn wie kann man etwas gemeinsam haben und sich gegenseitig helfen, wenn man nicht die gleiche Sprache spricht und eine völlig unterschiedliche Kultur und Religion hat? Der Steinzeitmensch würde nach seiner Keule oder einem großen Stein greifen und die Fremden töten“, schloss Tobias Holmetoft.
„Sind wir dann nicht bei den Neandertalern angelangt?“, fragte einer der Zuhörer, von dem Roland sofort dachte, er müsse Journalist sein.
„Na, da sitzt wohl ein Skeptiker“, lachte Tobias Holmetoft mit einem beschwichtigendem Lachen. „Doch, Sie haben recht, aber weiter ist unser Gehirn dann auch nicht wirklich gekommen.“
„Seins auf jeden Fall nicht“, hörte Roland eine Frau vor sich ihrem Nachbarn zuflüstern. Offenbar hatte Holmetoft nicht alle Frauen im Saal betört.
„Die Entwicklung des Menschen wurde doch wohl dadurch vorangetrieben, dass wir anderen Kulturen gegenüber aufgeschlossen waren und begannen, mit ihnen zu handeln und Erfahrungen auszutauschen“, machte der Journalist eisern weiter.
Tobias Holmetoft nickte mit aufgesetzt nachdenklicher Miene. „Ja, da haben Sie recht, aber ich sage ja auch nicht, dass wir nicht mit anderen zusammenarbeiten sollen. Und hier ist wichtig zu betonen, dass diese Entwicklung nur stattfand, weil wir gegenseitig die Kultur respektierten und …“
„Ja, aber ist das nicht genau das, was ihr in der DFD nicht macht?“
„Lassen Sie mich erst ausreden!“ Holmetoft verlor nicht die Fassung, sondern lächelte dem Journalisten verständnisvoll zu. „Doch, wir respektieren die Kulturen in anderen Ländern. Jedes Land darf seine Kultur haben, aber wir sollen auch unsere haben. Wir sind ja nicht diejenigen, die die Kultur der Migranten ändern wollen, es ist umgekehrt. Wenn man Gast in einem anderen Land ist, muss man sich nach deren Lebensweise richten, wie wir es auch tun, wenn wir andere Länder besuchen, und will man sogar in Dänemark wohnen, ja, dann muss man auch wie die Dänen leben.“
Im Saal entstand ein leises Gemurmel. Es klang wie ein Ausdruck der Zustimmung. Der Journalist schwieg und Tobias Holmetoft fuhr fort.
„Als Herdentier geht es darum, sich selbst, seine Familie und sein Territorium zu beschützen, um zu überleben. Und ich sage ganz bewusst Herdentier, denn wir dürfen nicht vergessen, dass wir das sind. Tiere. Es sind die Instinkte, die in Kraft treten, wenn man in unser Territorium einfällt.“
Tobias Holmetoft hielt in seiner Wanderung vor dem Publikum inne und stellte sich frontal hin. Er wurde ernst.
„Unsere Alten und Schwachen in der Gesellschaft werden im Stich gelassen.“ Er deutete auf das umstrittene Werbeplakat. „Es könnte auch eine Obdachlose sein, die hier zusammen mit der Migrantin steht. Wie können vom Volk gewählte Politiker in Christiansborg akzeptieren, dass Dänen auf der Straße leben ohne