Inger Gammelgaard Madsen

Falkenjagd - Roland Benito-Krimi 10


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Die Riemen waren aus weicher Känguruhaut, und der Verschluss an der Spitze der Haube war mit zwei Perlen, die eine aus Elfenbein, die andere aus Edelholz. Der Abschluss war eine Quaste aus Leder, die zusammen mit den Perlen eine hübsche Dekoration ausmachte. Vater erzählte, dass die Araber die Hauben der Falken mit Diamanten besetzten. In ihrer Heimat war es ein Sport für die Reichen. Jetzt war es sein Lebensunterhalt, machte ihn aber nicht reich. Dafür gab es ihm und seiner Familie Schutz und ein Dach über dem Kopf. Sie war hier auf dem Hof in friedlicher und ländlicher Umgebung aufgewachsen, wo man keinen Hass und keine Kriminalität kannte wie in der Stadt, wo sie später hingezogen war, um zu studieren und zu arbeiten. Zu der Zeit wurde sie vom Rest ihrer Geschwister getrennt, außer von Rabir, der die Ausbildung zum Mechaniker machte und Arbeit in einer Autowerkstatt in Aarhus fand, wo sie selbst später hinzog. Sie kamen gut zurecht. Das hatte der Vater von ihnen verlangt. „Ich habe euch nicht mit hierhergenommen, damit ihr euer Leben vergeudet, sondern um euch ein besseres Leben zu ermöglichen als in unserem Heimatland“, waren Worte, die er fortwährend wiederholt hatte, bis sie sie verstanden hatten. Ihr Vater war ein strenger, aber guter Mann. Doch wie konnte er die Augen vor dem verschließen, was mit ihrer Mutter, ihrer Familie und ihrem Land passiert war? Wie schaffte er es nur, nicht zu hassen?

      „Haube!“, wiederholte ihr Vater lauter, als sie nicht reagierte. Sie war völlig in ihre Gedanken versunken gewesen und beeilte sich, sie ihm zu reichen. Rabir entfernte das Tuch um den Falken. Grimmig starrte dieser auf ihre Hand, als ob er sie angreifen wollte, doch der Vater nahm ihr die Haube ab, hielt sie mit den beiden Perlen voran und stülpte sie in einer leicht gleitenden Bewegung über den Kopf des Vogels. Als Kind hatte sie geglaubt, nur die Weibchen bekämen Hauben und dass man das damit vergleichen könnte, dass Frauen ihren Kopf bedecken sollten. Sie verstand nicht, warum die Augen in der Lederhaube nicht frei waren, nur der Schnabel. Der Vogel konnte ja nichts sehen. Jetzt wusste sie, dass sie benutzt wurde, um den Falken zu beruhigen und er sie aufhaben musste, während er beim täglichen Training daran gewöhnt wurde, auf der behandschuhten Hand des Falkners zu sitzen, und wenn er transportiert wurde.

      Die Lederquaste baumelte um seinen Kopf, als er ihn wild schüttelte. Er versuchte vom Handschuh wegzufliegen und sie spürte wieder das Rauschen der großen Flügel. Rabir wich ebenfalls ein Stück zurück, bis der Vater den Falken wieder auf dem Handschuh platziert hatte und sich ein wenig zu beruhigen schien.

      „Wird wohl schnell mit ihm gehen“, lächelte er. Das Lächeln entspannte sein hochkonzentriertes und etwas verkniffenes Gesicht. Sie entspannte sich jetzt auch mehr. Ihr Vater war zufrieden mit dem Verhalten des neuen Vogels und würde seinem Arbeitgeber wieder seinen Wert beweisen können. Das bedeutete ihm viel. Die nächsten Tage würden nun mit Haubentraining und Vertrauensaufbau vergehen.

      Sie hörte ein Glucksen aus dem Kinderwagen, der im Schatten einer Eiche an der Mauer stand. Fadi war wach.

      „Geh rein und mach euch was zu essen, ich komme gleich“, sagte ihr Vater.

      Er sah majestätisch aus mit dem tollen, großen Vogel auf dem Arm. Hätte er weiße Kleidung und keine olivgrünen Cargoshorts und ein kariertes Arbeitshemd getragen, sähe er aus wie ein arabischer Ölscheich. Die Klauen des Falken bohrten sich tief in das Leder des kräftigen Handschuhs, als ob er sich ihm bereits ergeben hätte und ehrerbietig seine Hand drückte.

      Sie hob Fadi aus dem Kinderwagen. Seine kleinen Hände griffen nach ihrem Niqab und die dunklen Augen wurden groß vor Staunen, als er den Vogel entdeckte. Dann lächelte er begeistert. Ihr fiel wieder das Kind im Bus ein und Abdul-Jabaar, die jetzt tot waren.

      Drinnen setzte sie Fadi in den Hochstuhl in der Küche und gab ihm einen Keks. Danach holte sie Khubz-Brot aus dem Kühlschrank und stellte es auf den Tisch. Draußen vor dem Fenster sprach ihr Vater mit Rabir. Ihr Bruder ähnelte ihrer Mutter sehr, mehr als sie selbst, und jedes Mal, wenn sie ihn sah, kam es ihr vor, als könnte sie sich an sie erinnern. So war es auch, wenn sie das Foto an der Wand ansah. Ihre Mutter saß auf einem braunen Sofa mit ihr auf dem Schoß und daneben hielt ihr Vater Rabir an der Hand. Ihr Bruder und ihre Schwester standen im Hintergrund und sahen für sie fremd aus. Ihr Anblick rief einen plötzlichen Schluckauf bei ihr hervor, der Fadi zu ihr aufschauen ließ. Sie streichelte ihm leicht über die Wange und betrachte wieder das Foto. Sie sahen nicht wie eine glückliche Familie aus. Bereits damals stand eine Menge auf dem Spiel. Es musste gewesen sein, kurz bevor ihre Mutter getötet wurde und ihr Vater sie mit auf die lange Reise nach Europa nahm.

      Rabir tätschelte Fadi den Kopf, als er in die Küche kam und sich an den Tisch setzte. Er schenkte sich Kaffee ein.

      „Was zum Teufel war da los?“, knurrte er gedämpft auf Arabisch.

      Sie hatte seinen Zorn erwartet und befürchtet.

      „Ich weiß nicht, wie sie es erfahren haben, Rabir“, raunte sie ebenso gedämpft und lächelte Fadi beruhigend zu, damit er nicht von dem harten Ton erschrak.

      „Wenn du das versaut hast, dann …“

      Sie mochte die unverhohlene Drohung nicht, die in den Worten des Bruders lag und in seinen Augen zu lesen war. Trotzig erwiderte sie seinen Blick, doch ihr Herz hämmerte so heftig, dass sie fürchtete, er würde es hören und sehen. Durchs Fenster sah sie ihren Vater mit den Vögeln in der Voliere herumlaufen, so wie er es sein Leben lang getan hatte.

      „Das war ich nicht. Ich habe getan, was ich sollte.“

      „Und wie? Hat das vielleicht Verdacht erregt? Vielleicht hat jemand die Polizei gerufen.“

      Rabir schnitt seinem Neffen eine lustige Grimasse. Fadi lachte und griff nach seinem Gesicht.

      „Niemand hat es gesehen. Ich habe den neuen Zeitpunkt auf meine Handfläche geschrieben und es Abdul-Jabaar gezeigt, als ich ausgestiegen bin. Niemand hat es gesehen“, wiederholte sie mit Sicherheit, denn sie war selbst davon überzeugt.

      „Wir mussten es tun und du warst die Einzige, die die Möglichkeit hatte, schnell in den Bus zu steigen und ihm Bescheid zu geben. Per Handy ist es zu gefährlich, der Anruf kann zurückverfolgt werden und das war zu riskant.“

      „Es war sehr unangenehm, in diesem Bus zu sein. Jemand hat mich geschubst, ein schwarzes Gespenst genannt und sagte, ich gehörte nicht hierher, und ein blasses Mädchen starrte mich an, als sei ich wirklich ein Gespenst. Sie sah eher wie eins aus.“ Ihre Worte wurden immer härter, wenn sie mit ihrem Bruder sprach. Sie musste ihm zeigen, dass sie stark war und das hier regeln konnte.

      „Sag ich doch. Das, was passiert, ist ihre eigene Schuld. Die wollen uns nicht.“

      Sie schaute wieder aus dem Fenster und schwieg. Ihr Vater hatte gerade die Voliere verlassen und war auf dem Weg zum Haus.

      „Wie läuft es sonst mit der Planung?“, fragte Rabir, immer noch auf Arabisch. Das würde sich ändern, wenn der Vater hereinkam. Er hatte immer streng verlangt, dass sie Dänisch sprachen, selbst zu Hause, womit sie integriert wirkten, falls jemand ihre Gespräche hörte. Der Falkner konnte plötzlich unerwartet zu Besuch kommen. Das war sein Haus, der Vater hatte es nur gemietet.

      Sie vergewisserte sich, dass ihr Vater nicht in der Nähe war und sie hören konnte. Es würde ihm nicht gefallen, dass seine Tochter beteiligt war. Seiner Meinung nach sollten Frauen ihren Platz kennen und der war zu Hause und bei den Kindern.

      „Gut, alles ist so weit vorbereitet.“

      „Dieses Mal dürfen keine Fehler passieren!“

      Sie schüttelte den Kopf und wollte nicht in die harten Augen ihres Bruders sehen. Stattdessen sah sie in Fadis unschuldige und sagte sich wieder selbst, dass sie es für ihn tat. Sie durfte nicht im Glauben schwanken.

      Rabir brach ein Stück Brot ab und stippte es ins Olivenöl. Er sah sie lange an, bevor er es in den Mund stopfte.

      „Das Verbrechen an Abdul-Jabaar hat euch nicht erschreckt, oder? Er ist ein Märtyrer, denk daran. Damit kann seine Familie sich trösten“, sagte er mit vollem Mund.

      Sie nickte wieder und zuckte zusammen, als das Handy in ihrer Tasche mit lautem Ton eine eingehende SMS ankündigte. Sie las die Nachricht und begegnete dem Blick ihres