verlegen über seinen Dreitagebart und erklärte leicht stockend: »Sie heißt Henriette Keller – und ich kenne sie eigentlich – schon lange. Wir sind damals in eine Schule – gegangen. Dann war sie für ein paar Jahre weg, hat studiert und – und – vor etwa vier Monaten habe ich sie auf einer Party wiedergesehen. Sie ist sehr hübsch geworden …«
»Und dann bist du mit ihr im Bett gelandet«, ergänzte Evelin trocken, als der angehende Vater betreten schwieg und nichts mehr zu sagen wusste.
»Ja, bin ich. Und nun ist sie schwanger, was meine beiden Alten und ihre Eltern einerseits sehr freut. Andererseits erwarten sie alle, dass wir möglichst bald heiraten.«
»Und was willst du?«
»Ich – will sie auch heiraten. Das Kind muss doch auch einen Vater haben. Es wird ohnehin Zeit, dass ich an eine Familie denke, bin ja schon über dreißig und finde kleine Kinder recht niedlich.«
»Ich nicht«, murmelte sie unbedacht. »Ich finde, sie gehen einem auf die Nerven mit ihren nassen Windeln und ihrem ständigen Geschrei.«
»Na, ganz so schlimm wird es wohl nicht sein. Anderenfalls würde sich ja niemand Kinder anschaffen.«
Evelin zuckte nur mit den Schultern, dachte aber unwillkürlich daran, dass in dieser elegant eingerichteten Wohnung auch ein kleines Mädchen spielen könnte, spielen und damit alles schmutzig machen. Aber vielleicht war ihre Tochter aus diesem Alter inzwischen schon heraus. Sie war ja immerhin schon über vier Jahre alt. Und doch, sie konnte sich nicht dazu entschließen, die Kleine für ein paar Tage herzuholen. Von ihren Kollegen wusste niemand, dass sie ein Kind hatte, und ihr gelegentlicher Hausfreund hatte natürlich auch keine Ahnung.
Gelassenheit vortäuschend, entgegnete sie: »Nun, dann freue dich nur auf deine Ehe mit der Jetty und auf das Kind. Ich habe nicht vor, dir eine Szene zu machen oder im Kollegenkreis darüber zu reden. Jeder muss nach seiner Fasson selig werden.«
Mario Samuel atmete erleichtert auf und erhob sich. Er wusste schon lange, dass er für die attraktive Frau Dr. Hollstein nur der Mann für gewisse Stunden gewesen war. Die Mutter seines Kindes liebte ihn jedoch. Und vielleicht würde er sie eines Tages auch lieben lernen.
Zu Evelin sagte er jedoch nur: »Ich wünsche dir alles Gute für die Zukunft, und hab vielen Dank für die schöne Zeit.« Danach küsste er sie flüchtig auf die Wange und verließ dann mit schnellen Schritten die Wohnung. In Gedanken war er schon bei seiner Braut.
Evelin hingegen war nicht so ruhig, wie sie sich gegeben hatte. Dass dieser um Jahre jüngere Mann sie irgendwann verlassen würde, hatte sie geahnt und war daher nicht besonders traurig. Mochte er mit seiner Zukünftigen glücklich werden und mit ihr gemeinsam Windeln wechseln.
Spöttisch vor sich hin lächelnd ging sie zur Hausbar und goss sich ein Glas Sekt ein.
Einige Tage später begann sie, die Einsamkeit zu spüren, und überlegte nun ernsthaft, ob sie ihre Tochter nicht doch besuchen sollte. Es war ja bald Ostern. Feiertage waren ohnehin grässlich, weil sie die meist allein verbringen musste, denn ihre Freunde und Kollegen hatten fast alle Familie. Und ihre Eltern waren auch nicht immer da.
Oder sollte sie doch lieber mit ihrem Chef ausgehen? Der hatte ebenfalls keine feste Beziehung. Ein ermunterndes Lächeln von ihr würde wahrscheinlich schon genügen, um Hartmuth Grünberg zu einer entsprechenden Einladung zu bewegen. Leider war er nicht der Mann für gewisse Stunden. Er wollte mehr und erwartete vermutlich, dass sie ihm den Haushalt führte und vielleicht noch ein Kind bekam.
Nein, bloß das nicht! Aber vielleicht sollte sie Reni und ihren Vater zu sich einladen. Die kannten München ja noch gar nicht und würden sich wahrscheinlich sehr freuen, aus ihrem tristen Provinznest für ein paar Tage herauszukommen.
*
Da Gitta an diesem Wochenende zu ihren Eltern gefahren war, hatte Henrik beschlossen, mit seiner Tochter zu einem etwa zwanzig Kilometer entfernten Indoor-Spielplatz zu fahren, wo die muntere Kleine sich dann auch stundenlang vergnügte. Das Trampolin hatte es ihr ganz besonders angetan, aber auch die kleine Eisenbahn, die um den gesamten Spielplatz herumfuhr.
Reni war also schwer beschäftigt gewesen und wäre am liebsten noch viel länger geblieben, was sie ihrem Vater auch lautstark und trotzig verständlich gemacht hatte. Der ließ sich von ihren Protesten jedoch nicht beeindrucken und fuhr mit ihr zu gegebener Zeit heimwärts. Und er lächelte, als Reni bereits nach fünf Minuten fest schlief.
Henrik war es recht so. Wenn seine Tochter so müde war, würde sie nachher bald zu Bett gehen und demzufolge nicht ständig nach ihrer Tante Gitta fragen, und er konnte diesen Abend nutzen, um noch einige schriftliche Arbeiten zu erledigen.
Sein Vorhaben gelang ihm jedoch nur zum Teil, weil Evelin anrief, nach mehr als sechs Monaten übrigens. Diese Tatsache schien ihr aber nicht bewusst zu sein, denn sie tat so, als hätten sie erst vor ein paar Tagen miteinander gesprochen.
»Was hältst du davon, wenn du über Ostern mit Reni zu mir kommst?«, begann sie nach den üblichen Fragen nach der Gesundheit und dem Wohlergehen.
Henrik war sekundenlang sprachlos und glaubte, sich verhört zu haben.
»Wir – sollen nach München kommen?«, vergewisserte er sich gedehnt.
»Aber ja, Platz zum Übernachten habe ich genug. Und zum Mittagessen gehen wir in ein Lokal. Reni ist ja nicht mehr so klein und wird sich dort sicher schon gut benehmen können.«
»Aber die Fahrt, ob nun mit dem Auto oder mit dem Zug, ist sehr lang«, hielt er mahnend dagegen. »Ich denke, das ist noch nichts für die Kleine.«
»Ihr könnt doch auch einen Flieger nehmen. Ich hole euch dann vom Flugplatz ab. Ist alles ganz einfach.«
»Wenn alles ganz einfach ist, dann komm du doch her. Hier in der Nähe gibt es eine gute und billige Pension.«
»Hm, na ja …« Evelin war zu verblüfft, um sofort eine passende Antwort parat zu haben. Und er dachte spöttisch: Nun ist die Frau Doktor ratlos und sprachlos. So hat sie sich das nämlich nicht gedacht.
Zu seiner Überraschung erwiderte sie schließlich: »Die Idee ist gar nicht so schlecht. Mama und Papa sind immer noch auf Mallorca und haben auch nicht die Absicht, mich zu besuchen. Und ich habe mein Kind schon lange nicht mehr gesehen …«
»Was nicht meine Schuld ist«, warf er mit deutlicher Schärfe ein, worauf sie recht friedfertig entgegnete: »Ja, das stimmt, aber ich bin nun einmal keine Supermutter und will auch keine sein. Dennoch liegt mir Renis Wohl sehr am Herzen.«
»Tatsächlich?«
»Deine Ironie kannst du dir sparen. Also, kannst du eventuell einen Tag Urlaub nehmen, damit wir gemeinsam etwas unternehmen können?«
»Urlaub würde ich vermutlich bekommen, aber ich lebe ja nicht mehr allein. Ich muss mich erst mit Gitta abstimmen. Es wird ihr garantiert nicht gefallen, wenn sie Ostern ohne uns feiern soll. Und ich will das auch nicht.«
»Musst du ja auch nicht«, lenkte sie hastig ein. »Es geht ja nicht um uns, sondern um unsere Tochter, mit der ich lediglich ein paar Tage verbringen möchte. Ich nehme mir einen Leihwagen und mache mit ihr ein paar Ausflüge, kleide sie auch neu ein und kaufe ihr Schuhe, falls das notwendig sein sollte. Du wirst sehen, alles verläuft bestens. Wir werden bestimmt unseren Spaß haben.«
Davon war Henrik nun gar nicht überzeugt, sprach seine Zweifel aber nicht aus. Evelin war nun einmal die Mutter seines Kindes – und vielleicht hatte sie sich wenigstens ein bisschen geändert.
Er gab also seine Zustimmung zu diesem Vorhaben und hoffte, dass Gitta und vor allem seine Tochter damit einverstanden waren.
*
Nun, begeistert waren sie nicht, als er ihnen am nächsten Tag von Evelins bevorstehendem Besuch berichtete.
Gitta nickte nur, aber er hörte aus ihrem Schweigen ihre Besorgnis und Missbilligung genau heraus.
Reni hingegen überlegte eine Weile und rief dann entrüstet: »Und