Thomas Knip

Sigurd 3: Im Auftrag des Königs


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sich um, und sein Blick fiel auf eine Kommode. »Dagmars Schmuck möchte ich mir nicht entgehen lassen …«

      *

      Im Rittersaal wurden die Gäste langsam ungeduldig. Graf Gebhardt nahm selbst einen Becher Wein in die Hand, um den Gästen so zu zeigen, dass sie nicht zögern sollten, ihren Durst zu stillen.

      Alle Anwesenden prosteten ihm und dem Bräutigam zu. Hartmut nahm nur einen kleinen Schluck und sah erneut zur Treppe. »Komm mit mir«, richtete er sich an Sigurd. »Wir wollen Dagmar aufsuchen.«

      Graf Gebhardt sah den jungen Mann an seiner Seite nachdenklich an, gab ihm aber dann doch die Erlaubnis, nach seiner Braut zu sehen. Sigurd schloss sich ihm an, und zu zweit stiegen sie die breite Treppe empor.

      »So sind die Frauen, wie du schon bemerktest«, meinte Hartmut. »Über ihren neuen Kleidern hat Dagmar sicher alles andere vergessen.«

      Sie erreichten den Gang, der zu der Zimmerflucht der Grafentochter führte. Keine Wache verrichtete hier oben den Dienst. Sie alle waren entweder für den Abend freigestellt, um in der Küche an einem eigens für sie zubereiteten Festmahl teilzunehmen, oder wachten über den Rittersaal mit seinen hochrangigen Gästen.

      Hartmut blieb vor einer Tür stehen und klopfte gegen das Holz. Doch auch nach mehreren Augenblicken war keine Stimme dahinter zu hören. Der junge Graf klopfte erneut.

      »Antworte doch, Dagmar!«, bat er. »Ich bin es, Hartmut.« Noch immer war nichts zu hören. Der Graf wandte sich zu Sigurd um. »Ich verstehe das nicht«, sagte er und runzelte die Stirn. Kurz entschlossen entschied er sich, den Raum entgegen aller Gepflogenheiten zu betreten, öffnete die Tür und trat ein.

      »Dagmar, wo bist du …?«

      Hartmut machte einen Schritt ins Innere und sah das Aufblitzen vor sich erst im letzten Augenblick. Er schrak zurück und erkannte den Mann, der mit gezücktem Schwert vor ihm stand.

      »Gubo?«, rief er aus. »Was wollt Ihr hier?«

      Dieser lächelte ihn zur Antwort nur finster an. »Keine Bewegung, Graf Hartmut – oder Ihr seid des Todes!« Wie um seine Worte zu unterstreichen, richtete er die Schwertspitze gegen die Brust des Bräutigams.

      Dieser rührte sich nicht und blickte den Abenteurer nur wuterfüllt an. Sigurd hielt sich im Halbschatten des Türrahmens verborgen und konnte nicht sagen, ob der Eindringling ihn gesehen hatte.

      Gubo fuhr ungerührt fort. »Eure Braut ist jetzt schon weit fort von hier.« Er lächelte dünn. »Aber seid unbesorgt, sie ist in … sicheren Händen. Und nun«, die Spitze des Schwerts drückte gegen Hartmuts Wams, »gebt mir den Weg frei!«

      Ungerührt ob der Bedrohung griff der Graf nach seinem eigenen Schwert. »Sagt mir sofort, wohin Ihr Dagmar gebracht habt, sonst …«

      Gubo knurrte wütend. Seine Hand zuckte vor, und seine Klinge bohrte sich tief in Hartmuts rechte Schulter. Dieser schrie auf. Sein Schwert fiel klirrend auf den steinernen Boden, während er in sich zusammensackte.

      »Ihr habt es so gewollt!«, stieß Gubo auf und fletschte die Zähne wie ein Wolf. Er machte einen Schritt auf die Tür zu, doch nun stellte sich ihm Sigurd mit gezücktem Schwert in den Weg.

      »Na wartet, jetzt bekommt Ihr es mit mir zu tun!«, rief der Junker dem Schurken zu.

      Dieser lachte auf, dann blickte er in den Gang hinein. Dort war das Geräusch von Schritten und das Klirren von Waffen zu hören. Offenbar hatte Graf Gebhardt nun selbst mehrere Wachen geschickt.

      »Auch Ihr werdet mich nicht aufhalten!«, knurrte Gubo und griff mit einer schnellen Bewegung nach hinten. Sigurd sah den klobigen Schatten auf sich zufliegen und konnte nur im letzten Moment ausweichen. Krachend prallte die Sitzbank gegen die Wand.

      Es waren nur wenige Augenblicke, die der Junker aufgehalten wurde, dennoch konnte Gubo die Zeit nutzen, um in den Gang zu fliehen.

      Sigurd setzte ihm nach. »Das wirst du büßen!« Er rannte hinter dem Schurken her, der seinen Abstand sogar noch vergrößern konnte – doch mit einem Mal blieb dieser mitten im Lauf stehen. Sigurd lachte auf. Keine zwanzig Meter vor sich sah er die Schatten mehrerer Wachleute, die auf sie zueilten.

      »Da kommt die Wache!«, rief Sigurd. »Jetzt seid Ihr in der Falle. Wehrt Euch, wenn Ihr es nicht vorzieht, Euch zu ergeben!«

      Gubo sah sich hastig um und wischte sich über den Mund. Beim Anblick von Sigurds Schwert flackerten seine Augen wild. Er wich zurück an ein Fenster. Nur noch wenige Schritte trennten ihn von den Wachen, als er den Knauf seines Schwerts gegen die Glasscheibe schmetterte, die unter der Wucht zersplitterte.

      »Ich ziehe es vor, mich durch das Fenster zu verabschieden!«, brüllte er und sprang durch die Öffnung. Sigurd eilte wie die Wachen ans Fenster. Ungläubig mussten sie mitansehen, wie der Schurke den verzweifelten Sprung wie durch ein Wunder überstand und in das eiskalte Wasser des Burggrabens eintauchte.

      Die nachgesandten Pfeile der Wachen verfehlten in der Dunkelheit ihr Ziel. Sigurd unterdrückte einen Fluch. Bis er den Graben erreicht hatte, würde Gubo längst über alle Berge sein. Und vor allem galt es, sich zuerst um den verwundeten Hartmut zu kümmern …

      ZWEI

      Der Leibarzt von Graf Gebhardt wurde eilig herbeigerufen, um die heftig blutende Wunde zu versorgen. Der Graf selbst hatte inzwischen alle Feierlichkeiten beendet und den bestürzt zuhörenden Anwesenden berichtet, was geschehen war.

      Derweil wachte Sigurd an Hartmuts Bett, der wieder aus der Ohnmacht erwacht war. Ein schwerer Verband bedeckte seine rechte Schulter, während er als Schutz vor der Kälte in Decken gehüllt war. Dennoch konnte Sigurd das unterdrückte Zittern seines Körpers deutlich sehen.

      Er berichtete Hartmut, wie es Gubo gelungen war, zu entkommen. »Dieser Schurke! So viel Mut hätte ich ihm nicht zugetraut!«, schloss er seinen Bericht.

      Hartmut wandte ihm mühevoll den Kopf zu. »Wir müssen die Mädchen unbedingt befreien«, löste es sich von seinen Lippen. »Wäre ich nur nicht verwundet … Unglücklicherweise traf er meine rechte Schulter. So ist es mir unmöglich zu kämpfen!« Er ließ den Kopf mit einem Stöhnen sinken.

      Sigurd erhob sich. »Mit dieser Wunde kannst du wahrhaftig nicht reiten und noch weniger kämpfen!«, stellte er unumwunden fest. »Dieser Gubo hat auch mich überlistet, das vergesse ich ihm nicht!«

      Er beugte sich zu Hartmut herab. »Wenn du erlaubst, verfolge ich ihn – und du darfst mir glauben, dass ich Dagmar und ihre Zofe Bettina zurückbringe.«

      Der junge Graf nickte nur schwach und fiel in einen leichten Schlaf.

      Sigurd blickte den Leibarzt an. Dieser bat ihn, den Verwundeten alleine zu lassen, und so verließ der Junker den Raum. Er machte sich auf den Weg zu Graf Gebhardt, um auch ihm seinen Vorschlag zu unterbreiten, die Verfolgung aufzunehmen. Dieser erklärte sich einverstanden, dankte ihm für das Angebot und bot ihm an, ihn mit allem Nötigen zu versorgen.

      Bodo und Cassim warteten bereits ungeduldig in seinem Zimmer auf Sigurds Rückkehr. Als er ihnen sein Vorhaben berichtete, war für sie beide selbstverständlich, dass sie ihn dabei begleiten würden.

      Da es keinen Sinn hatte, mitten in der Nacht nach Spuren zu suchen, nutzten die Freunde die Stunden bis zum Morgengrauen, um sich ausgeruht ihrer Aufgabe zu stellen. Noch bevor die Sonne aufgegangen war, standen sie auf und verabschiedeten sich von Graf Gebhardt, der vor Sorge keinen Schlaf gefunden hatte. Sie ließen ihre Pferde satteln und bekamen von den Mägden aus der Burgküche ein reichhaltiges Proviantpaket für den Weg überreicht.

      Trübe Wolkenschleier bedeckten den morgendlichen Himmel, als sie die Verfolgung aufnahmen …

      *

      Gubo hatte inzwischen die Zeit genutzt und seine Männer eingeholt. Sie hatten zwei weitere Pferde geraubt, auf denen die Mädchen ritten. Die ganze Nacht hindurch hatten sie ihren Reittieren keine Rast gegönnt, bis sie am frühen Morgen einen breiten Strom