Thomas Knip

Sigurd 3: Im Auftrag des Königs


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hallte in dem Saal wider. »Die Statue scheint aus reinem Gold zu sein und ist über und über mit Juwelen besetzt!«

      Sein Blick fiel auf die Edelsteine, die den Hals der Statue wie eine Kette umschlossen.

      »Ein unheimliches Götzenbild«, erwiderte Dagmar, die es bei deren Anblick schauderte. »Lasst uns umkehren!«, flehte sie den Abenteurer an.

      ›Umkehren? Dazu ist es jetzt zu spät!‹, antwortete ihr eine hohle Stimme aus der Tiefe des Raums.

      Noch ehe die Gruppe reagieren konnte, war sie von zahllosen halbnackten Menschen umringt, die zwischen den Säulen hervorsprangen und ihre steinernen Speere drohend auf sie richteten. Ein Mann stieg auf ein Podest und blickte sie zornig an. Er war neben seinem Lendenschurz in eine Echsenhaut gekleidet, die ihn wie eine Rüstung umgab und auch seinen Kopf bedeckte.

      »Ich bin Vathu«, schmetterte seine Stimme durch die Halle. »Und ihr, ihr habt unsere Warnung nicht beachtet, Fremdlinge!« Drohend wies er auf die Gruppe. »Jetzt müsst ihr euren Leichtsinn büßen!«

      »Zum Teufel, wir sind umzingelt!«, begehrte Endres auf. Zähnefletschend stieß er einen Speer zur Seite, doch sofort richteten sich zwei weitere auf ihn.

      »Überwältigt die Eindringlinge und bindet sie!«, befahl Vathu den Inselbewohnern.

      Bevor sich Gubo von seiner Überraschung erholen konnte, wurde er von den Wilden gefesselt. Er sah, wie sie auch nach den Mädchen griffen, bis er bemerkte, wie es Benno gelang, zum Ausgang zu flüchten.

      Ohne es unterdrücken zu können, lachte er auf, doch ein Hieb mit dem stumpfen Ende eines Speers ließ ihn schmerzerfüllt in die Knie gehen.

      *

      Benno hetzte durch die dunklen Gänge und konnte nur hoffen, sich den Weg richtig eingeprägt zu haben. Hinter sich hörte er das wütende Geheul der Wilden, und trotz der Erschöpfung, die in seinen Knochen steckte, beschleunigte er seine Schritte.

      Endlich tauchte vor ihm die lichterfüllte Öffnung auf, die ins Freie führte. So schnell er konnte, rannte er auf das nahe Dickicht zu.

      Hinter ihm holten seine Verfolger schneller auf, als er gehofft hatte. Ein Schatten jagte zischend an seinem Kopf vorbei und blieb in einem Baumstamm stecken. Mit großen Augen sah Benno den Speer an und blickte sich verzweifelt um.

      *

      Wütend schrien die Verfolger auf, als der Speer sein Ziel verfehlte. Die Männer wollten dem Flüchtenden nachsetzen, als Kerum sie zurückhielt.

      »Wozu ihn verfolgen? Der Tod ist in meinem Pfeil.«

      Obwohl der Fliehende schon fast das Unterholz erreicht hatte, spannte der Eingeborene in aller Ruhe den Bogen und legte an. Sirrend löste sich der Pfeil von der Sehne und traf sein Ziel. Mit einem Aufschrei warf Benno die Arme in die Luft und brach noch in der Bewegung zusammen.

      »Er ist getroffen«, stellte Kerum zufrieden fest. »Kommt, lasst uns zurückkehren«, wies er die übrigen Männer an.

      *

      Im Inneren des Heiligtums ahnten die Gefangenen nichts von Bennos Schicksal. Sie wurden gefesselt und von Dutzenden von Wilden bewacht vor Vathu geführt.

      »Ihr habt die Gesetze der Dämonen gebrochen!«, donnerte dessen Stimme durch die Halle, und die übrigen Inselbewohner stimmten in ein wütendes Geheul ein. Vathu brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen.

      »Ihr werdet morgen unserer Gottheit geopfert!«, fuhr er fort. »In den Kerker mit ihnen!«, richtete er sich an alle Anwesenden, die in Jubel ausbrachen. Mehrere von ihnen nahmen die Gruppe in ihre Mitte und führten sie aus der Halle davon.

      »Nur durch Eure Schuld sind wir jetzt in dieser verzweifelten Lage«, stieß Dagmar aus, der es schwerfiel, noch ihre Beherrschung zu bewahren. Sie konnte hören, wie Bettina neben ihr unentwegt schluchzte, und musste selbst mit den Tränen kämpfen.

      »Ich weiß, Gräfin Dagmar«, antwortete der Abenteurer und senkte den Blick. »Ich habe unrecht gehandelt. Aber ich ahnte nicht, dass es so kommen würde!« Er stemmte sich gegen seine Fesseln, bis sich eine Speerspitze in seine Seite bohrte. Unterdrückt schrie er auf. »Wüsste ich nur einen Ausweg …«

      DREI

      Im Morgengrauen des nächsten Tages erreichte auch Sigurd mit seinen Gefährten die Insel. Ihnen schauderte beim Anblick der dunklen Rauchsäule, die aus dem Vulkankegel quoll, der hoch über der Insel in den Himmel ragte.

      Obgleich die Strömung, wie von Arnulf, dem Fischer, angekündigt, nachgelassen hatte, musste dieser all sein Geschick aufwenden, um das Boot durch das tückische Wasser zu steuern. Überall ragten schroffe Felsen für einen Augenblick empor, nur um im nächsten Moment von einer Welle verdeckt zu werden.

      Er hielt auf einen Küstenabschnitt zu, der flach zum Wasser abfiel. Sigurd stand am Bug und blickte angespannt aufs Ufer. Mit einem Mal sah er die gesplitterten Planken und einen zerborstenen Mast, die von den Wellen gegen die Felsen getrieben wurden.

      »Dort ist Gubos Boot gestrandet!«, rief er, und sofort eilten Bodo und Cassim zu ihm.

      »Lasst uns schnell an Land gehen«, mahnte er sie zur Eile, und seine Gefährten packten die Ausrüstung zusammen. Er sah sich angestrengt um. Zu seiner Erleichterung entdeckte er keinen leblosen Körper am Strand. Alle Insassen schienen sich ans Ufer gerettet zu haben.

      Als das Wasser flach genug war, sprangen Bodo und er mit einem Seil in der Hand aus dem Boot und zogen den Rumpf so weit aus dem Meer, dass das Boot nicht von der Strömung mitgezogen werden konnte.

      »Warte hier auf uns«, bat er den Fischer. »Aber sieh dich besser vor, Alter.«

      Das brauchte er Arnulf nicht zweimal zu sagen. Dessen Augen suchten den dichten Wald voller Scheu ab, und er entschied sich, das Boot nicht zu verlassen. Zum Abschied winkten sie sich zu, dann drangen Sigurd, Bodo und Cassim in das Innere der Insel vor. Auf ihr Rufen hatte sich niemand gemeldet, also gingen sie davon aus, dass sich Gubo mit den Frauen in den Wald zurückgezogen hatte.

      Sigurd blieb nur zu hoffen, dass der Schurke so einsichtig war, die Ausweglosigkeit seiner Lage zu erkennen und sich stellte. Ansonsten würde er mit seinen Geiseln für alle Zeit auf der Insel gefangen sein.

      Die Freunde nutzten ihre Schwerter, um einen Pfad in das Dickicht zu schlagen. Immer wieder blieben sie stehen und lauschten in die Stille, in der die unberührt scheinende Natur vor ihnen lag. Sigurd rief die Namen der Gesuchten, doch niemand antwortete ihm.

      Unverdrossen setzten sie ihren Weg fort. Je tiefer sie in die Insel vordrangen, desto beklemmender wurde die Atmosphäre. Ein fahles Licht beherrschte den Himmel, kein Windhauch fuhr mehr durch das Blattwerk der Bäume, die nun spärlicher wuchsen und den Blick auf die Umgebung freigaben.

      Cassims Schrei schreckte die Begleiter aus ihren Überlegungen.

      »Sigurd, sieh dort!« Der Junge wies nach vorne. »Da liegt ein Mann, er scheint verwundet!«

      Der Körper lag in verkrümmter Haltung am Boden und war zwischen den fleischigen Blättern der Büsche kaum auszumachen gewesen.

      Sie eilten auf die Stelle zu und fanden einen Mann mit einer Augenklappe, der sich nur schwach bewegte. In seinem Rücken steckte ein Pfeil, und das Hemd war an der Stelle tiefrot getränkt.

      »Ihr seid verwundet!«, rief Bodo aus. »Was ist geschehen? Schnell, berichtet!«

      Der Verwundete blickte auf. Ein schmerzvoller Laut drang aus seinem Mund. Er schüttelte müde den Kopf, als er die Ankömmlinge sah und sackte ins Gras.

      »Ich bin ein Gefährte Gubos …«, brachte Benno stöhnend hervor. »Wir fielen den Inselbewohnern in die Hände … alle wurden gefangen …«

      Sigurd ging neben ihm in die Knie und stützte ihn. Benno hustete und schnappte nach Luft. »Nur ich konnte fliehen …«, fuhr er fort. »Aber diese Teufel schossen mir einen Pfeil in den