Christoph Bausenwein

Joachim Löw und sein Traum vom perfekten Spiel


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      Jogi spielte zunächst für die Turn- und Sportfreunde Schönau von 1896, mit denen er 1970 seinen ersten Titel errang: Bezirksmeister der D-Jugend. Später wechselte er zum Konkurrenzverein FC. Fußball war sein Leben. »Jeden Tag nach der Schule habe ich mit Freunden auf der Straße gespielt«, erzählt er, stundenlang. Auch ehemalige Mitspieler beschreiben ihn als enorm ehrgeizig. »Selbst den Weg zum Training und zurück hat er mit dem Ball am Fuß zurückgelegt«, erinnert sich Hansi Schulzke. Dietmar Krumm, Amtsleiter in Schönau und Jugendleiter des FC, bezeichnet den jungen Jogi, der einfach »dauernd mit dem Ball unterwegs« gewesen sei, als das »Jahrhunderttalent« von Schönau. Viele Jahre habe er mit dem heutigen Bundestrainer gemeinsam in der Jugend gespielt. »Jogi war zwar jünger als wir, kickte aber immer eine Altersstufe höher. Er war ein prima Kumpel, auf den man sich immer verlassen konnte. Wir beide hatten damals nur Fußball im Kopf.« Die Freundschaft hielt über die Jugend hinaus. Nach der Ernennung zum Bundestrainer schrieb Krumm als einer der Ersten eine Glückwunschmail – Löw antwortete sofort. Und natürlich blieb der berühmteste Fußballer aus Schönau seinem Heimatverein bis heute eng verbunden. Am 24. Juli 2007, zur Eröffnung des neuen Kunstrasenplatzes im Buchenbrandstadion, erschien der Bundestrainer selbstverständlich höchstpersönlich.

      Jogis großer Förderer war Wolfgang Keller, eine Schönauer Trainer-Legende, durch dessen Lehre mehrere spätere Profis gegangen waren. Keller nahm seine Aufgabe ernst, trimmte seine Jungs in Trainingslagern, machte sie mit Deuser-Gummibändern fit und lehrte sie das Offensivspiel mit direktem Zug zum Tor. Die Schülerteams des FC Schönau waren weithin gefürchtet für ihre Torgefährlichkeit. Und der Jogi, so heißt es, habe die Hälfte aller Tore geschossen. »Seine Stärke war das Eins-gegen-eins, und der Abschluss«, so Keller. »In einem Spiel hat er mal 18 Tore geschossen, das war Rekord.« Obwohl er immer der Jüngste gewesen sei, erzählt Keller, habe er sich durchgesetzt. Er sei aber nicht nur eine Riesenbegabung gewesen, sondern zudem »charakterlich einwandfrei«. Bis zum 16. Lebensjahr hat Keller den talentierten und fleißigen Jugendspieler betreut, oft hat er ihn abgeholt und nach Auswärtsspielen vor dem Elternhaus wieder abgesetzt.

      Die nächste wichtige Bekanntschaft des ehrgeizigen Fußballers Jogi Löw war ein Altersgenosse, Henry Schüler, mit dem er bei einem Lehrgang in der südbadischen Sportschule Steinbach zusammentraf. Schülers Vater Gerhard war sehr engagiert im Nachwuchsbereich von Eintracht Freiburg, einem damals für seine gut geführte Jugendabteilung weithin bekannten Verein. Er überredete das bereits von zahlreichen Vereinen wie dem FC Basel oder dem Freiburger FC umworbene Talent aus Schönau, sich der Eintracht anzuschließen. Erster Anlass für den Umzug nach Freiburg, wo er zunächst als »Gastsohn« bei der Familie Schüler unterkam, war freilich eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann, die er nun begann. Außerdem, so sollte der erwachsene Joachim Löw erläutern, habe er sich damals ganz bewusst vom Elternhaus abnabeln wollen. Der Vater sei zwar stolz gewesen auf seinen talentierten Sohn, habe ihn auch unterstützt, aber er sei letztlich »alles andere als ein ›Fußball-Vater‹« gewesen: »Für ihn war wichtiger, dass ich vor Beginn der Profikarriere meine Ausbildung abschloss.« Also nahm der Sohn seine berufliche Ausbildung ernst und versuchte daneben, sein fußballerisches Können in der A-Jugend der Eintracht zu perfektionieren. Schließlich fand der 17-Jährige, der trotz seines geringen Monatseinkommens von rund 500 DM bald eine eigene kleine Wohnung beziehen sollte, über die Eintracht (und die Berufsschule) auch sein privates Glück: Er lernte Daniela kennen und lieben, die Tochter des damaligen Eintracht-Vereinsvorsitzenden Hans Schmid, seine spätere Frau.

      Im Jahr 1978 war der SC Freiburg nicht zuletzt dank der Tore von Wolfgang Schüler in die 2. Liga Süd aufgestiegen. Der ältere Bruder des Löw-Freundes Henry Schüler hatte seine fußballerische Grundausbildung ebenfalls bei der Eintracht absolviert. Kein Wunder also, dass sich die Breisgauer auf der Suche nach Nachwuchs-Talenten erneut bei der Eintracht umsahen und schließlich den 18-jährigen Torjäger Jogi Löw verpflichteten. Der hatte da bereits ein Jugend-Länderspiel bestritten und sich den Ruf als eines der größten Talente Südbadens erworben. Der 1,79 Meter große Schlaks mit dem Pilzkopf kam ab dem 2. Spieltag zum Einsatz und erlebte einen fürchterlichen Auftakt: 0:5 in Offenbach, 0:5 gegen Homburg, 0:2 in Fürth. Dann ging es mit einem 4:3-Sieg gegen Saarbrücken endlich aufwärts. Seinen ersten Treffer erzielte das grazile Sturmtalent am 9. Spieltag zum 2:0 gegen Baunatal (Endstand 3:1). Unter Trainer Heinz Baas, der den erfolglosen Manfred Brief abgelöst hatte, etablierte sich der Neue als Stammspieler. Als der erhoffte Torjäger erwies er sich jedoch noch nicht: Er erzielte in dieser Spielzeit nur noch drei weitere Treffer.

      In der nächsten Saison unter Jupp Becker, ehemaliger Nachwuchscoach des VfB Stuttgart und ein ausgemachter Verfechter des Angriffsfußballs, lief es wesentlich besser. Löw machte alle Spiele mit – in der damaligen 20er-Liga waren das 38 – und erzielte 14 Tore. In derselben Spielzeit verdiente er sich zudem internationale Lorbeeren. Am 10. Oktober 1979 erhielt er seine erste Berufung in die damals von Berti Vogts betreute Juniorenauswahl (U21) des DFB. Beim 0:1 gegen Polen in Thorn wurde er in der zweiten Hälfte für Klaus Allofs eingewechselt. Bis zum Frühjahr 1980 folgten drei weitere Spiele an der Seite von späteren Fußballgrößen wie Lothar Matthäus, Rudi Völler, Pierre Littbarski und Bernd Schuster. »Dort gab es schon ein gewisses Niveau, und ich war eine feste Größe«, wird Löw noch Jahre später nicht ohne Stolz erzählen.

      Es war bei dieser Leistungsbilanz kein Wunder, dass der stilbewusste junge Offensivspieler, der – wie damals nicht unüblich – eine Vorliebe für Schlaghosen hatte und modische Hemden mit ganz langen Krägen, der zudem einen Schnäuzer trug und einen Ring im linken Ohr, den Talentjägern der großen Bundesligavereine ins Auge gefallen war. Es gab Angebote von Bayern, Schalke, Frankfurt und dem VfB. Löw entschied sich schließlich für die Stuttgarter, die eine für damalige Verhältnisse recht üppige Ablöse von 500.000 DM hinlegten. Er hatte nun glänzende Perspektiven. Sein letztes Spiel für den SC Freiburg bestritt er am 18. Mai 1980 in Bürstadt. Die Breisgauer gewannen locker mit 5:1. Doch Joachim Löw war beim Abpfiff nicht mehr auf dem Platz: In der 49. Minute hatte er nach einem Ellbogencheck Rot gesehen. Es war ein etwas unrühmlicher Abschied für den normalerweise stets fairen Spieler.

      Während der Vorbereitung zur Bundesligasaison in Stuttgart hinterließen das Talent aus dem Schwarzwald und die zwei weiteren Neuzugänge aus der 2. Liga – Karl Allgöwer von den Stuttgarter Kickers und Dieter Kohnle vom SSV Ulm – in den ersten Testspielen einen guten Eindruck. Während Allgöwer zu einer tollen Karriere durchstartete, hatten jedoch Kohnle und Löw Pech. Denn sie lagen noch vor Saisonbeginn zusammen auf Zimmer 544 des Stuttgarter Katharinenhospitals. Kohnle mit Kapsel- und Bänderriss, Löw mit Schienbeinbruch. Jürgen Sundermann bedauerte den Ausfall seiner beiden Talente: »Beide hatten sich mit großem Ehrgeiz hineingekniet, waren auf dem besten Wege, versprachen viel.«

      Vier Tage vor dem ersten Ligaspiel hatte Löw das Schicksal in Gestalt des englischen Nationaltorhüters Ray Clemence ereilt. Es war schon etwas kurios. Löw hatte bis dahin immer à la Paul Breitner mit heruntergezogenen Stutzen gespielt. Ohne Schienbeinschoner. Nach dem Wechsel zum VfB war dann die Anweisung von Trainer Jürgen Sundermann ergangen: »Stutzen unten geht nicht mehr, verboten. Schienbeinschoner anziehen!« Balltechnisch begabte Spieler wie Joachim Löw hassten Schienbeinschoner. Aber er gehorchte und zog sie sich an. Und dann passierte es: »Mein allererstes Spiel mit Schienbeinschoner, ein Vorbereitungsspiel gegen Liverpool: Schienbeinbruch! Ich bin von der Mittellinie alleine auf den Torwart zugelaufen, den Ball ein bisschen zu weit vorgelegt – dann tritt Ray Clemence auf mein Standbein.«

      Diese 13. Minute im Stuttgarter Neckarstadion beim letzten Vorbereitungsspiel zur Saison 1980/81 hatte schwerwiegende Folgen. »Bis vor meinem Schienbeinbruch war ich überragend, wirklich gut«, erinnert sich Löw. Es war ein komplizierter Bruch. Vier Wochen lag er im Krankenhaus, insgesamt acht Wochen trug er Gips: »Mein Oberschenkel hatte danach den Umfang meines Oberarms.« Es dauerte Monate, bis er wieder einigermaßen belastbar war. Am Ende der Saison wagte er vier Einsätze. Aber es war nicht mehr so wie zuvor. »Ich war nicht mehr so schnell, das war das Problem. Und ich hatte Angst.« Aber noch gab es Hoffung. Er war ja gerade erst 21 Jahre alt geworden. Hätte