Carlo Andersen

Der verschwundene Film


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Zigarrenrauch legte sich in dicken Wolken über Helmers Kopf, während er die Rapporte weiterlas. Plötzlich wurde an die Türe geklopft, und ein Polizeibeamter trat ein.

      «Es ist ein Herr draussen, der mit Ihnen sprechen möchte, Herr Kommissar», meldete er.

      «Wie heisst er?» fragte Helmer.

      «Josef Bergvall. Es ist der schwedische Filmregisseur.»

      Helmer erhob sich.

      «Lassen Sie ihn eintreten, lassen Sie ihn eintreten!»

      Kurz darauf stand Bergvall in der Türe. Helmer ging ihm mit erfreutem Lächeln entgegen.

      «Josef! Das ist wirklich eine Überraschung. Komm, setz dich und lass mich Neuigkeiten aus Schweden hören.»

      Er bot seinem Besucher eine Zigarre an, reichte ihm Feuer und lehnte sich in seinem Sessel zurück.

      «Jan erzählte mir von dir und sagte, es stünde alles gut. Du bist also ein berühmter Filmmann geworden, seit wir uns das letztemal gesehen haben.»

      Nun war Helmer in seinem Element; die niedergedrückte Stimmung hatte er abgeschüttelt. Die lebhafte Unterhaltung drehte sich um alte Erinnerungen an Schweden und Dänemark, bis Bergvall dem heiteren Gespräch ein Ende machte und sagte: «Aber in Wirklichkeit hat mich eine ernste Angelegenheit zu dir gebracht, lieber Freund. Ich bin gekommen, um deinen Beistand als Polizeimann zu erbitten.»

      «Als Polizeimann? Du hast doch nicht etwa ein Verbrechen begangen?»

      «Nein, das nicht», erwiderte Bergvall mit einem kleinen Lächeln. «Aber es ist ein Verbrechen geschehen, und ich möchte dich bitten, uns beim Aufspüren zu helfen.»

      «Was ist es denn» fragte der Kommissar.

      «Mein Film ist verschwunden!»

      «Dein Film?»

      «Ja, einfach verschwunden.»

      «Ich muss dich um eine etwas ausführlichere Erklärung ersuchen», sagte Helmer. «Ich verstehe kein Wort. Von was für einem Film redest du eigentlich?»

      Bergvall strich die Asche von seiner Zigarre und beugte sich über den Schreibtisch. «Ich will dir alles von Anfang an erzählen», sagte er. «Vor einem Monat wurde ich von der Rex-Filmgesellschaft beauftragt, eine dänische Fassung von einem Film zu machen, mit dem ich in Schweden grossen Erfolg gehabt habe. Der Film heisst ‚Lied der Wellen‘ und spielt in Segelsportkreisen. Vor vierzehn Tagen begannen wir in Kopenhagen mit den Aufnahmen. Die Hauptrollen spielen Jens Martin und Birthe Bang, die Tochter von Ivar Bang, dem Direktor der Rex-Film. Das Ganze sah sehr vielversprechend aus, und wir kamen mit den Aufnahmen recht gut voran, abgesehen davon, dass Jens Martin ab und zu krank wurde, so dass wir mit ihm noch nicht viele Szenen drehen konnten. Aber du weisst ja, dass man beim Filmen selbst bestimmen kann, in welcher Reihenfolge die Szenen gedreht werden sollen, und wir haben deshalb mit Rücksicht auf Martin zuerst alle die Szenen vorgenommen, in denen er nicht mitwirkt. Alles ging gut; doch dann gelangten wir zu dem Punkt, wo wir die übrigen Szenen mit Martin drehen mussten. Da erhielten wir plötzlich Bescheid von seinem Arzt, dass sein Gesundheitszustand sich verschlechtert hätte, und dass er ein paar Wochen lang nicht arbeiten könnte. Er hat ein Halsleiden und muss sich vollständig schonen. Er selbst ist natürlich unglücklich deswegen; aber Krankheit ist eine höhere Gewalt, über die man nicht Herr ist. Dagegen lässt sich nichts machen.»

      «Was hat denn das alles mit dem verschwundenen Film zu tun?» warf Helmer ein.

      «Gar nichts. Ich erzähle es dir nur, damit du einen Überblick über die ganze Lage hast.»

      «Und der Film?»

      «Ja, höre. Bis jetzt haben wir fast die Hälfte aufgenommen, und es ist noch keine Kopie hergestellt worden, so dass wir also nur die Originalaufnahmen haben. Dieser Film lag in der technischen Abteilung der Rex-Gesellschaft in einem Schrank, und gestern nachmittag sahen wir ihn zum letztenmal. Als die Techniker heute morgen erschienen, um mit dem Kopieren anzufangen, waren die Filmrollen weg!»

      «Ein Einbruch?»

      «Es sieht so aus. Ein Fenster in der technischen Abteilung ist gewaltsam geöffnet worden, und der Schrank, in dem die Filmrollen lagen, ist beschädigt. Er scheint mit einem Brecheisen aufgebrochen worden zu sein. Die drei Metallkassetten mit dem Film sind verschwunden. Sonst fehlt nichts.»

      «Hat man den Einbruch gemeldet?»

      «Bis jetzt nicht, aus guten Gründen, die ich dir auch erklären will. Als die Techniker entdeckten, dass die Filmrollen verschwunden waren, meldeten sie es sofort Direktor Ivar Bang, der mich anrief und von dem Geschehnis in Kenntnis setzte. Wir hielten dann eine Sitzung ab, um zu besprechen, was wir machen sollten, und das Ergebnis war, dass wir den Entschluss fassten, die Polizei nicht zu benachrichtigen.»

      «Warum denn nicht?»

      «Das ist eine etwas verwickelte Geschichte. Die Sache ist nämlich die: Als die Rex-Filmgesellschaft beschloss, das ‚Lied der Wellen‘ in einer dänischen Fassung zu drehen, hatte ihre Konkurrenz, die Dana-Filmgesellschaft, die Absicht, einen ähnlichen Segelsportfilm zu machen. Die Rex-Gesellschaft hatte aber einen zeitlichen Vorsprung, weil alle Vorarbeiten schon geleistet waren, und darum gab die Dana ihre Pläne auf. Ein Konkurrenz-Film hätte auch keine grossen Chancen gehabt, denn die schwedische Fassung vom ‚Lied der Wellen‘ war ein so grosser Erfolg geworden, dass auch die Rex-Gesellschaft mit einem vollen Erfolg rechnen konnte. Die Dana gab es also auf, den geplanten Segelsportfilm zu drehen, und das hörten wir natürlich, da in Filmkreisen vieles durchsickert, auch wenn die leitenden Stellen den Mund halten. Wir begannen also frohgemut mit den Aufnahmen, und alles liess sich gut an, abgesehen davon, dass Martins Erkrankung die Arbeit verzögerte und nun noch mehr verzögern wird. Trotzdem haben wir auf jeden Fall einen Vorsprung, und selbst wenn wir durch Martins Arbeitsunfähigkeit längere Zeit aussetzen müssten, könnten wir uns nicht davon abhalten lassen, den Film fertigzustellen. Es ist schon so viel Geld hineingesteckt worden, dass wir die Arbeit nicht abbrechen dürfen. Wenn es aber in der Öffentlichkeit bekannt wird, dass wir nicht beizeiten fertig werden, und dass alle unsere bisherigen Aufnahmen gestohlen worden sind, kann es sein, dass die Dana-Gesellschaft ihren Plan doch wieder aufgreift, und dann geraten wir möglicherweise zeitlich ins Hintertreffen. Deshalb wollen wir über den Diebstahl Stillschweigen bewahren und schauen, ob sich die Sache nicht aufklären und bereinigen lässt, ohne dass die Polizei benachrichtigt und die Neuigkeit überall verbreitet wird. Ich weiss nicht, ob ich mich genügend verständlich gemacht habe?»

      «Vollkommen», antwortete Helmer. «Ich begreife auch die Beweggründe der Filmgesellschaft, die Sache nicht an die grosse Glocke zu hängen. Aber was soll ich denn nun tun?»

      «Den gestohlenen Film wieder herbeischaffen!»

      «Vielen Dank für das Vertrauen. Das wird jedoch eine schwierige Sache werden, bei der man den Polizei-Apparat braucht. Wir müssen überlegen, wie sich das Problem lösen lässt, ohne dass über das Geschehnis geredet wird. Wie viele Menschen wissen bis jetzt, dass die Filmrollen verschwunden sind?»

      «Vier.»

      «Und wer sind die vier?»

      «Direktor Bang, zwei Techniker und ich. Sonst weiss niemand etwas, und wir haben die Absicht, die Arbeit fortzusetzen, als ob nichts geschehen wäre.»

      «Aber Jens Martin ist doch krank...»

      «Wir gehen mit dem Gedanken um, die Rolle umzubesetzen. Vorläufig haben wir ja erst ganz wenige Szenen mit Martin aufgenommen, und es wäre kein grosser Verlust, sie noch einmal zu drehen. Ursprünglich hatten wir überhaupt im Sinn, die männliche Hauptrolle dem jungen Schauspieler Kaj Winther zu geben; aber Birthe Bang, die Tochter des Direktors, die die weibliche Hauptrolle spielt, war so sehr dagegen und machte so viele Einwendungen, dass die Rolle schliesslich mit Martin besetzt wurde. Birthe Bang und Kaj Winther waren früher recht gute Freunde; es ging sogar das Gerücht, dass sie heiraten wollten. Aber Birthe brach die Beziehung plötzlich ab, und so kam es, dass Jens Martin ihr Partner wurde. So etwas kann vorkommen. Ich persönlich hätte den Film am liebsten mit Winther