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Franz Kafka: Sämtliche Werke


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ihm als etwas streng zusammengehöriges, das leer, glatt und für ihn vorbereitet dalag und mit einer starken Stimme nach ihm verlangte. Herrn Pollunders Güte und Herrn Greens Abscheulichkeit verschwammen und er wollte aus diesem rauchigen Zimmer nichts anderes für sich haben als die Erlaubnis zum Abschiednehmen. Zwar fühlte er sich gegen Herrn Pollunder abgeschlossen, gegen Herrn Green kampfbereit und doch erfüllte ihn ringsherum eine unbestimmte Furcht, deren Stöße seine Augen trübten.

      Er trat einen Schritt zurück und stand nun gleich weit von Herrn Pollunder und von Herrn Green entfernt. „Wollten Sie ihm nicht etwas sagen?“ fragte Herr Pollunder Herrn Green und faßte wie bittend Herrn Greens Hand. „Ich wüßte nichts, was ich ihm sagen sollte?“ sagte Herr Green, der endlich einen Brief aus seiner Tasche gezogen und vor sich auf den Tisch gelegt hatte. „Es ist recht lobenswert, daß er zu seinem Onkel zurückkehren will und nach menschlicher Voraussicht sollte man glauben, daß er dem Onkel eine besondere Freude damit machen wird. Es müßte denn sein, daß er durch seine Unfolgsamkeit den Onkel schon allzu böse gemacht hat, was ja auch möglich ist. Dann allerdings wäre es besser, er bliebe hier. Es ist eben schwer etwas bestimmtes zu sagen, wir sind zwar beide Freunde des Onkels und es dürfte Mühe machen zwischen meiner und Herrn Pollunders Freundschaft Rangunterschiede zu erkennen, aber in das Innere des Onkels können wir nicht hineinschauen und ganz besonders nicht über die vielen Kilometer hinweg, die uns hier von New York trennen.“ „Bitte Herr Green“, sagte Karl und näherte sich mit Selbstüberwindung Herrn Green, „ich höre aus Ihren Worten heraus, daß Sie es auch für das Beste halten, wenn ich gleich zurückkehre.“ „Das habe ich durchaus nicht gesagt“, meinte Herr Green und vertiefte sich in das Anschauen des Briefes, an dessen Rändern er mit zwei Fingern hin und her fuhr. Er schien damit andeuten zu wollen, daß er von Herrn Pollunder gefragt worden sei, ihm auch geantwortet habe, während er mit Karl eigentlich nichts zu tun habe.

      Inzwischen war Herr Pollunder zu Karl getreten und hatte ihn sanft von Herrn Green weg zu einem der großen Fenster gezogen. „Lieber Herr Roßmann“, sagte er zu Karls Ohr herabgebeugt und wischte zur Vorbereitung mit dem Taschentuch über sein Gesicht und bei der Nase innehaltend schneuzte er, „Sie werden doch nicht glauben, daß ich Sie gegen Ihren Willen hier zurückhalten will. Davon ist ja keine Rede. Das Automobil kann ich Ihnen zwar nicht zur Verfügung stellen, denn es steht weit von hier in einer öffentlichen Garage, da ich noch keine Zeit hatte, hier, wo alles erst im Werden ist, eine eigene Garage einzurichten. Der Chauffeur wiederum schläft nicht hier im Haus, sondern in der Nähe der Garage, ich weiß wirklich selbst nicht wo. Außerdem ist es gar nicht seine Pflicht jetzt zuhause zu sein, seine Pflicht ist es nur, früh zur rechten Zeit hier vorzufahren. Aber das alles wären keine Hindernisse für Ihre augenblickliche Heimkehr, denn wenn Sie darauf bestehn, begleite ich Sie sofort zur nächsten Station der Stadtbahn, die allerdings so weit entfernt ist, daß Sie nicht viel früher zuhause ankommen dürften, als wenn Sie früh – wir fahren ja schon um sieben Uhr – mit mir in meinem Automobil fahren wollen.“ „Da möchte ich, Herr Pollunder, doch lieber mit der Stadtbahn fahren“, sagte Karl. „An die Stadtbahn habe ich gar nicht gedacht. Sie sagen selbst daß ich mit der Stadtbahn früher ankomme, als früh mit dem Automobil.“ „Es ist aber ein ganz kleiner Unterschied.“ „Trotzdem, trotzdem Herr Pollunder“, sagte Karl, „ich werde in Erinnerung an Ihre Freundlichkeit immer gerne herkommen, vorausgesetzt natürlich daß Sie mich nach meinem heutigen Benehmen noch einladen wollen, und vielleicht werde ich es nächstens besser ausdrücken können, warum heute jede Minute, um die ich meinen Onkel früher sehe, für mich so wichtig ist.“ Und als hätte er bereits die Erlaubnis zum Weggehn erhalten, fügte er hinzu: „Aber keinesfalls dürfen Sie mich begleiten. Es ist auch ganz unnötig. Draußen ist ein Diener der mich gern zur Station begleiten wird. Jetzt muß ich nur noch meinen Hut suchen.“ Und bei den letzten Worten durchschritt er schon das Zimmer, um noch in Eile einen letzten Versuch zu machen, ob sein Hut doch vielleicht zu finden wäre. „Könnte ich Ihnen nicht mit einer Mütze aushelfen“, sagte Herr Green und zog eine Mütze aus der Tasche, „vielleicht paßt sie Ihnen zufällig.“ Verblüfft blieb Karl stehn und sagte: „Ich werde Ihnen doch nicht Ihre Mütze wegnehmen. Ich kann ja ganz gut mit unbedecktem Kopf gehn. Ich brauche gar nichts.“ „Es ist nicht meine Mütze. Nehmen Sie nur!“ „Dann danke ich“, sagte Karl um sich nicht aufzuhalten und nahm die Mütze. Er zog sie an und lachte zuerst, da sie ganz genau paßte, nahm sie wieder in die Hand und betrachtete sie, konnte aber das Besondere das er an ihr suchte, nicht finden; es war eine vollkommen neue Mütze. „Sie paßt so gut!“ sagte er. „Also sie paßt!“ rief Herr Green und schlug auf den Tisch.

      Karl gieng schon zur Tür zu, um den Diener zu holen, da erhob sich Herr Green, streckte sich nach dem reichlichen Mahl und der vielen Ruhe, klopfte stark gegen seine Brust und sagte in einem Ton zwischen Rat und Befehl: „Ehe Sie weggehn müssen Sie von Fräulein Klara Abschied nehmen.“ „Das müssen Sie“, sagte auch Herr Pollunder der ebenfalls aufgestanden war. Ihm hörte man es an, daß die Worte nicht aus seinem Herzen kamen, schwach ließ er die Hände an die Hosennaht schlagen und knöpfte immer wieder seinen Rock auf und zu, der nach der augenblicklichen Mode ganz kurz war und kaum zu den Hüften gieng, was so dicke Leute wie Herrn Pollunder schlecht kleidete. Übrigens hatte man, wenn er so neben Herrn Green stand, den deutlichen Eindruck, daß es bei Herrn Pollunder keine gesunde Dicke war, der Rücken war in seiner ganzen Masse etwas gekrümmt, der Bauch sah weich und unhaltbar aus, eine wahre Last, und das Gesicht erschien bleich und geplagt. Dagegen stand hier Herr Green, vielleicht noch etwas dicker als Herr Pollunder, aber es war eine zusammenhängende, einander gegenseitig tragende Dicke, die Füße waren soldatisch zusammengeklappt, den Kopf trug er aufrecht und schaukelnd, er schien ein großer Turner, ein Vorturner, zu sein.

      „Gehen Sie also vorerst“, fuhr Herr Green fort, „zu Fräulein Klara. Das dürfte Ihnen sicher Vergnügen machen und paßt auch sehr gut in meine Zeiteinteilung. Ich habe Ihnen nämlich tatsächlich ehe Sie von hier fortgehn etwas Interessantes zu sagen, was wahrscheinlich auch für Ihre Rückkehr entscheidend sein kann. Nur bin ich leider durch höheren Befehl gebunden, Ihnen vor Mitternacht nichts zu verraten. Sie können sich vorstellen, daß mir das selbst leid tut, denn es stört meine Nachtruhe, aber ich halte mich an meinen Auftrag. Jetzt ist viertel zwölf, ich kann also meine Geschäfte noch mit Herrn Pollunder zu Ende besprechen, wobei Ihre Gegenwart nur stören würde und Sie können ein hübsches Weilchen mit Fräulein Klara verbringen. Punkt zwölf Uhr stellen Sie sich dann hier ein, wo Sie das Nötige erfahren werden.“

      Konnte Karl diese Forderung ablehnen, die von ihm wirklich nur das Geringste an Höflichkeit und Dankbarkeit gegenüber Herrn Pollunder verlangte und die überdies ein sonst unbeteiligter roher Mann stellte, während Herr Pollunder, den es angieng, sich mit Worten und Blicken möglichst zurückhielt? Und was war jenes Interessante, das er erst um Mitternacht erfahren durfte? Wenn es seine Heimkehr nicht wenigstens um die dreiviertel Stunde beschleunigte, um die es sie jetzt verschob, interessierte es ihn wenig. Aber sein größter Zweifel war, ob er überhaupt zu Klara gehn konnte, die doch seine Feindin war. Wenn er wenigstens das Schlageisen bei sich gehabt hätte, das ihm sein Onkel als Briefbeschwerer geschenkt hatte. Das Zimmer Klaras mochte ja eine recht gefährliche Höhle sein. Aber nun war es ja ganz und gar unmöglich, hier gegen Klara das geringste zu sagen, da sie Pollunders Tochter und wie er jetzt gehört hatte gar Macks Braut war. Sie hätte ja nur um eine Kleinigkeit anders sich zu ihm verhalten müssen und er hätte sie wegen ihrer Beziehungen offen bewundert. Noch überlegte er das alles, aber schon merkte er, daß man keine Überlegungen von ihm verlangte, denn Green öffnete die Tür und sagte zum Diener, der vom Postamente sprang: „Führen Sie diesen jungen Mann zu Fräulein Klara.“

      „So führt man Befehle aus“, dachte Karl als ihn der Diener fast laufend, stöhnend vor Altersschwäche, auf einem besonders kurzen Weg zu Klaras Zimmer zog. Als Karl an seinem Zimmer vorüber kam, dessen Tür noch immer offenstand, wollte er, vielleicht zu seiner Beruhigung, für einen Augenblick eintreten. Der Diener ließ das aber nicht zu. „Nein“, sagte er, „Sie müssen zu Fräulein Klara. Sie haben es ja selbst gehört.“ „Ich würde mich nur einen Augenblick drin aufhalten“, sagte Karl und er dachte daran, sich zur Abwechslung ein wenig auf das Kanapee zu werfen, damit ihm die Zeit rascher gegen Mitternacht vorrücke. „Erschweren Sie mir die Ausführung meines Auftrages nicht“, sagte der Diener. „Er scheint es