Emma Donoghue

Als Maria in Dublin die Liebe fand


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sie hatte Glück und bestand gleich alles im ersten Anlauf. Dann irgendein Job, auf den ihre Statistikkurse sie in keiner Weise vorbereitet haben würden. Oder weitermachen bis zur Magisterprüfung in Kunstgeschichte. Dann Arbeitslosengeld und Kindern helfen, Wandgemälde auf baufällige Hausmauern zu malen. An welchem Tag, in welchem Monat im Laufe der Jahre würde sie feststellen, dass sie eine Entwurzelte geworden war – ein kleiner Punkt innerhalb der sich ausbreitenden Stadtlandschaft? Ihr Dialekt wurde jetzt schon bröcklig. Der Abschiedsgruß für den Busfahrer an diesem Abend hatte Vokale enthalten, von deren Existenz sie bis vor kurzem überhaupt nichts gewusst hatte.

      Da war etwas hinter Ruths sich essend bewegenden Kopf, das auf der Fensterscheibe schimmerte. Es sah aus wie ein Falke – oder ein Riesenschmetterling? Maria wollte die Diskussion nicht unterbrechen, in der es um die Zukunft oder Zukunftslosigkeit der irischen Sprache ging. Sie konnte sich die Fensterscheibe bei Tageslicht einmal genauer ansehen. Falls sie je bei Tageslicht hier wäre. Falls sie nicht noch heute Nacht den Zug nach Hause nähme und am Montag anfinge, im Laden die Kartoffeln zu sortieren. In dem kleinen Ort wussten die Leute wenigstens, wie man den Namen des anderen aussprach.

      Als Maria sich den letzten Bissen des kälter werdenden Essens in den Mund geschoben hatte, prahlte Jael gerade mit ihrer zwanzig Jahre langen Erfahrung in Sachen gute Weine.

      »Demnach hat man dir wohl schon als Baby Wein eingeflößt«, sagte Maria.

      Jael machte große Augen und wandte sich an Ruth. »Soll das etwa heißen, dass du sie nicht gewarnt hast?«

      Ruth starrte mit abwesendem Blick auf den Kühlschrank. »Ich wusste, dass ich die Bohnensprossen vergessen würde. Entschuldigung, vor was gewarnt?«

      »Davor, dass wir alte Schachteln sind. Die von der üblen Sorte, die sich unter dem Euphemismus ›reife Studentinnen‹ verbergen.« Jael hob eine ihrer Locken hoch und deutete auf unsichtbare Krähenfüße um ihre Augen herum. »Deine entzückende Gastgeberin dort ist vierundzwanzig, und ich bin neunundzwanzig, auch wenn es mir schwerfällt, das zuzugeben.«

      »Das kann doch wohl nicht sein.« Marias Augen wanderten von einer zur anderen. Sie trank noch einen Schluck Wein. »Keine von euch beiden sieht danach aus. Das heißt, du siehst nicht gerade jung aus, aber auch nicht wie fast schon dreißig.«

      Jael stieß ein gackerndes Gelächter aus, wobei sie den letzten Pilz auf einer Gabel voll Broccoli balancierte. »Ich bewahre mir mein jugendliches Aussehen, indem ich nachts das Blut jungfräulicher Erstsemesterinnen trinke.«

      »Du siehst viel älter aus als ich«, sagte Ruth nachdenklich. »Stimmt’s, Maria?«

      »Ich ergreife keine Partei, ich bin hier nur zu Besuch.«

      Ruth griff an Jael vorbei nach dem Wein. »Wenn ihre Haare nicht rot wären, sähe man das Grau viel deutlicher. Und dann solltest du erst mal die Zellulitis an ihren Hüften sehen.«

      Jael machte ein wütendes Gesicht und schnipste mit einer Erbse nach ihr. Ruth flüchtete zum Abwaschbecken und ließ den Wasserkessel volllaufen.

      »Und was ist mit dir?«

      Maria zuckte zusammen. Sie war darin vertieft gewesen, mit der Gabel in dem verschütteten Wein Kreise auf dem Tisch zu ziehen. »Was möchtest du wissen?«

      »Na, das Übliche«, sagte Jael, zog den ausgefransten bunten Pullover über den Kopf und warf ihn beiseite, wobei sie das Sofa knapp verfehlte. »Geburtsort, Studienfächer, Lebensdaten, schlechte Angewohnheiten, Ansichten über die Bedeutung des Lebens.«

      Maria dachte nach. Die Gabel in ihrem Mund schmeckte nach Metall. »Ich lasse mich nicht gerne ausfragen«, sagte sie und lächelte ein wenig, um die Worte abzuschwächen.

      War das Respekt in Jaels verschmitzten blauen Augen, oder wirkte sie eher amüsiert?

      Sie schob den glasierten Kaffeebecher über den Tisch, um ihn sich aus der Kaffeekanne füllen zu lassen.

      »Aber wie sollen wir denn dann herausfinden«, fuhr Jael fort, »ob du die notwendigen Voraussetzungen für eine gute Mitbewohnerin mitbringst?«

      »Du musst raten.«

      Ihre Mutter hätte ihr eines auf die Finger gegeben für derart schlechte Manieren, aber ihre Mutter war mehr als hundert Meilen entfernt. Und zu Hause gab es auch keine Kaffeesahne. Sie nahm das Kännchen aus Ruths ausgestreckter Hand entgegen. Ruths Blick ruhte auf ihr. »Sag uns zumindest eines: Wieso hast du auf unseren Aushang geantwortet? Ich könnte mir vorstellen, dass du Freunde von zu Hause hier hast, die mit dir an die Uni gekommen sind.«

      »Oh, habe ich auch. Das heißt Schulfreunde, keine richtigen Freunde. Die meisten studieren Wirtschafts- oder Agrarwissenschaften. Sie sind nett und eigentlich ganz in Ordnung«, fügte sie unbehaglich hinzu. »Es ist nur so, dass ich nicht mehr so tun will, als wäre ich genauso nett.«

      Ruth nickte. »Ich hatte früher auch Freunde, die ich lediglich als nett hätte bezeichnen können. Dafür ist das Leben zu kurz.«

      »Außerdem«, fuhr Maria fort und trank einen großen Schluck von dem heißen Kaffee, »kann ich mir genau vorstellen, wie es wäre, wenn ich mir die Wohnung mit Schulfreundinnen teilen würde. Briefmarken ausborgen, BH-Größen vergleichen und so.«

      Jael hustete so heftig, dass sie ihren Kaffeebecher absetzen musste. »So was gab es zu meiner Zeit noch nicht. Wir haben damals Stützkorsetts getragen.«

      »Oh. Und außerdem«, sagte Maria und wandte sich wieder Ruth zu, »ist mir euer Aushang wegen dem ›Bigotterie unerwünscht‹ aufgefallen.«

      Jael kicherte, über ihren Becher gebeugt. Maria hatte keine Ahnung warum.

      »Das war meine Idee«, murmelte Ruth. »Es macht die Dinge einfacher.«

      »Es war auffallend«, versicherte ihr Maria.

      Ein neuerliches Prusten von Jael.

      Hatte sie irgendwas Dummes gesagt? Merkte man ihr wieder an, wie jung sie noch war? Sie setzte schnell hinzu: »Ich war mal drei Wochen lang in der Gaeltacht in Mayo, um Irisch zu lernen, wo zwei Mädel für die Apartheid waren. Ich glaube nicht, dass ich es in einer Wohnung aushalten könnte, in der nicht alle grundsätzlich liberal sind.«

      »Du wirst noch merken, dass wir Dublinerinnen im Großen und Ganzen sehr liberal sind«, sagte Jael und schob sich die unbändigen Locken aus der Stirn. »Leben, Freiheit und das Streben nach Guinness-Seligkeit.«

      »Ich bin hier die Einzige, die aus Dublin ist«, sagte Ruth.

      »Ah, Kildare ist nur ein County weit entfernt. Außerdem habe ich die Atmosphäre dieser Metropole schon seit geraumer Weile in mich aufgesogen. Ich bin jedenfalls genauso eine Dublinerin wie du aus deinem snobistischen Dubliner Süden.« Jael duckte sich, um dem Geschirrtuch zu entgehen. »Hör zu, warum zeigen wir dem Landmädchen hier nicht einfach mal unser entzückendes Domizil?«

      Im Dämmerlicht des Flures erhaschte Maria einen Blick auf schwarzweiße Plakate mit Stadtlandschaften. Irgendetwas streifte an ihrem Ohr vorbei. Sie griff mit einer Hand danach und entdeckte einen über ihr hängenden Spinnenfarn. Die Spitzen fühlten sich scharf an. Bei ihr zu Hause hatten sie keine Pflanzen, ihr Dad meinte, dass er davon Heuschnupfen bekäme.

      »Das Zimmer ist ein bisschen kahl, fürchte ich.« Ruths Stimme hallte durch den schmalen Flur. Als das Licht anging, blinzelte Maria und registrierte Wände in einem hellen Orangeton und feuerrot gestreifte Vorhänge.

      »Wenn du die Farbe zu grauenhaft findest … ich meine, wir hatten schon immer mal vor, das Zimmer zu streichen.«

      »Sie ist sehr auffällig«, sagte Maria bedächtig.

      »Ruthie, Babe!«, wurde von irgendwoher gerufen. »Ich springe rasch runter in den Schnapsladen. Hast du zufällig einen Zehner?«

      Ruth kramte in den Taschen ihrer Jeans und ging hinaus. Maria testete das Bett vorsichtig mit der Handfläche. Die nussfarbene Kommode wirkte altersschwach. Als sie die oberste Schublade aufzog, hielt sie plötzlich den schmiedeeisernen Griff in der Hand. Sie steckte