Emma Donoghue

Als Maria in Dublin die Liebe fand


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eine träge Stimme dicht hinter Maria. »Es heißt, dass sie den letztjährigen Rekord von zehn Frauen im See bis zum Ende der Einführungswoche übertreffen wollen.«

      »Wenigstens scheint dieses Jahr die Sonne«, bemerkte ein anderer.

      Maria konnte die Frau jetzt sehen. Sie strebte in die andere Richtung und trat mit den Füßen um sich, machte vergebliche Versuche, ihren sich hochbauschenden pfirsichfarbenen Rock zwischen den Knien festzuklemmen, während ein Dutzend Typen sie mit dem Kopf voran die Stufen hinunterschleppten. Hier und da hörte man einen der Zuschauer kichern. Nach einem spitzen Schrei und heftigem Fußgezappel kam ein Bein frei, die Sandale fiel auf die Erde, und vier Hände fingen das Fußgelenk wieder ein. »Schwingen, schwingen.« Sie schwangen sie zwei Mal über dem Wasser hin und her, wobei der Singsang die Schreie der Frau übertönte, und dann schlug der Körper mit einem Klatschen auf.

      Fast im gleichen Augenblick tauchte ein glänzender schwarzhaariger Kopf wieder über dem Betonrand auf, tropfnass und lachend, nach jemandem rufend, der beim Herausklettern helfen sollte. Maria sammelte ihre Sachen ein, um zu gehen. Oben auf den Treppenstufen wandte sie sich noch einmal um und schaute wieder hin, bis einer der Studenten die Sandale einsammelte und ein anderer die Frau in seinen Labormantel hüllte.

      Als sie blindlings die dichtbesetzten Stufen hochlief, rannte sie gegen eine harte Schulter.

      »Wir sollten aufhören, uns auf diese Weise zu treffen.«

      Einen Moment lang fiel es ihr schwer, das Gesicht einzuordnen, dann überkam sie ein Gefühl der Verlegenheit, als sie sich an den Burschen aus New York erinnerte. »Entschuldige, hallo, tut mir leid.«

      »Und ich heiße Galway. Hast du das Ritual mitangesehen? Die Hexentaufe.« Er wies mit dem Kopf zum Wasser hin.

      »Das ist keine Hexe – das ist eine blöde Kuh«, entgegnete Maria bissiger, als sie beabsichtigt hatte.

      Er zog eine buschige Augenbraue in die Höhe. »Kennst du sie?«

      »Sie hat gelacht, verdammt noch mal. Wie konnte sie sich von denen in diese ölige, schlammige Brühe werfen lassen und dann auch noch lachen?«

      »Womöglich hatte sie keine große Wahl. Wenn sie vier Jahre lang mit denen zusammen studieren will, wird sie keinen Wert darauf legen, als Spielverderberin zu gelten.«

      »Ich finde es krank.«

      »Natürlich ist es krank. Ich dachte, das versteht sich von selbst.« Galway rückte sich den verblichenen Rucksack auf den Schultern zurecht. »Kindischer Machoscheiß. Deshalb bin ich zu Hause auch nie einer Verbindung beigetreten. Hab nie begriffen, was so aufregend daran sein sollte, in Boxershorts rückwärts über Dachfirste zu laufen.«

      Sie entspannte sich und lächelte, als sie sich gemeinsam auf den Weg machten und auf die langgezogenen grauen Gebäude zuschlenderten. »Hast du Lust auf … Ich meine, ich wollte gerade eine Tasse Tee trinken gehen.«

      Das ist jetzt das vierte Mal heute Abend, dachte Maria und biss die Zähne zusammen, als sie den Song wiedererkannte. Es folgte ein begeistertes Kreischen, und eine weitere Kette mit Tänzern fädelte sich in die Menge ein. Sie überflog die geröteten Gesichter. Nuala, ihre Freundin aus dem letzten Schuljahr, hätte sie alle als ›verschwitzte Prolls‹ bezeichnet, oder als ›die Kicherclique‹.

      Es wäre eigentlich ganz praktisch, wenn sie die anderen Erstsemester einfach verachten würde, immerhin könnte sie sich dann die Mühe sparen, sie kennenzulernen und stattdessen in Thelmas Wohnung zurückkehren und die Morgenausgabe der Sonntagszeitung lesen. Leider war es aber auch so, dass ihr die eine Hälfte der Leute intelligenter vorkam als sie selbst, und die andere Hälfte, fand sie, sah besser aus.

      Jemand versetzte ihr einen schmerzhaften Stoß zwischen die Schulterblätter. Sie drehte sich um und sah Yvonnes rosafarbene Fingernägel. »Stehst du schon lange an? Besorg mir eine Wodka-Cola, wo du schon dabei bist. Versuch’s bei dem Barmann mit dem Ohrring – er ist süß.«

      Maria lehnte sich gegen die Wand, die kondensierte Feuchtigkeit sickerte durch ihren dünnen Ärmel. Sie trat erschrocken wieder zurück. »Amüsierst du dich gut?«, fragte sie.

      »Na klar.«

      Darauf fiel ihr keine Antwort ein.

      »Ich wette, jetzt bist du froh, dass ich dich überredet habe mitzukommen.«

      Sie zwängten sich in eine Lücke an der Bar. Lager und Stout vermischten sich auf dem Holz zu blassglänzenden Bierpfützen.

      »Die Haremshose wirkt echt scharf an dir.«

      »Ich finde, es sieht aus, als hätte ich O-Beine.« Sie registrierte Yvonnes Blick. »Entschuldigung, ich meine, ich bin dir dankbar, dass du sie mir geliehen hast. Ich habe nur nicht gesehen, wie viel Goldlitze dran ist, und jetzt komme ich mir vor wie aus dem Zirkus entlaufen.«

      »Hm-hm, deshalb habe ich sie auch nie angezogen … Aber du bist schlank genug, du kannst so was tragen«, setzte Yvonne hastig hinzu.

      »Du siehst hinreißend aus«, sagte Maria und unterdrückte ein Gähnen.

      »Rosa hat mich schon immer gut zur Geltung gebracht«, pflichtete Yvonne ihr bei. »Obwohl mir beim Lambada eben um ein Haar alles rausgerutscht wäre. Diesem Typ, Pete, sind fast die Augen aus dem Kopf gefallen.«

      Endlich nahm der Barmann Marias Winken wahr und beeilte sich mit den Drinks.

      »Erzähl mal, hast du schon eine Wohnung gefunden?«

      »Ich habe ein bisschen rumtelefoniert und ein fieses Loch besichtigt. Eigentlich hätte ich von der ersten Wohnung schon Ende letzter Woche was hören sollen.«

      Yvonnes Aufmerksamkeit wanderte von ihr weg. Die Hand auf Hüfthöhe wies sie diskret in eine bestimmte Richtung. »Das ist die Frau, die sie in den See geworfen haben – war das nicht irre? Sie sieht aus, als hätte sie immer noch eine Gänsehaut.«

      Um keine Antwort geben zu müssen, hob Maria ihr Bier mit der cremigen Schaumkrone an die Lippen. »Jedenfalls, wenn das mit der Wohnung nicht klappt, dann sehe ich mir Montag noch ein paar andere an.«

      »Tu das. Sag mal«, die blassblauen Augen kehrten zu ihr zurück, »hat dich schon jemand aufgefordert?«

      Maria überlegte, ob sie lügen sollte, brachte es aber nicht über sich. »Ich bin mit einem pickligen Theologiestudenten zu einem Remix aus den Fünfzigern rumgehüpft und hab mir dabei einen gewaltigen Stoß in die Rippen eingefangen.«

      »Pech.«

      »Es war kein Verlust. Der Typ hat nur davon geredet, wie viel Punkte er bei der Aufnahmeprüfung gehabt hat.«

      Yvonne strich glättend über ihren Rock. »Irgendwo musst du anfangen, Maria.«

      »Aber nicht mit dem.«

      Sie stieß einen theatralischen Seufzer aus. »Das Problem ist, dass deine Ansprüche zu hoch sind.«

      »Das sagt meine Mutter auch.«

      Aber Yvonne war schon dem Winken eines Typen mit Kläppchenkragen gefolgt und hatte sich ein paar Schritte entfernt.

      Jetzt, wo sie darüber nachdachte, fiel Maria auf, dass ihre Mutter das nur ein einziges Mal gesagt hatte. Damals musste sie so um die neun Jahre gewesen sein. Man hatte ihr erlaubt, länger aufzubleiben, um den Schlagerwettbewerb der Eurovision mitanzusehen. Sie hatte fortwährend Bemerkungen darüber fallenlassen, wie eklig die Männer aussähen mit entweder zu großen Ohren oder zu vielen Haaren auf der Brust. Mam hatte angemerkt, dass Maria als alte Jungfer enden würde, wenn sie bei den Männern so wählerisch sei und ihr keiner gefalle. Eine Ehe beinhalte immer Nehmen und Geben und zu einem beträchtlichen Teil sogar Aufgeben. Maria hatte daraufhin Polygamie als Lösung vorgeschlagen, von der sie im Geschichtsbuch in einem kurzen Passus über »Unsere Stammesvorfahren« gelesen hatte, aber ihre Mutter war wohl zu katholisch, um das witzig zu finden. Als ihr Dad sie später nach oben ins Bett gebracht hatte, hatte er ihr gesagt, sie solle sich keine Sorgen darüber machen – sie würde eben die Karrierefrau in der Familie sein. Sie hatte gelacht