Peter Paul Kaspar

Die wichtigsten Musiker im Portrait


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lateinisch zelebriert und deutsch gesungen – bis ins 20. Jahrhundert.

      Diese Kirchenlieder – ob evangelisch oder katholisch, und zuletzt gemeinsam in ökumenischen Gottesdiensten, – haben die geistliche Musik in Zitaten, Choralvorspielen, Variationen, in Chorwerken und Kantaten nachhaltig geprägt und bereichert. Vor allem die Orgelmusik hat die Themen und Melodien aufgegriffen, sowohl im liturgischen Gebrauch (als Choralvorspiel oder Partita/Variation) als auch im konzertanten Bereich (Choralfantasie, Sinfonische Fantasie über …). Die katholische Orgelmusik fand reichlich Gelegenheit, die lateinische Liturgie des Priesters musikalisch zu überbrücken (etwa im französischen Raum: Entrée – Offertoire – Elevation – Communion – Sortie). Abwechselnd mit gesungenen Psalm- oder Magnifikatversen kam die Orgel zu Wort (in den Versetten der Alternatimspraxis). Es gab sogar Orgelmusik zur Überbrückung der still vom Priester gelesenen Messe (zwei Zyklen von Franz Liszt).

      Im 19. Jahrhundert entstand in der katholischen Kirche eine gut gemeinte Reformbewegung, in der die Kirchenmusik wieder auf den Stil Palestrinas und die Strenge der Gregorianik zurückgeführt werden sollte: der Cäcilianismus – benannt nach der Patronin der Kirchenmusik. Man wollte fromme Schlichtheit und größere Wortdeutlichkeit erreichen. Entstanden ist auf diese Weise allerdings nur leichtgewichtige und inzwischen fast vergessene Gebrauchsmusik für mittelmäßige Kirchenchöre. Einzig Franz Liszt (Missa choralis) und Anton Bruckner (Messe in e-Moll) haben nach diesen Vorgaben hochwertige Kunstwerke geschaffen. Ansonsten blieb von dieser Bewegung nur die Pflege des gregorianischen Chorals, des Orgelspiels und eine verbesserte Ausbildung der Kirchenmusiker.

      Im 20. Jahrhundert haben sich verstärkt Komponisten zu religiösen Themen in Werken geäußert, die nicht für die Kirche, sondern für das Konzert gedacht waren. Darunter findet sich eine schöne Zahl von gültigen Werken, die auch die Ansprüche und das Können vieler Kirchenmusiker überstiegen hätten. Auf diese Weise ist trotz der schwindenden Bedeutung der Kirchenmusik das religiöse und geistliche Anliegen im etablierten Musikwesen nicht erloschen. So zählen zu den religiösen Komponisten der jüngeren Zeit auch manche weniger fromme Meister der Tonkunst, auch orthodoxe, jüdische und sogar agnostische Musiker: Leoš Janáček, Arnold Schönberg, Igor Strawinsky, Zoltán Kodály, Frank Martin, Paul Hindemith, Francis Poulenc, Olivier Messiaen und Leonard Bernstein.

      Ein Instrument steht heute noch als gültiges Symbol für Spiritualität und Religion: Die Orgel als die älteste und größte Klangmaschine der Musikgeschichte kann von den zartesten bis zu den mächtigsten Klängen das symbolisieren, was die geistliche Musik schon von alters her meinte: Musica est praeludium vitae aeternae – Musik ist ein Vorspiel zum ewigen Leben.

II MUSIK IN 100 PORTRÄTS

       1 GIOVANNI PIERLUIGI DA PALESTRINA (UM 1525–1594)

       Er war wohl der erste Komponist, dessen Werk noch heute in Kirchen und Konzertsälen häufig erklingt und das im Bewusstsein vieler Musikfreunde für eine bestimmte Art des Komponierens und Musizierens steht. Palestrina war der große Lehrmeister späterer Generationen in der kunstvollen Mehrstimmigkeit des Kontrapunkts. Es gab sogar so etwas wie einen Palestrina-Stil. Sein Werk ist außerdem untrennbar mit der Sixtinischen Kapelle am Sitz des Papstes in Rom verbunden.

      Er hieß Pierluigi, war Chorknabe an Santa Maria Maggiore in Rom, später Organist an der Kathedrale seiner Heimatstadt Palestrina – nach der er sich auch benannte – und wirkte ab 1551 als Chormeister an der Cappella Giulia in Rom, später an der Lateranbasilika und wieder an Santa Maria Maggiore. Zahlreiche andere Lehr- und Leitungsämter beschäftigten ihn bis zu seinem Tod in Rom – zuletzt ab 1571 wieder an der päpstlichen Cappella Giulia. Sein Hauptwerk besteht vor allem aus geistlicher Chormusik. Damals bemühte sich die katholische Kirche, nach der Kirchenspaltung um Martin Luther, grundlegende Reformen – auch der Kirchenmusik – durchzuführen. Ein Streitpunkt war die Textverständlichkeit der mehrstimmigen Gesänge. Tatsächlich ist jedoch Palestrinas Kirchenmusik keineswegs immer so schlicht und textverständlich, wie es die strengen Reformer jener Zeit gefordert hätten. Als er starb, hinterließ er als künstlerisches Vermächtnis den Stil und die Kompositionstechnik der »Römischen Schule« für weitere Generationen.

      Palestrinas Werk umfasst etwa 100 Messen, 500 Motetten und 100 Madrigale. Obwohl damals in der Regel Kompositionen nach dem Tod des Komponisten allmählich in Vergessenheit gerieten, lebte und wirkte Palestrinas Werk durch die Traditionspflege am päpstlichen Hof noch lange weiter – als Vorbild späterer Meister und sogar als Leitbild des sogenannten Cäcilianismus, der katholischen Kirchenmusikreform in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Hier allerdings als romantisches Missverständnis: Man sah in seinen Chorwerken reine A-cappella-Musik – einen durchsichtig-homogenen Chorklang ohne Instrumente. So beeinflusste Palestrina sogar noch das romantisch-schwärmerische Chorideal des 19. und 20. Jahrhunderts. Heute wissen wir, dass die Kirchenmusik zur Zeit Palestrinas in der Regel von professionellen Sängern und – außer an der Sixtinischen Kapelle – mit begleitenden Instrumenten gesungen wurde. Wir müssen uns daher einen kräftigen, die großen Kathedralen und Klosterkirchen füllenden Gesamtklang vorstellen. Ganze Generationen haben seinen Kompositionsstil nachzuahmen versucht. Und viele Chöre singen noch heute seine Motetten und Messen – darunter die berühmteste, die sechsstimmige Missa Papae Marcelli, oder seine Papstmotette »Tu es Petrus«. Ein großes zyklisches Werk ist die lateinische Vertonung des Hohen Liedes aus dem Alten Testament: »Canticum Canticorum Salomonis«.

      Meilensteine: Missa Papae Marcelli – Tu es Petrus

      Legende: Die »Missa Papae Marcelli« soll auf dem Konzil von Trient den polyphonen Gesang vor einem päpstlichen Verbot gerettet haben. (musikalisches Denkmal: Erich Pfitzners Oper »Palestrina« von 1917)

       2 ORLANDO DI LASSO (UM 1532–1594)

       Anders als Palestrina in Rom war Orlando di Lasso ein Europäer, weit gereist und mit einem riesigen Werk, etwa 2000 Kompositionen, in dem sich das Können jener Zeit – unabhängig von Gattung und Anwendungsbereich – bündelte. Sein Werk wurde mit dem Palestrinas im 19. Jahrhundert wiederentdeckt und seither gepflegt und geschätzt.

      Im flämischen Mons geboren, führte ihn sein Lebensweg über Frankreich nach Italien, wo er 1553 Kapellmeister an der römischen Lateranbasilika wurde. Nach einer kurzen Zeit 1555 in Antwerpen ließ er sich 1556 in München nieder, wo er ab 1563 bis zu seinem Tod als herzoglicher Kapellmeister amtierte. Zahlreiche Reisen als Diplomat und Künstler führten ihn nach Frankreich und Italien. Freundschaftliche und künstlerische Beziehungen verbanden ihn mit vielen europäischen Städten und Fürstenhöfen. Die letzten beiden Jahrzehnte seines Lebens führte er ein eher zurückgezogenes Leben und widmete sich verstärkt der geistlichen Musik. Als Begleiter seines Herzogs war er jedoch ein gern gesehener Gast bei festlichen Anlässen und Reichstagen und komponierte auch für solche Gelegenheiten. Sein Leben ist ein Beispiel für den hohen Rang eines Komponisten an den kunstsinnigen Fürstenhöfen Europas.

      Im Werk Orlandi di Lassos spiegelt sich die vielfaltige musikalische Kunst im damaligen Europa – sowohl in geistlichen als auch weltlichen Werken, darunter viele Vertonungen französischer, italienischer und deutscher Texte. An die 100 Messen, 70 Motetten, 150 Chansons, über 100 Madrigale und 70 deutsche Lieder – aber auch vier Passionen und etwa 100 Vertonungen des Magnifikats.

      Legende: 1594 ist ein Wendejahr der Musikgeschichte. Todesjahr des Römers Palestrina und des Europäers Orlando di Lasso – zugleich erschien »Fabula di Orpheo« von Angelo Poliziano in Druck, eines der ersten Werke auf dem Weg zur Oper.

       3 WILLIAM BYRD (1543–1623)

       Als katholischen Musiker im protestantischen England hätte es ihn gar nicht geben dürfen. Doch sein universales Können in geistlicher und weltlicher Musik, die große Zahl seiner Schüler und sein hohes Ansehen führten dazu, dass