Daniel Marc Segesser

Der Erste Weltkrieg


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in vielfältigster Art und Weise mit dem Ersten Weltkrieg beschäftigt. Davon zeugen die unzähligen Werke zum Thema, von welchen eine Auswahl am Schluss dieses Buches zu finden ist. Viele Spezialstudien sind entstanden. Diese beschäftigen sich mit so unterschiedlichen Themen wie der Geschichte der Schlachten, des Alltags an der Front, der Geschichte der Frauenarbeit im Krieg oder der Formen der Erinnerung an den Krieg. Nicht nur für den Laien, sondern auch für Fachleute ist es unter diesen Umständen nicht einfach, sich einen Überblick über die fragmentierte Forschungslandschaft zu verschaffen. Auch an dieser Stelle wird es nicht möglich sein, den Ersten Weltkrieg umfassend darzustellen. Es soll jedoch versucht werden, die wichtigsten Aspekte zu thematisieren, auf die wichtigsten Akteure und Entwicklungen einzugehen, den Alltag an der Front wie in der Heimat anzusprechen, die Problematik von Kriegsverbrechen und Völkerrecht zu beleuchten und Antworten auf die Frage zu geben, wie dieser globale Krieg beendet werden konnte, welche Folgen dies hatte und welche Spuren er in der Erinnerung von Menschen und Gesellschaften hinterließ. Dabei soll, wie schon gesagt, der globalen Dimension dieses »Weltenringens« besonderes Gewicht eingeräumt werden.

      Bevor als erstes nun die Ausgangslage im Vorfeld des Krieges thematisiert wird, gilt es jedoch einen wichtigen Aspekt vorab zu betrachten. War der Erste Weltkrieg wirklich der erste Weltkrieg und kann der von uns als solcher bezeichnete Krieg auch wirklich als Weltkrieg bezeichnet werden? Auch wenn verschiedene Politiker und Militärs im Vorfeld des Krieges von 1914-18 immer wieder davon sprachen, dass die Welt auf einen Weltkrieg zusteuere, so machten sich die wenigsten davon Gedanken zu der Frage, was sie denn selber darunter verstehen wollten. Gerade im Deutschen Reich herrschte die Überzeugung, dass schon nur ein Kriegseintritt Großbritanniens und seines Weltreiches dazu führen müsse, dass es zu einem Weltkrieg komme. Zudem erwartete der deutsche Generalstab auch, dass Frankreich in einem neuerlichen Krieg wie schon 1870/71 Kolonialtruppen aus Nord- und Schwarzafrika zur Verteidigung seines Landes einsetzen werde. Ob ein Krieg in Europa sich dann allerdings auch auf die außereuropäischen Besitzungen der europäischen Staaten ausweiten würde, dies war für die meisten Politiker und Militärs ebenso unklar wie die Frage, ob sich außereuropäische Staaten wie die USA, Japan, China oder die lateinamerikanischen Republiken an einem solchen Krieg beteiligen würden. Nachdem der Krieg 1914 begonnen hatte und sich nicht auf Europa beschränkte, setzte sich bei vielen jedoch die Überzeugung durch, dass es sich um einen Weltkrieg handle. Diese Ansicht wurde auch nach dem Krieg kaum in Frage gestellt, selbst wenn der Krieg vorerst in Frankreich als Grande Guerre, in Großbritannien als Great War und in Australien ganz einfach als War of 1914-18 bezeichnet wurde. Spätestens am Ende des Zweiten Weltkrieges setzte sich auch in diesen Ländern die Bezeichnung Première Guerre Mondiale oder First World War durch. Reflektiert wurde der Begriff jedoch kaum, wie ein Blick in die gängigen heutigen Lexika wie Brockhaus oder Meyer zeigt. Meist findet sich dort nur eine Beschreibung der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts (Brockhaus) oder der Hinweis, dass es sich bei Weltkriegen um global geführte Konflikte handle (Meyer).

      Ein genauerer Blick in die Geschichte zeigt hingegen, dass globale militärische Auseinandersetzungen keineswegs ausschließlich ein Phänomen des 20. Jahrhunderts waren. Der seit dem 15. Jahrhundert im Gang befindliche und im Zeichen der europäischen Expansion nach Übersee stehende Globalisierungsprozess war geprägt von militärischen Konflikten, die auch immer wieder größere Teile des Globus betrafen, dies sowohl in der Form von Auseinandersetzungen zwischen europäischen und indigenen Mächten als auch in der Gestalt von global geführten Kolonialkriegen zwischen den europäischen Staaten. Beispiele für letzteres sind der Österreichische Erbfolgekrieg von 1740-48, der Siebenjährige Krieg von 1756-63 oder der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg von 1775-1783. Die meisten Auseinandersetzungen waren also europäische Konflikte, die zwar weltweit ausgetragen wurden, an welchen sich außereuropäische Mächte aber kaum beteiligten. Waren letztere beteiligt, so handelte es sich dabei meist um einen Konflikt regionaler Natur. Für die Zeit bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ist es daher wohl angemessener, von Kriegen mit globalen Hintergründen zu sprechen, nicht aber von wirklichen Weltkriegen, wie dies beispielsweise Geoffrey Parker tut (Parker 1979, 62-63). Stig Förster folgend, ist es wohl besser, erst dann von einem Weltkrieg zu sprechen, wenn es sich um einen Großkonflikt unter maßgeblicher Beteiligung sowohl europäischer als auch autochthoner außereuropäischer Mächte handelte (Förster 1994, 34-36 / Förster 2010, 102-103). Inwiefern die Napoleonischen oder Französischen Kriege von 1792 bis 1815 als Weltkriege bezeichnet werden können, wie dies Förster tut, ist umstritten. Es ist zwar durchaus richtig, dass in dieser Zeit nicht nur in Europa Krieg geführt wurde und nur europäische Mächte am Krieg beteiligt waren. Persien, das Osmanische Reich, indische Herrscher, die Wahabiten Arabiens, die Shawnee Indianer in Nordamerika sowie die 1787 entstandenen Vereinigten Staaten beteiligten sich aktiv an dieser Auseinandersetzung. Dennoch waren einige Teile der Welt in diesen Konflikt nicht wirklich verwickelt. Dies gilt einerseits für Australien und den Pazifik, andererseits aber auch für die in globaler Perspektive in der Zeit um 1800 wichtigen Japan oder China. Die damaligen Auseinandersetzungen zwischen Japan und Russland um die Kurilen waren nicht Teil eines weltweiten Konfliktes, sondern vielmehr ein regionaler Konflikt im Rahmen der Expansion einer einzelnen europäischen Macht in den außereuropäischen Raum.

      Es gibt daher gute Gründe, den Ersten Weltkrieg wirklich als den ersten Weltkrieg zu betrachten, dies nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der noch zu beschreibenden Intensivierung des von Europa ausgehenden Globalisierungsprozesses, der gerade durch die Revolutionierung des Transport- und Kommunikationswesens Krieg führenden Mächten neue Möglichkeiten eröffnete, die auf globaler Ebene im Ersten Weltkrieg erstmals in erheblichem Ausmaß zum Tragen kamen.

      In seinem Aufbau folgt dieses Buch zu Beginn vorerst dem klassischen Prinzip der Chronologie und beschreibt als erstes die Ausgangslage vor dem Ersten Weltkrieg, um dann die Julikrise und die Kriegsschuldfrage zu thematisieren und schließlich den Verlauf des Krieges an dessen verschiedenen Fronten zu beschreiben. In all diesen Kapiteln wird versucht, der außereuropäischen Welt das ihr zukommende Gewicht zu geben, so beispielsweise durch eine ausführlicher als sonst ausfallende Beschreibung der militärischen Entwicklungen im Kaukasus, im Nahen Osten, in Afrika sowie in Ostasien und dem Pazifik. Das fünfte Kapitel ist dann dem Verhältnis von Front und Heimatfront gewidmet und beschäftigt sich, wie das sechste Kapitel auch, in einem Längsschnitt mit dem Alltag an der Front wie in der Heimat, der Problematik von Waffen und Technologie sowie der Mobilisierung von Wirtschaft und Gesellschaft für den Krieg. Das sechste Kapitel thematisiert einen Aspekt, dem in Gesamtdarstellungen des Ersten Weltkrieges bisher auch eher wenig Gewicht eingeräumt wurde, nämlich den von Kriegsverbrechen und Völkerrecht. Während meistens bekannt ist, dass die Frage von Kriegsverbrechen und Völkermord im Zweiten Weltkrieg eine wichtige Rolle spielte, wissen wenige, dass diese Themenkomplexe zum Teil auch zwischen 1914 und 1918 zu heftigen Diskussionen unter Juristen wie in der Öffentlichkeit führten. Mit dem siebten und achten Kapitel wird die Chronologie wieder aufgegriffen. Focussiert werden dabei das Wendejahr 1917, die globale Kriegsmüdigkeit in der zweiten Hälfte des Krieges, das Kriegsende sowie der Friedensschluss. Das abschließende Kapitel ist dann der Bedeutung des Ersten Weltkrieges in der Erinnerungskultur und der Geschichtswissenschaft gewidmet.

      Der Erste Weltkrieg war eine zentrale Zäsur in der neueren Geschichte der Menschheit und kann sicherlich auch als zentrales Element einer europäischen Zivilisationskrise gedeutet werden (Krause 2009). Das geflügelte Wort der »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts« von George F. Kennan beschreibt diesen Konflikt daher immer noch treffend und wird in der Literatur auch immer wieder verwendet, wie jüngst von Burgdorff/Wiegrefe (2008) gar als Titel für ihr Buch. Der Erste Weltkrieg wird heute nicht mehr als Naturkatastrophe wahrgenommen, die wie ein Orkan über die Menschen hinweggefegt war und millionenfachen Tod mit sich brachte, wie dies in den zwanziger Jahren häufig der Fall war. Es ist deutlich geworden, dass dieser Krieg von Menschen bewusst ausgelöst und vorangetrieben wurde und erst aufgegeben wurde, als Menschen wie Ressourcen praktisch erschöpft waren (Berghahn 2003, 7-8). Gerade angesichts der vielfältigen Verbindungen zu weiteren gewalttätigen Konflikten in der Welt nach 1918 blieb der Erste Weltkrieg eine Phase der Geschichte, an welcher das Interesse bis heute nicht erloschen ist. Dies gilt nicht nur für Europa, sondern für weite Teile einer Welt, die auf vielfältige Weise in diesen globalen Konflikt verwickelt waren.