Klaus Bittermann

Einige meiner besten Freunde und Feinde


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in der Regel vor allem tödlich beleidigte Leberwürste waren.

      Natürlich forderte das ausschweifende Leben seinen Tribut, und irgendwann gab es für Wiglaf kein Zurück in das geregelte Leben der heilen, abstinenten Welt, genausowenig wie für Hunter S. Thompson und Guy Debord, zwei anderen Fixsternen am Tiamat-Himmel, die aus Notwehr gegen die pathische Normalität tranken. Zu weit und vor allem zu lange hatte er sich auf gefährliches Territorium vorgewagt, auf dem das Exzessive, der Tumult und das Unkontrollierte sich austoben und einen mit Krallen festhalten. Wiglaf kämpfte nur hin und wieder gegen die Dämonen, als wäre er sich darüber im klaren, dass er sowieso am kürzeren Hebel saß und dass keine Illusionen halfen, weshalb er beizeiten sein eigenes Epitaph schrieb:

      »Ich war nie ein Jünger des Verzichts, Und gab, wie ich es nahm und wie es kam, im Fall des Falles immer alles, und eines Morgens kommt das große Nichts.«

      2019

       Der intellektuelle Unruhestifter

       Wolfgang Pohrt

      »Wo Pohrt erscheint, bleiben Proteste nicht aus. Ich kenne keinen zweiten Autor, der es in so kurzer Zeit geschafft hätte, alle, an die er sich wendet, gegen sich zu mobilisieren«, schrieb Henryk M. Broder im Spiegel 1982 in einer Rezension des Buches »Endstation« von Pohrt. Die Leute, die sich von Pohrt auf den Schlips getreten fühlten, weil er ihre geheimen Beweggründe analysierte, ergäben ein beeindruckendes Who's who der beleidigten Kulturschaffenden. Niemand mag es, wenn jemand zerpflückt, was man für einen großartigen und hehren Gedanken hält, der die Welt verbessern würde. Das Echo, das Pohrt hervorrief, war für einen freischaffenden Kritiker und Autor ungewöhnlich. An ihm schieden sich die intellektuellen Geister, ihn hasste die Meinungselite in Deutschland aufrichtig und von ganzem Herzen. »Denunziationen« gegen die neue Bewegung witterte Eckhard Jesse in der Süddeutschen Zeitung. »Larvierte Menschenverachtung« warf ihm Jürgen Manthey in der Frankfurter Rundschau vor. Für den Pflas­terstrand war er ein »Finsterling mit Faschismus-Paranoia«. Ein Jack Zipes fand es in Ästhetik & Kommunikation verheerend, dass Eike Geisel und Pohrt »ihre Wörter wie Waffen benutzen, um ihre Gegner, ob links oder rechts, zu eliminieren oder auszurotten«. Thomas Schmid, heute Chefredakteur der Welt, damals Herausgeber des Freibeuter, leitartikelte: »Der furiose Wolfgang Pohrt, der sechs Millionen ermordete Juden zu seinem Betriebskapital gemacht hat und ebenso scharfrichterlich wie intellektuell unseriös auf alles einschlägt, was er nicht selber ist, ist einer der geistigen Ahnherrn der journalistischen Unkultur.« In die gleiche Kerbe ließ Titanic Yaak Karsunke schlagen, der meinte, Pohrts »beliebiges Hantieren mit dem Grauen als Versatzstück ist zynisch«. Nur der Jean-Améry-Preisträger Lothar Baier, der sich intensiv mit dem Nationalsozialismus befasst hatte, stellte in der Zeit die Frage, wer wohl »in jüngster Zeit ähnlich erhellendes über das KZ-Universum geschrieben hat wie Pohrt«?

      Angesichts einer »schwachen Opposition«, die es zu unterstützen gälte, suche Pohrt »die totale Konfronta­tion«, bemängelte Hermann Peter Piwitt in Konkret, während Bärbel Goddar in Radio Bremen die beruhigende Nachricht verbreitete: »Pohrts Buch ist für Intellektuelle geschrieben, es dürfte mit seinen Aussagen die werktätige Bevölkerung kaum erreichen.« Auf seine polemische Thesen wurde in der Regel verärgert und mit Abscheu reagiert. Als Pohrt in Joseph Hubers Buch über die Alternativbewegung Denkmuster eines »potentiellen Faschis­ten« entdeckte und das im Spiegel veröffentlichte, ereiferte sich Robert Jungk: »Der wüste Anschlag von Wolfgang Pohrt auf Joseph Huber hat bei mir assoziativ die Erinnerung an das sinnlose Attentat gegen John Lennon geweckt.« Und Johano Strasser sah einen »geradezu neurotischen Vernichtungswillen« am Werk.

      Auch wenn die meisten Kritiker heute niemand mehr kennt, in den Achtzigern gaben sie den Ton an. Der »Magier« Pohrt, wie Franz Josef Degenhardt ihn nannte, war an die Grenze zur Prominenz gestoßen. Aber als sich der Rauch verzogen hatte, sah man keine Leichen auf dem Schlachtfeld der intellektuellen Kontroverse herumliegen, sondern lauter quietschlebendige und rachedurstige Menschen aus dem journalistischen Gewerbe, die im Kulturbetrieb den Ton angaben und die, da sie sich von Pohrts Kritik oft persönlich getroffen fühlten, aus verständlichen Motiven keinen Wert darauf legten, Pohrt länger Gehör zu verschaffen. Redakteure, die seinen Scharfsinn bewunderten, kamen immer seltener auf die Idee, ihn schreiben zu lassen. Dem Leser der Zeit wollte man Pohrt lieber nicht zumuten. Vermutlich aus guten Gründen. Nur für Konkret, die er regelmäßig mit Artikeln belieferte, arbeitete er 1984 vier Monate lang als Redakteur, und Jan Philipp Reemtsma ermöglichte ihm für ein paar Jahre eine Tätigkeit als Privatgelehrter Anfang und Mitte der neunziger Jahre, während die taz ihn als Redakteur ablehnte, weil man befürchtete, dann nicht mehr in Ruhe frühstücken zu können.

      1989 gab Pohrt seine »Geschäftsaufgabe« als Ideologiekritiker bekannt. Die Markt­lücke, die sich durch die Protestbewegung aufgetan hatte und die von Leuten wie Schultz-Gerstein beim Spiegel über den Niedergang dieser Bewegung hinaus offen gehalten wurde, gab es nicht mehr. Viel wichtiger jedoch: Der Ideologiekritiker war in den Augen Pohrts obsolet geworden. Der Gegenstand seiner Kritik hatte sich verflüchtigt: eine Bewegung, mit der sich noch auseinanderzusetzen lohnte und die sich noch nicht rückstandslos im nationalen Volkskörper aufgelöst hatte. Die Linke war das Koordinaten- und Bezugssystem Pohrts. 1989 aber kamen die rechten Republikaner ins Berliner Abgeordnetenhaus.

      »Wenn also rund acht Jahre, nachdem die Linken in der Bundesrepublik eine nationale Frage überhaupt erst wieder ins Gespräch gebracht hatten unter dem Vorwand, derlei nicht den Rechten überlassen zu wollen, diese Politik schließlich Früchte trägt, und wenn die Früchte dann in den Garten nicht des angemaßten, sondern des rechtmäßigen Besitzers dieser nationalen Frage fallen, so ist für die Ideologiekritik wieder einmal der Zeitpunkt gekommen, wo sie im Bewusstsein, es besser gewusst und dennoch nichts bewirkt zu haben, getrost abdanken kann.«

      Die Protestbewegung sei kein Ziel für Polemik mehr, weil sie sich »in einen Gegenstand der allgemeinen anthropologischen Betrachtung« verwandelt habe.

      Zehn Jahre hatte Pohrt gegen die Politik der Protestgeneration angeschrieben. Er konnte das deshalb so genau, weil er selbst ein Teil dieser Bewegung war. Er hatte in Frankfurt und Berlin Soziologie studiert, sich mit Marx, Adorno, Horkheimer und Krahl befasst. Er trug die Säulenheiligen der Bewegung jedoch nicht wie eine Mons­tranz vor sich her, um sich durch sie zu immunisieren oder den eigenen Artikeln Bedeutung zu verleihen, sondern Pohrt nutzte ihre Methode und ihr Handwerkszeug, ohne einfach nur ihre Gedanken zu reproduzieren.

      1976 erschien seine Dissertation »Theorie des Gebrauchswerts«. An der Lüneburger Uni hielt er Seminare über »Die Aktualität des Faschismus«, »Marx-Kontrover­sen« und über das »Verhältnis von Ohnmacht, Apathie und Wahn im Spätkapitalismus«. Dem glücklichen Umstand, dass die Hochschule seinen Vertrag nicht verlängerte, ist es zu verdanken, dass in Deutschland über Jahre hinweg Polemik auf so hohem Niveau praktiziert wurde.

      1980 erschien im Berliner Rotbuch Verlag »Ausverkauf«, der erste Band mit »Pamphleten und Essays«, bzw. »Schubladentexten«, denn niemand hatte Pohrt bis dahin wahrgenommen und veröffentlicht, sieht man von einem Aufsatz über »Wegwerfbeziehungen« ab, der 1974 im Kursbuch erschien. Das änderte sich jetzt. Spätestens nach einer Kritik in der Frankfurter Rundschau von Wolfram Schütte, der im intellektuellen Leben Deutschlands eine nicht ganz unbedeutende Rolle spielte:

      »Der Reichtum an Erkenntnissen, Einsichten und Durchblicken, den das Buch in jeder seiner dreizehn Arbeiten enthält und verschwenderisch ausbreitet – oft mit aphoristischer Prägnanz und abgründigem Witz formuliert, die Pohrt auf einen Schlag zu einem unserer besten Polemiker machen –: diese intellektuelle Fülle ist hier gar nicht zu referieren. Von allen essayistischen, zeitkritischen ›Kopfgeburten‹ der letzten Zeit sind deshalb Pohrts Pamphlete und Essays die monströsesten, Kinder des Schreckens, gezeugt von Intelligenz und politischer Moral, aufgezogen von Empörung und Zorn und in die Welt geschickt, um Unruhe zu stiften.«

      Im Pathos dieser Zeilen und in der hochtrabenden Formulierung klang jedoch bereits an, dass die neue Freundschaft nicht lange währen würde.