Klaus Bittermann

Einige meiner besten Freunde und Feinde


Скачать книгу

beharrte darauf, als Einmannforschungsteam die Studie zu erstellen, die sich an der sozialwissenschaftlichen Me­thode der Frankfurter Schule und an dem 1950 erschie­nenen »The Authoritarian Personality« orientierte.

      Pohrt traktierte seine Freunde, Verwandten und Bekannten mit einem 58 Aussagen umfassenden Papier, in dem Sätze bewertet werden sollten wie: »Im Wohlstand verkümmern die inneren Werte der Menschen, weil jeder nur auf den eigenen Wohlstand bedacht ist.« Er führte ausführliche Interviews und Gespräche, protokollierte sie und wertete sie aus, er zog sämtliche Register der Statis­tik und empirischen Sozialforschung, um schließlich zu dem von seitenlangen Ziffern und Koeffizienten untermauerten Ergebnis zu gelangen, dass die Werte »auf eine antizivilisatorische, antidemokratische Überzeugung schlie­ßen lassen, deren unerhörte Einhelligkeit ferner die ungebrochene Neigung zur freiwilligen Selbstgleichschaltung verrät«.

      Pohrt hatte im Alleingang und in nur einem Jahr ein über 300seitiges Forschungsergebnis vorgelegt, womit sich ein größeres Wissenschaftsteam zehn Jahre lang die Zeit hätte vertreiben können. Auf eine nennenswerte Resonanz stieß diese Arbeit nicht, obwohl man zur Beurteilung der drei zentralen Ereignisse Anfang der neunziger Jahre in der Zone (Ausländerverfolgung), in Jugoslawien (Serbienfeldzug) und im Irak (Golfskriegspazifismus) auf die Studie Pohrts gut hätte zurückgreifen können.

      Im Abstand von jeweils einem Jahr folgten mit »Das Jahr danach« und »Harte Zeiten« zwei weitere Bücher, die allerdings nicht mehr in Form einer empirischen Sozialstudie erschienen, sondern als »Analysen zur Zeitgeschichte, deren bescheidener Nutzen darin besteht, dass sie die spätere Legendenbildung erschweren könnten«. Pohrt hatte auf die Katastrophe hingewiesen, »als welche die Wiedervereinigung und der Zusammenbruch des Ostblocks sich entpuppten«, ohne dass eine gesellschaftlich relevante Gruppe den Versuch unternommen hätte, diese Entwicklung aufzuhalten.

      1994 begann die Entwicklung schließlich an Dynamik zu verlieren, sie wurde zum Dauerzustand. Das Elend wurde chronisch, aber niemals Grund zur Einsicht oder gar größerer und nachhaltiger Proteste. Die Intellektuellen wurden noch national gesinnter und die Bevölkerung war jederzeit bereit, weitere Einschneidungen im Sozialsystem hinzunehmen. Stattdessen wurden Pohrt in der taz für seine Studien folgende Komplimente gemacht: er sei ein »deutscher Apokalyptiker«, ein »außer Rand und Band geratener Utopist«, ein »deutscher Rassist par excellence« und ein »manischer Inländerfeind«. Das behauptete jedenfalls Reinhard Mohr, der sich mit solchen Artikeln für einen Job beim Spiegel empfahl.

      Pohrt wurde in einem ungeheuren publizistischen Kraft­akt zum führenden politischen Kommentator, der im Dunstkreis einer unabhängigen Restlinken und von Konkret, in der er regelmäßig veröffentlichte, den Ton und manchmal auch die Richtung vorgab und dennoch immer ein Fremdkörper blieb, weil ihm jede Gefolgschaft sus­pekt war. Die Abwendung vom Palästinenserfeudel hin zu einer Pro-Israel-Haltung, die im Golfkrieg 1991 offensiv vertreten wurde und Konkret mehrere hundert exis­tenzgefährdende Abonnenten kostete, kam nicht zuletzt durch seine vehemente Fürsprache der amerikanischen Einmischung zustande, die in seinem Wunsch kulminierte, die Israelis würden sich der Bedrohung durch den Irak notfalls mit einer Atombombe zur Wehr setzen. Später bedauerte er die Äußerung, die aus der Erregung darüber entstanden war, dass man in Deutschland Saddams Scud-Raketen als selbstverschuldete Bedrohung bagatellisierte. Inzwischen hat sich im Nahen Osten einiges geändert, weshalb er das unreflektierte Festhalten an dieser Position später als Unfähigkeit kommentierte, sich von einer liebgewonnenen Einsicht wieder zu verabschieden, wenn die gesellschaftlichen Prämissen andere geworden sind.

      1997 erschien seine letzte Untersuchung, noch einmal von Reemtsma finanziert, von diesem aber schließlich nicht mehr gut geheißen. In »Brothers in Crime« ging es um die Auflösung der Politik und deren Transformation in ein klassisches Bandenwesen, und im Untertitel bereits klang an, das die Aussichten trübe waren: »Die Menschen im Zeitalter ihrer Überflüssigkeit.« Auch diesem Werk war trotz beachtlicher Resonanz kein großer Erfolg beschieden. Pohrts Kritik war zu radikal und verzichtete weitgehend auf populäre Thesen und Agentenromantik, wie sie Dagobert Lindlau in seinem Bestseller »Der Mob« verwendete.

      Pohrt meldete sich Ende der Neunziger nur noch sporadisch mit gelegentlichen Vorträgen zu Wort. Dann wurden ihm die Zigaretten zuviel, die er für das Schreiben eines Artikels brauchte. Er schwieg. Das mochte man zwar bedauerlich finden, aber zumindest verfiel er nicht der Versuchung vieler anderer Autoren, die zeitlebens einen originellen Gedanken, den sie mal hatten, variieren.

      Nur einmal noch ließ er sich aus der Reserve locken, als er am 3. Oktober 2003 zusammen mit Henryk M. Broder einer Einladung eines »Bündnisses gegen Antisemitismus und Antizionismus« ins Berliner Tempodrom folgte, eine Veranstaltung, die Pohrt selbst als Fiasko wertete. Immerhin zeigte die lebhafte Reaktion auf seinen Auftritt, dass er immer noch als Feindbild in der Linken wahrgenommen wurde. In dem aus dieser Veranstaltung heraus entstandenen Buch »FAQ« ergriff Pohrt die Gelegenheit, die Positionen der sogenannten »Antideutschen« zu kritisieren, als deren Ikone und theoretischer Protagonist er galt, und zwar mit dem Hinweis, dass jede Wahrheit einen Zeitkern hat, also nur gültig ist unter bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen.

      »Manche Leute freut es, wenn sie von sich behaupten können, sie hätten es schon immer gesagt. Mir geht es weniger um die Ewigkeit als den richtigen Zeitpunkt. Deshalb gefällt es mir, dass ein umfangreicher Teil mei­nes 1992 erschienenen Buches ›Das Jahr danach‹ die Ausländerverfolgung anprangert. Und aus dem gleichen Grund wäre es mir nicht angenehm, wenn dieser Text unkommentiert jetzt wieder erschiene, wo sein Charakter der eines Mit-den-Wölfen-Heulens wäre.«

      Als 1991 in Rostock-Lichtenhagen das Wohnheim für Ausländer in Brand gesteckt wurde, hatte der Staat auf der ganzen Linie versagt. Zehn Jahre danach sah die Sache anders aus:

      »Antisemiten und Rassisten werden bekämpft, weil man sie benötigt. Sie werden gebraucht, weil sie so was wie der Dreck sind, an welchem der Saubermann zeigen kann, dass er einer ist. Sie werden gebraucht, damit Schröder die von ihm geführten Raubzüge der Elite als ›Aufstand der Anständigen‹ zelebrieren kann. Sie werden gebraucht, weil die Ächtung von Antisemitismus und Rassismus das moralische Korsett einer Clique sind, die sich sonst alles erlauben will, jede Abgreiferei, aber wie jeder Verein für ihren Bestand Verbote und Tabus benötigt.«

      Damit hatte sich Pohrt wieder einmal der politischen Einvernahme durch die Linke, bzw. eine ihrer Fraktionen, entzogen. Er hatte die letzten Bewunderer vor den Kopf gestoßen und die letzten Drähte gekappt. Und er hat dies getan, ohne sich neue Freunde zu schaffen. Er hat sich von der Restlinken verabschiedet, ohne sich ins bürgerliche Lager zu retten. Er hat dies allein dadurch geschafft, indem er einfach nur die Zeichen der Zeit zu deuten versuchte und sich nie auf einer einmal gefundenen Wahrheit ausruhte. Er war über dreißig Jahre hinweg der vielleicht brillanteste Kopf der Linken. Sie hat ihn nie gemocht, weil er ihr den Spiegel vorgehalten hat, in dem sich ihr in der Regel kein schöner Anblick bot. Nachdem die Linke spätestens mit der Wiedervereinigung zum bloßen Gegenstand »anthropologischer Betrachtung« wurde, geben für Pohrt nun auch die Verhältnisse selbst nichts mehr her, das sich noch zu analysieren und zu kommentieren lohnte, jedenfalls nicht, um einen Verein oder eine Gemeinde damit zu erfreuen, die die Linke bestenfalls noch ist. Andere jedoch, die an seiner Meinung interessiert sind, gibt es nicht allzu viele, jedenfalls nicht in den Blättern, die bislang keine große Anstrengung unternom­men haben, an der von Pohrt vor dreißig Jahren kon­sta­tierten freiwilligen Gleichschaltung wirklich etwas zu ver­ändern.

      Zumindest kann noch einmal daran erinnert werden, dass in Deutschland die Linke zwar auf der ganzen Linie versagt hat, aber dank Wolfgang Pohrt das Niveau der Kritik an ihr weit besser war, als sie es verdient hatte, ja man kann sogar sagen, dass ein realistisches Bild von ihr nur deshalb erhalten geblieben ist, weil Pohrt sich ihrer Macken, Fehler und Eigenarten angenommen und damit die Mythenbildung erschwert hat. Als Gesellschafts­analytiker nicht weniger brillant und weitsichtig, war Pohrt in gewissem Sinne das beste Beispiel dafür, wie ver­geblich das Anschreiben gegen Verhältnisse sein kann, wenn diese von der Mehrheit so gewollt werden und eine intellektuelle Opposition nicht mehr vorhanden ist, der Gewicht und Bedeutung zukäme.

      2005