sind zum größten Teil auf der Wahrheitsseite der »Tageszeitung« erstmals erschienen. Ich schätze diese Kurzform, weil sie von ihrem Umfang her zu sprachlicher und intellektueller Disziplin zwingt.
Ein großer Teil meiner Arbeiten besteht aus Besprechungen politischer, historischer und sozialwissenschaftlicher Bücher. Ich habe aus der Fülle der Rezensionen nur exemplarische Verrisse ausgewählt. Diese Auswahl beruht nicht auf einem atavistischen Willen, Autoren und ihren Büchern oder den Verlagen zu schaden. Selbst wenn ich das wollte, schaffte ich dies als Sachbuch-Rezensent nicht, denn alle diese Bücher werden von Vielen besprochen und bewertet. Verrisse sind mir deshalb wichtig, weil das redaktionelle Gewerbe sie nicht schätzt. Dabei nicht mitzuspielen, gehört zum Ethos von Kritik und Aufklärung.
Der journalistische Betrieb hat sich durch die Konkurrenz mit dem Internet in den letzten Jahren stark verändert. Überlebt haben jedoch auch ältere Usancen und Abhängigkeiten des – euphemistisch so genannten – »freien Mitarbeiters«. Ich reagiere darauf mit einem »offen Brief« in eigener Sache. Einige Texte sind mehrfach oder in gekürzten und redaktionell mehr oder weniger stilsicher bearbeiteten Versionen erschienen. In gravierenden Fällen habe ich deshalb meine ursprünglichen Textversionen den von fremder Hand zugerichteten vorgezogen und mache dies durch das Kürzel UTV (ursprüngliche Textversion) in der Liste der Erstdruckorte am Ende des Buches deutlich. Bloße Druckfehler und kleine Irrtümer oder stilistische Unebenheiten habe ich stillschweigend korrigiert.
Mein Dank gilt wiederum Michael Billmann, Britta Gerloff, Henrike Knopp und Roland Tauber vom Verlag für die sorgfältige Aufbereitung der Texte für den Druck. Ich widme das Buch Eva-Maria in Dankbarkeit und Bewunderung. Sie hat alle Texte als Erste gelesen, korrigiert, kritisiert und mich mit ihrem Veto vor Abwegen und Irrtümern bewahrt. Die verbliebenen gehen auf mein Konto.
Frankfurt, August 2013 | Rudolf Walther |
I Historische Essays
1 Von den Autobahn-Legenden bis zur Auto-Theologie
König Sisyphos von Korinth war berühmt für seine Schlauheit und berüchtigt für allerlei Verbrechen. Für beides straften ihn die Götter, und er musste im Hades einen riesigen Stein den Berg hochwälzen. Oben angekommen, rollte der Stein wieder den Berg hinunter.
Dem Sisyphos der Moderne bescherten die Götter das Automobil – »die uns schufen, sind Götter«. Der Automobiljournalist Martin Beheim-Schwarzbach meinte damit 1953 die »Volkswagen«. Deren Geschichte fällt zusammen mit dem Beginn des Autobahnbaus unter dem Hitler-Regime. Geschichte einer schönen Bescherung.
Der Traum, mit dem Auto die Mobilität ins Unendliche zu steigern, war ausgeträumt, bevor die Autowelle richtig Schwung kriegte. Seit 1936 steht in der Nähe des Hermsdorferkreuzes in Thüringen eine betonharte Strafe der Götter – die Teufelstalbrücke, vierspurig und 56 Meter über dem Erdboden. Für den Verkehr wurde sie nie freigegeben, und jetzt soll sie abgerissen oder als »bautechnische Spitzenleistung der Nazidiktatur (…) in letzter Sekunde« (FAZ 29.8.99) gerettet werden. Je dichter das Autobahnnetz wurde, desto mehr wuchs sich der automobile Traum zum Alptraum aus. Die freie Fahrt des freien Bürgers endet immer regelmäßiger im stockenden Verkehr oder im Stau. Deshalb bedürfen Autobahnbau und Autos wie keine anderen Einrichtungen der technischen Zivilisation fortlaufend neuer Legenden und Mythen.
Der Ursprung der Autobahnen ist umstritten. Je nach Definition liegt er in den USA, in Deutschland oder in Italien. In den USA ließen sich reiche Leute 1906 einen Parcours (»Motor Parkway«) für das Rennen um den »Vanderbilt Challenge Cup« bauen. Bis 1910 wuchs die Strecke bis auf rund 80 Kilometer, diente aber nicht als öffentliche Straße. Die erste kreuzungsfreie Straße mit getrennten Fahrspuren entstand zwischen 1913 und 1921 in Berlin. Die nichtöffentliche Rennstrecke AVUS (Automobilverkehrs- und Übungsstraße) führte über rund 10 Kilometer von Nikolassee bis Charlottenburg. Als Konrad Adenauer 1932 die öffentliche Autostraße Köln-Bonn eröffnete, nannte er diese anheimelnd »Kraftwagenbahn« – der Ausdruck passt wie zwanzig Jahre später der von der Atombombe als »verbesserter Artillerie«. Am 21.9.1924 schließlich wurde die erste richtige Autobahn Mailand-Varese eingeweiht, für die sich der »Straßenkönig« und Freund Mussolinis – Piero Puricelli – eingesetzt hatte.
In den zwanziger Jahren hatten dann überall die Projektemacher ihre große Zeit, aber verwirklicht wurden ihre Pläne nirgends. Besonders rührig waren die Deutschen. Die »Studiengesellschaft für Automobilstraßenbau« (STUFA) legte 1927 einen Plan für ein Fernstraßennetz von 22 500 Kilometern vor. Das heute bestehende Autobahnnetz umfasst etwa die halbe Länge! Zum Teil bis zur Projektreife gediehen waren die Pläne der HAFRABA-Gesellschaft (Hamburg-Frankfurt-Basel). Einen wichtigen Anstoß erhielten diese Projekte durch das Internationale Arbeitsamt in Genf und ihren Direktor Albert Thomas, der mit dem Plan eines europäischen Straßennetzes einen Beitrag sowohl zur Völkerverständigung als auch zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit leisten wollte. Alle diese Projekte hingen finanziell buchstäblich in der Luft.
Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht übernahmen, begannen Autobahnbau und Legendenbildung auf großer Stufenleiter. Hitler war vor 1933 kein Anhänger von Autobahnen. Mit dem Ökonomen Werner Sombart glaubte er, solche Straßen dienten »höchstens einer Steigerung der Bequemlichkeit oder der Befriedigung eines Luxusbedürfnisses«. Davon distanzierte sich Hitler, als er merkte, wie sich der Autobahnbau propagandistisch ausschlachten ließ. Autobahnen sind unübersehbare »Errungenschaften«. Der Legende nach verringerte der Autobahnbau die Zahl der Arbeitslosen. Tatsächlich waren dabei vor Kriegsbeginn nie mehr als 130 000 Mann beschäftigt. Ganze vier bis fünf Prozent der Arbeitslosen bekamen durch den Autobahnbau eine Stelle. Der konjunkturelle Aufschwung in anderen Branchen und die Wiederaufrüstung spielten eine beträchtlich größere Rolle. Aber die Legende der Goebbels-Trommler, der Autobahnbau beseitige die Arbeitslosigkeit, hält sich, seit das erste Teilstück am 19.5.1935 mit viel Pomp eröffnet wurde, bis heute.
Von den geplanten 9000 Kilometern Autobahnen waren bei Kriegsbeginn knapp 2200 fertig und genau 40 840 000 Quadratmeter Boden zubetoniert. Eine Mischung aus Keynesianismus und räuberischer Zweckentfremdung sorgte für die Finanzierung. Drei Viertel der Kosten von etwa fünf Milliarden wurden über die »Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung« – also über die Beiträge der Versicherten – finanziert, der Rest durch Kredite.
Der eigentliche Vater des faktischen wie des propagandistischen Erfolgs war der am 5.7.1933 zum »Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen« ernannte Fritz Todt, der »einen freundlichen Kreis gleichstrebender, hervorragender Männer«, die fast alle aus der Reichsbahnverwaltung stammten, »mit straffer Hand (…) zu einer Höchstleistung« trieb, wie es 1964 im »Handbuch des Betonstraßenbaus« heißt. Außer einer straffen Hand verfügte Todt über Hitlers Vertrauen und mit dem »Gesetz über die Errichtung des Unternehmens Reichsautobahnen« über fast grenzenlose Vollmachten. Die Veteranen des Autobahnbaus behielten ihren männerbündlerischen Stolz über 1945 hinaus und bastelten an ihrer Lebenslüge weiter. Die Festschrift des Bauamts Nürnberg bescheinigte 1959 »allen Beteiligten (…) Idealismus, Liebe und Zähigkeit« und feierte die 25 Jahre Autobahnbau als »einen vollgültigen Ausdruck unseres Zeit- und Lebensgefühls«. Was der verquollene Satz genau bedeutet, geht aus der Bilanz eines Veteranen aus dem Jahre 1987 hervor: »Für die Autobahnleitungen gab es keinen Krieg (…) Weiterhin wurde trassiert und projektiert wie im tiefsten Frieden«, obwohl der Autobahnbau mit Kriegsbeginn praktisch eingestellt worden war.
Niemand dachte zunächst daran, den Güterfernverkehr auf die Straße zu verlagern (heute sind es 53 Prozent aller Waren, der Eisenbahn blieben ganze 16 Prozent). Außer wirtschaftlichen verfolgte der Autobahnbau von Anfang an auch militärische Ziele. Die Wehrkreiskommandos waren in die Planung über die Streckenführung einbezogen, und die Wehrmachtsführung bedrängte Todt, die Strecke Berlin-Breslau unbedingt bis zum September 1939 fertigstellen zu lassen. Der Automobil-Fan Bertolt Brecht ahnte die militärischen Motive 1938: »Knietiefer Beton, bestimmt für schwere Tanks«.
Aber ebenso wichtig waren die Autobahnen für die Propaganda und die Autoideologie. 1936 erfand die Zeitung »Die Straße« dafür das Wort »Autowandern« und geriet richtig ins Schwärmen: »Das Wandern mit dem Kraftwagen ist Verbindung von Autofahrt