Doris Lott (Hrsg.)
Hopfenduft
und Butterbrezel
Karlsruher Kinder erzählen
Meinen Kindern, Sibylle und Daniel,
und meinen vier Enkelkindern gewidmet.
Doris Lott, 1940 in Karlsruhe geboren, studierte Deutsch und Französisch und lebte zwei Jahre in Frankreich. Neben ihrer Tätigkeit als Lehrerin an einer Realschule arbeitet sie seit vielen Jahren als freie Journalistin und schrieb zahlreiche Beiträge und Feuilletons für den Rundfunk. So entstand auch ihr Frankreichbuch „Mein blau-weiß-rotes Herz“, welches über ihre Begegnungen mit Franzosen berichtet. Bekannt wurde sie auch als Herausgeberin von mehreren Karlsruhe-Büchern wie den beiden Bänden „Vom Glück in Karlsruhe zu leben“, durch ihr Kinderbuch „Anton, der Eisbär“ sowie durch die „Karlsruher Brunnengeschichten“.
Dieser Band herausgegeben von Doris Lott
Fotonachweis: alle Fotos privat,
außer: Doris Schmidts S. 187: MGC – R. Schmidt; Doris Lott S. 119: Roland Fränkle, Bildstelle der Stadt, Umschlagrückseite: jodo
Das Titelfoto zeigt Joachim Wohlfeil und seine Schwester.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, ohne Genehmigung des Verlages nicht gestattet.
Lindemanns Bibliothek
Literatur und Kunst im Info Verlag
herausgegeben von Thomas Lindemann
Band 174
Mitarbeit: Kurt Fay
© 4. Auflage 2017 · Info Verlag GmbH
www.infoverlag.de
ISBN 978-3-88190-974-7
Doris Lott
So wunderbar ist
das Leben gemischt
„So wunderbar ist das Leben gemischt“ heißt es in einer Verszeile von Goethe über den Leben spendenden Atem. Wie oft fallen mir diese Worte ein, wenn ich in meiner Stadt ganz unterschiedlichen Menschen begegne. „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“ hat Martin Buber gesagt, und das vorliegende Buch mit über 30 „Karlsruher Kindern“, die sich heute als Erwachsene an ihre Kinder- und Jugendzeit erinnern, legt dafür Zeugnis ab.
In mehreren Karlsruhe-Büchern habe ich die unterschiedlichsten Menschen beschrieben und geschildert, wie sie mich geprägt und beeindruckt haben, aber das war nur ein Mosaiksteinchen im Kosmos meiner Heimatstadt.
Das vorliegende Buch ist viel breiter gefächert, weil nicht ich diese Menschen beschreibe, sondern weil die Karlsruher Persönlichkeiten selbst in der Ich-Form berichten, wie ihre Heimatstadt sie geprägt hat und welche Erinnerungen in ihnen beim Thema „Kindheit in Karlsruhe“ lebendig werden. Hopfenduft und Butterbrezel, der Spaziergang am Sonntagnachmittag mit den Großeltern im Schlossgarten oder der Tag, an dem der Vater aus russischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrte und die Kinder Mühe hatten, sich an den „fremden Mann“ zu gewöhnen.
Einige dieser Geschichten habe ich im persönlichen Gespräch aufgezeichnet, andere wurden mir von den Autoren zugeschickt. Der Bürgermeister, der Bischof, der Banker, die Boxweltmeisterin, die Polizeipräsidentin und die Wirtin von der „Alpeschell“ in der Südstadt, sie gehören zum „wirklichen Leben“ meiner Heimatstadt. Und wenn ich in einer schönen Sommernacht den Duft der Lindenallee in der Bahnhofstraße einatme und das exotische Schreien der Pfauen und Seehunde aus dem Stadtgarten herübertönt, dann fühle ich dieses Glück, in Karlsruhe zu leben.
Dankbar bin ich allen, die mir bei meinem Buch geholfen haben. Vor allem meiner Freundin Barbara Harthill, ohne deren Sachverstand und technische Koordination es nicht möglich gewesen wäre, dieses Buch rechtzeitig vorzulegen. Ihrer Vermittlung verdanke ich auch die Begegnung mit Sonny Fuchs, die mit ihrer Karlsruher Familie nach Neuseeland ins Exil gehen musste, und dem Deutsch-Amerikaner Helmut Fricker.
Irene Schneider hat gemeinsam mit mir kritisch die Texte begutachtet und Ute Morasch und Kurt Fay haben unverzagt und kompetent Korrektur gelesen. Mein Dank gilt insbesondere auch dem Journalisten Josef Werner, der mich zu diesem Buch ermutigt hat. Constanze und Thomas Lindemann waren von Anfang offen für mein Projekt und haben das Buch durch ihre Beratung und ihr Know-how auf den Weg gebracht.
Karlsruhe, im Herbst 2012
All you need is love
Markus Brock
In meinem vierten Lebensjahr zogen wir nach Rüppurr. Kaum waren wir hier, trennten sich meine Eltern. Als ich 14 war, starb meine Mutter an einem Gehirntumor, und so kommt es, dass ich meine Kindheitserinnerungen mit niemanden mehr teilen kann, vor allem nicht die Erinnerung an die Jahre vor ihrem Tod. Mein Vater kam dann mit meiner Stiefmutter zu mir nach Karlsruhe, damit ich nicht aus meiner gewohnten Umgebung gerissen wurde. Ich bin ihnen dafür sehr dankbar. Aber meine Kindheit war mit dem Tod meiner Mutter eigentlich vorbei – weshalb ich von den Jahren davor erzählen will.
Zuerst wohnten wir in der Frauenalber und später in der Spessarter Straße, wo ich – auch als Scheidungskind – eine glückliche Kindheit verbrachte. Meine Mutter war immer für mich da, gab mir unendlich viel Liebe. Ein Urvertrauen, von dem ich heute noch zehre. Aber auch mein Vater besuchte mich regelmäßig von München aus, wo er inzwischen wohnte.
Hier in Karlsruhe begegnete ich aber auch anderen Menschen, die mir so liebevoll entgegenkamen, dass ich sie bis heute nicht vergessen habe. Schwester Ursula zum Beispiel vom katholischen Kindergarten – Schwester Ursula mit ihren roten Haaren. Dass ich evangelisch war, spielte für die Schwestern keine Rolle. Oder meine Grundschullehrerin, Frau Wentz, die meine ersten Jahre in der Riedschule begleitete. Als ich sie nach Jahren einmal in der Stadt traf, umarmte sie mich so herzlich wie früher, und ich wunderte mich, wie klein sie war.
Bilder fallen mir ein. Ich sehe mich noch als kleinen Jungen mit Gummistiefeln und abwaschbaren Klamotten durch die Alb waten, über schlammige Äcker springen, im Wald bei den sieben Hügeln in der Nähe der Aussiedlerhöfe toben, spielen, Hütten bauen und natürlich mit meinen Freunden auf dem Spielplatz. Da haben wir uns eigentlich jeden Tag getroffen. Haben Tischtennis, Fußball, Hockey oder „Räuber und Gendarm“ gespielt. Das war meine Welt, und sobald ich nach Schulschluss gegessen und meine Hausaufgaben gemacht hatte, zog es mich nach draußen, bis es dunkel wurde. Bei Wind und Wetter waren wir im Freien und wenn ich heim kam, war meine Mutter da, setzte mich in die Badenwanne und machte Abendbrot. Genau so war’s. Auch wenn ich mal nicht völlig verdreckt war!
Sie wollte keinen neuen Partner, und so sprach sie mit mir über alles, was sie bewegte und was in der Welt vor sich ging. So begann auch ich schon früh, mich für alles, was so passierte, zu interessieren.
Am Wochenende hatten wir beide unser festes Ritual. Jeden Samstag gingen wir zusammen in die Stadt. Und jedes Mal ging es zum Spielwarengeschäft Döring. Denn dort gab es alles für meine hölzerne Wildwest-Stadt. Jedes Mal durfte ich mir dann eine neue Cowboy- oder Indianerfigur aussuchen. Nicht mal eine Mark hat das damals gekostet. Dann wurden gemeinsam andere Besorgungen erledigt. Oft auch Kleidung für sie oder mich. Ich bei „Hergard“, meine Mutter in der schicken „Rodier“-Boutique. Vielleicht gehe ich deshalb heute noch – ganz untypisch für Männer – gerne mit meiner Tochter Kleider kaufen. Anschließend ging’s dann in die Pizzeria „Como Lario“ in der Kaiserstraße. Der Besitzer der Pizzeria war ein sehr netter Spanier. Einmal schenkte er mir eine Gourde, eine spanische Trinkflasche aus Leder. Meine Mutter bestellte sich immer eine Pizza oder Pasta mit einem kleinen Glas Rotwein, für mich gab es Pizza und Cola oder Fanta. Dann steckte ich eine Mark in die Musikbox und drückte drei Beatles-Songs. Vor allem ihr Lieblingslied: All you need is love, love, love is all you need ...
Auch heute noch brauche ich Rituale, sicher auch,