Wolfram Fleischhauer

Hopfenduft und Butterbrezel


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im Sommer drei- bis viermal die Woche meine dreißig oder vierzig Bahnen ziehe. Vor kurzem habe ich das Rheinhafenbad entdeckt, das sehr lange geöffnet ist, und kann nun meine Saison verlängern. Ich brauche den Sport, um meinen Kopf freizukriegen. „Bei uns tobt ein Bürgerkrieg im Kopf“, hat neulich ein Hirnforscher gesagt und mir geht das wirklich oft so.

      Wenn ich im Oberwald in Rüppurr losjogge, dann klärt sich all das angehäufte Wissen, das ich tagsüber in meinen Kopf stopfe und dann in meinen Sendungen „ausspucke“. Es ist so wichtig für mich, meinen Kopf freizukriegen. Nicht denken: loslaufen, schwimmen, Rad fahren.

      Mit 18, die Pubertät mit all ihren Problemen lag hinter mir, durfte ich meine Zukunft selbstständig in die Hand nehmen. Ich bereitete mich auf mein Abitur vor. Ich bin meinem Vater sehr dankbar, dass er großes Vertrauen in meine Selbstständigkeit gesetzt hat. Aber auch sonst habe ich immer Menschen getroffen, die mich liebevoll aufgenommen haben. Die Eltern meiner ersten Freundin aus der Eisenlohrstraße, die Familie meiner späteren Freundin, meine Lehrer und Lehrerinnen.

      Es war eben nicht selbstverständlich, dass zum Beispiel mein Religionslehrer, Herr Hirth, obwohl wir ganz andere Ansichten über Gott und die Welt hatten, stundenlang mit mir diskutierte, oder Pfarrer Herion, der mich konfirmierte, mir so viel Toleranz entgegenbrachte. Ihnen verdanke ich es, dass ich auf dem Boden der christlichen Werte stehe.

      Aber zurück zu meiner Kindheit. Ich war ein guter Schüler, abgesehen von Mathe, Physik und Chemie, wo ich eine richtige Pflaume war. Meine Grundschullehrerin wollte, dass ich mich für das Bismarck-Gymnasium entscheide, aber da war nichts zu machen. Ich wollte in meinem Rüppurr und bei meinen Freunden bleiben. Deshalb ging ich ins Max-Planck-Gymnasium, das heute auch meine Tochter besucht. Mein Lieblingslehrer, Paul Stephany, unterrichtet dort immer noch Politik, die ich am Ende als Leistungskurs gewählt hatte. Auch meine Deutsch- und Geschichtslehrerin Birgit Voigt ist noch da. Beide mag ich noch genauso wie damals.

      Ich habe mich immer gerne in der Schule engagiert, war jüngstes Redaktionsmitglied der Schülerzeitung „Granate“, Klassensprecher oder in der SMV.

      An unserer Schule herrschte eine sehr liberale, lockere Atmosphäre – dank Direktor Erwin Baurmann. Ich mochte dieses Gymnasium mit seinem guten Geist, das auch Problemkinder aufnahm, die von anderen Schulen geflogen waren und die hier noch eine Chance bekamen. Und ich mag es auch heute noch, als Vater einer Tochter, die dort nun ihren Weg machen darf.

      Paul, mein Politiklehrer, mit dem ich heute noch gerne schwatze (s. o.!), sagte mal zu mir: „Das wusste ich, dass Du nie einen normalen Beruf haben wirst!“ Stimmt, ich wollte immer Musiker werden – oder eben Journalist. Weil ich gerne auf der Bühne stehe, macht mir das auch heute noch großen Spaß: als Fernseh-Moderator beim SWR.

      Schon als Schüler spielte ich in verschiedenen Bands, „Pan Tau“ und „Inquest“ waren recht bekannt. Ich machte Jazz, Rock und Pop, spielte Bass und sang, aber ein großer Solosänger war ich nie. Ich bin ein ausgesprochener Individualist, aber gleichzeitig auch ein begeisterter Team-Worker, noch ein Grund, warum mir Fernsehen so viel Freude macht.

      Nach dem Abitur habe ich Wirtschaftswissenschaften studiert. Drei Wochen lang. Denn es war einfach viel zu viel Mathematik, die ja nie mein Ding war. Also habe ich umgesattelt auf Soziologie und Politische Wissenschaft.

      Heute lebe ich mit meiner Familie immer noch in Rüppurr und fühle mich in Karlsruhe sehr wohl.

      Schon meine erste Erfahrung mit der Stadt war positiv. In der Zeit davor wohnten wir im Ruhrgebiet, das damals wirklich noch der berüchtigte Kohlenpott war. Ich hatte einen üblen Pseudo-Krupp-Husten. Als wir, ich war damals vier Jahre alt, nach Karlsruhe zogen, war dieser Husten nach nur drei Wochen verschwunden. Für immer. Und ich bin heilfroh, dass ich in der wärmsten Stadt Deutschlands lebe. Schade nur, dass der Sommer hier nicht 365 Tage dauert!

      Auch wenn die Stadt momentan so viele Baustellen hat: Ich stehe voll hinter der Kombilösung, die uns endlich eine richtige Fußgängerzone bescheren wird. Bis dahin bleibt mir immer noch mein Fahrrad, da umfahre ich einfach jede Baustelle.

      Barfuß durch den Sommer

       Wolfram Fleischhauer

      Ich bin in einer Stadt aufgewachsen, aber die frühsten Erinnerungen haben alle mit der Natur zu tun, vor allem mit dem Wald. Wir wohnten in der Oststadt, im Klosterweg. Wenn ich aus dem Fenster schaute, war alles grün. Um das Haus herum gab es überall noch Gärten und Wiesen, gegenüber lockte der immense Hardtwald, in den sich noch keine Universitätsgebäude, Stahlbetoninstitute und Parkplätze hineingefressen hatten.

      Wahrscheinlich bilde ich es mir nur ein, aber ich meine, ich ging den ganzen Sommer über barfuß. Ich weiß noch, dass ich im Frühling jeden Morgen nach dem Aufstehen auf den Balkon stürzte um zu schauen, ob das Thermometer schon 15 Grad anzeigte – denn nur dann bekam ich die Erlaubnis, in kurzen Hosen zur Schule zu gehen. Nachmittags war ich so viel wie möglich draußen, auf dem Singer-Gelände, wo heute das Fraunhofer Institut steht, oder im Wald gegenüber.

      Wir lebten zu fünft in einer Dreizimmerwohnung. Zwar kamen eine eigene und später auch noch eine angemietete Mansarde hinzu, in die man ausweichen konnte, aber eng war es trotzdem.

      Mein Vater war Beamter beim Hochbauamt, meine Mutter tat, was man heute wohl als Multitasking bezeichnen würde: Haushalt, Kinder und wechselnde Nebenjobs. Besonders gut erinnere ich mich an Tupperparties, zu denen ich oft mitgenommen wurde. „Die schöne Müllerin“ und „Das doppelte Lottchen“ waren fester Bestandteil meines Kindervokabulars. Am interessantesten war allerdings das Chaos, das im Wohnzimmer beim Umpacken der Bestellungen entstand. Meinem jüngeren Bruder und mir ging es dabei vor allem darum, leere Kartons für den Hüttenbau im Kinderzimmer abzustauben. Meine ältere Schwester war über dieses Stadium damals schon hinaus.

      Ich bin zwar evangelisch getauft, da jedoch mein bester Freund katholisch war und der nächstgelegene Kindergarten auch, besuchte ich den Kindergarten der Bernhardus-Gemeinde. Vor ein paar Jahren habe ich alte Kinderzeichnungen aus dieser Zeit wiedergefunden, die Hochzeit zu Kanaan, von der ich offenbar damals keine rechte Vorstellung hatte. Eine Braut ist jedenfalls nirgendwo zu sehen, und was der nach offizieller Überlieferung Dauer-Single Jesus auf dieser Hochzeit verloren hatte, geht aus der Zeichnung auch nicht hervor. Haben Kinder vielleicht ein Gespür für Ungereimtheiten in Geschichten? Als ich Jahre später herausfand, dass die ganze Kanaan-Episode gefälscht ist (tatsächlich hat Jesus dort geheiratet), fiel mir jedenfalls die Zeichnung wieder ein.

      Es fällt mir heute schwer, es zu glauben, aber soweit ich mich erinnern kann, ging ich die nicht unbeträchtliche Strecke zum Kindergarten schon als Fünfjähriger alleine. Und auch der Weg zur Tulla-Grundschule, die ich ab 1967 besuchte, fand nach einer kurzen Eingewöhnungszeit ohne Begleitung von Erwachsenen statt. Heute unvorstellbar, durchquerte ich dabei mit anderen ABC-Schützen das Gelände um den Hauptfriedhof und kreuzte Straßen, auf denen auch damals schon Autos und Straßenbahnen fuhren. Mein eigener Sohn ist heute acht Jahre alt und ich könnte mir nicht vorstellen, den verträumten Drittklässler an einem Novembermorgen auf einen solchen Weg zu schicken. Ist die Welt so viel gefährlicher geworden? Oder wir Erwachsene so viel ängstlicher? Immerhin – und das werde ich nie vergessen – wurde eine meiner Mitschülerinnen damals auf dem Schulweg totgefahren. Sie hieß Romei Stiefel. Ich kann mich noch gut an sie erinnern: Blond, mit einem fahrigen Blick aus blauen Augen und immer Resten von Schokoladenkeksen um den Mund.

      Ich verliebte mich auf Anhieb in meine Lehrerin. Sie hieß Frau Schärf und hatte lange, schwarze Haare. Ich wollte ihr gleich am zweiten Schultag Blumen schenken, was meine Mutter allerdings zu verhindern wusste.

      Ab der zweiten Klasse unterrichtete mich die strenge Frau Holler. Der Anklang an die Märchenfigur ist durchaus treffend. Sie steckte mich schon bald – wohl nicht ganz zu Unrecht – in die Kategorie Pechmarie (Spätentwickler, eher faul und ein wenig aufmüpfig). Meine Schulkarriere bis zur zehnten Klasse war ab da mehr oder weniger vorgezeichnet.

      Dass ich es auf das Gymnasium schaffte und bis zur zehnten Klasse durchhielt, verdanke ich vor allem dem Engagement meiner Eltern. Ausbildung hatte bei uns einen sehr hohen Stellenwert, was sicher auch daran lag, dass meine Eltern diesbezüglich kriegsbedingt kein großes