Thomas Mann

Buddenbrooks


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anstellen, welchen verdammungswürdigen Einflüssen ich die Behandlung verdanke, welche ich bislang zu dulden genötigt war; aber ich protestiere gegen dieselbe mit dem ganzen Rechtssinn des Christen und des Geschäftsmannes und versichere Sie zum letzten Male, daß, sollten Sie sich nicht entschließen können, meine gerechten Ansprüche zu respektieren, ich Sie weder als Christ noch als Vater noch als Geschäftsmann länger werde achten können.

      Gotthold Buddenbrook.«

      »Verzeih, wenn es mir kein Pläsier macht, dir diese Litanei noch einmal vorzubeten. – Voilà!« Und mit einer grimmigen Bewegung warf Joh. Buddenbrook den Brief seinem Sohne zu.

      Der Konsul fing das Papier auf, als es in der Höhe seiner Knie flatterte, und folgte mit verwirrten und traurigen Augen den Schritten des Vaters. Der alte Herr ergriff den langen Kerzenlöscher, der beim Fenster lehnte und ging stramm und erzürnt am Tische entlang in den entgegengesetzten Winkel, zum Kandelaber.

      »Assez! sage ich. N'en parlons plus, Punktum! Ins Bett! En avant!« Eine Flamme nach der anderen verschwand ohne Auferstehen unter dem kleinen Metalltrichter, der oben an der Stange befestigt war. Es brannten nur noch zwei Kerzen, als der Alte sich wieder nach seinem Sohne umwandte, den er dort hinten kaum zu erkennen vermochte.

      »Eh bien, was stehst du, was sagst du? Du mußt doch irgend etwas sagen!«

      »Was soll ich sagen, Vater? – Ich bin ratlos.«

      »Es passiert leicht, daß du ratlos bist!« warf Johann Buddenbrook mit böser Betonung hin, obgleich er selbst wußte, daß diese Bemerkung nicht viel Wahres enthielt, und daß sein Sohn und Associé ihm manches Mal im entschlossenen Ergreifen des Vorteils überlegen gewesen war.

      »Schlechte und verdammungswürdige Einflüsse …« fuhr der Konsul fort. »Das ist die erste Zeile, die ich entziffere! Sie begreifen nicht, wie mich das quält, Vater? Und er wirft uns Unchristlichkeit vor!«

      »Du wirst dich durch dieses miserable Geschreibsel einschüchtern lassen, – ja?!« Johann Buddenbrook kam zornig herbei, den Kerzenlöscher hinter sich her schleifend. »Unchristlichkeit! Ha! Geschmackvoll, muß ich sagen, – diese fromme Geldgier! Was seid ihr eigentlich für eine Kompanei, ihr jungen Leute, – wie? Den Kopf voll christlicher und phantastischer Flausen … und … Idealismus! und wir Alten sind die herzlosen Spötter … und nebenbei die Juli-Monarchie und die praktischen Ideale … und lieber dem alten Vater die gröbsten Sottisen ins Haus schicken, als auf ein paar tausend Taler verzichten!… Und als Geschäftsmann wird er geruhen, mich zu verachten! Nun! als Geschäftsmann weiß ich, was faux-frais sind, – faux-frais!« wiederholte er mit grimmigem pariserischen Gurgel-r. »Ich mache mir diesen exaltierten Schlingel von einem Sohn nicht ergebener, wenn ich mich demütigen sollte und nachgeben …«

      »Lieber Vater, was soll ich antworten! Ich will nicht, daß er recht hat mit dem, was er von ›Einflüssen‹ sagt! Ich bin als Teilhaber interessiert und gerade deshalb dürfte ich dir nicht raten, auf deinem Standpunkt zu bestehen, jedoch … Und ich bin ein so guter Christ als Gotthold, jedoch …«

      »Jedoch! Ja, du hast meiner Treu recht, ›jedoch‹ zu sagen, Jean! Wie verhalten sich die Dinge denn eigentlich? Damals, als er für seine Mamsell Stüwing inflammiert war, als er mir Szene für Szene machte und am Ende, meinem strengen Verbot zum Trotz, diese Mesalliance einging, da schrieb ich ihm: Mon très cher fils, du heiratest deinen Laden, Punktum. Ich enterbe dich nicht, ich mache kein spectacle, aber mit unserer Freundschaft ist es zu Ende. Hier hast du 100000 als Mitgift, ich vermache dir andere 100000 im Testamente, aber damit basta, damit bist du abgefertigt, es gibt keinen Schilling mehr. – Dazu hat er geschwiegen. Was geht es ihn an, wenn wir Geschäfte gemacht haben? Wenn du und deine Schwester eine tüchtige Portion mehr bekommen werden? Wenn von dem Erbteil, das euer ist, ein Haus gekauft wurde …«

      »Wenn Sie verstünden, Vater, in welchem Dilemma ich mich befinde! Um der Familieneintracht willen müßte ich raten … aber …« Der Konsul seufzte leise auf, an seinen Stuhl gelehnt. Johann Buddenbrook spähte, gestützt auf die Löschstange, aufmerksam in das unruhige Halbdunkel hinein, um den Gesichtsausdruck des Sohnes zu erforschen. Die vorletzte Kerze war heruntergebrannt und von selbst erloschen; nur eine flackerte noch, dort hinten. Dann und wann trat eine hohe, weiße Figur ruhig lächelnd aus der Tapete hervor und verschwand wieder.

      »Vater, – dieses Verhältnis mit Gotthold bedrückt mich!« sagte der Konsul leise.

      »Unsinn, Jean, keine Sentimentalität! Was bedrückt dich?«

      »Vater, … wir haben hier heute so heiter beieinander gesessen, wir haben einen schönen Tag gefeiert, wir waren stolz und glücklich in dem Bewußtsein, etwas geleistet zu haben, etwas erreicht zu haben … unsere Firma, unsere Familie auf eine Höhe gebracht zu haben, wo ihr Anerkennung und Ansehen im reichsten Maße zuteil wird … Aber, Vater, diese böse Feindschaft mit meinem Bruder, deinem ältesten Sohne … Es sollte kein heimlicher Riß durch das Gebäude laufen, das wir mit Gottes gnädiger Hilfe errichtet haben … Eine Familie muß einig sein, muß zusammenhalten, Vater, sonst klopft das Übel an die Tür …«

      »Flausen, Jean! Possen! Ein obstinater Junge …«

      Es entstand eine Pause; die letzte Flamme senkte sich tiefer und tiefer.

      »Was machst du, Jean?« fragte Johann Buddenbrook. »Ich sehe dich gar nicht mehr.«

      »Ich rechne«, sagte der Konsul trocken. Die Kerze flammte auf, und man sah, wie er gerade aufgerichtet und mit Augen, so kalt und aufmerksam, wie sie während des ganzen Nachmittags noch nicht darein geschaut hatten, fest in die tanzende Flamme blickte. – »Einerseits: Sie geben 33335 an Gotthold und 15000 an die in Frankfurt, und das macht 48335 in Summa. Andererseits: Sie geben nur 25000 an die in Frankfurt, und das bedeutet für die Firma einen Gewinn von 23335. Das ist aber nicht alles. Gesetzt, Sie leisten an Gotthold eine Entschädigungssumme für den Anteil am Hause, so ist das Prinzip durchbrochen, so ist er damals nicht endgültig abgefunden worden, so kann er nach Ihrem Tode ein gleich großes Erbe beanspruchen, wie meine Schwester und ich, und dann handelt es sich für die Firma um einen Verlust von Hunderttausenden, mit dem sie nicht rechnen kann, mit dem ich als künftiger alleiniger Inhaber nicht rechnen kann … Nein, Papa!« beschloß er mit einer energischen Handbewegung und richtete sich noch höher auf. »Ich muß Ihnen abraten, nachzugeben!« –

      »Na also! Punktum! N'en parlons plus! En avant! Ins Bett!«

      Das letzte Flämmchen verlosch unter dem Metallhütchen. In dichter Finsternis schritten die beiden durch die Säulenhalle, und draußen, beim Aufgang zum zweiten Stocke, schüttelten sie einander die Hand.

      »Gut' Nacht, Jean … Courage, du? Das sind so Ärgerlichkeiten … Auf Wiedersehen morgen beim Frühstück!«

      Der Konsul stieg die Treppe hinauf in seine Wohnung, und der Alte tastete sich am Geländer ins Zwischengeschoß hinunter. Dann lag das weite, alte Haus wohlverschlossen in Dunkelheit und Schweigen. Stolz, Hoffnungen und Befürchtungen ruhten, während draußen in den stillen Straßen der Regen rieselte und der Herbstwind um Giebel und Ecken pfiff.

       Inhaltsverzeichnis

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      Zweiundeinhalbes Jahr später, um die Mitte des April schon, war zeitiger als jemals der Frühling gekommen, und zu gleicher Zeit war ein Ereignis eingetreten, das den alten Johann Buddenbrook vor Vergnügen trällern machte und seinen Sohn aufs freudigste bewegte.

      Um 9 Uhr, eines Sonntagmorgens, saß der Konsul im Frühstückszimmer vor dem großen, braunen Sekretär, der am Fenster stand und dessen gewölbter Deckel vermittelst eines witzigen Mechanismus zurückgeschoben war. Eine dicke