Thomas Mann

Buddenbrooks


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      »Ja, Morten«, sagte sie glücklich und abwesend, indem sie seine Augen, seinen Mund und seine Hände betrachtete, die die ihren hielten …

      Er zog ihre Hand noch näher an seine Brust und fragte gedämpft und bittend: »Wollen Sie mir daraufhin nicht … Darf ich das nicht … bekräftigen …?«

      Sie antwortete nicht, sie sah ihn nicht einmal an, sie schob nur ganz leise ihren Oberkörper am Sandberg ein wenig näher zu ihm hin, und Morten küßte sie langsam und umständlich auf den Mund. Dann sahen sie nach verschiedenen Richtungen in den Sand und schämten sich über die Maßen.

       Inhaltsverzeichnis

      »Teuerste Demoiselle Buddenbrook!

      Wie lange ist es her, daß Unterzeichneter das Angesicht des reizendsten Mädchens nicht mehr erblicken durfte? Diese so wenigen Zeilen sollen Ihnen sagen, daß dieses Angesicht nicht aufgehört hat, vor seinem geistigen Auge zu schweben, daß er während dieser hangenden und bangenden Wochen unablässig eingedenk gewesen ist des köstlichen Nachmittags in Ihrem elterlichen Salon, an dem Sie sich ein Versprechen, ein halbes und verschämtes zwar noch, und doch so beseligendes entschlüpfen ließen. Seitdem sind lange Wochen verflossen, während derer Sie sich behufs Sammlung und Selbsterkenntnis von der Welt zurückgezogen haben, so daß ich nun wohl hoffen darf, daß die Zeit der Prüfung vorüber ist. Endesunterfertigter erlaubt sich, Ihnen, teuerste Demoiselle, mitfolgendes Ringlein als Unterpfand seiner unsterblichen Zärtlichkeit hochachtungsvollst zu übersenden. Mit den devotesten Komplimenten und liebevollsten Handküssen zeichne als

      Dero Hochwohlgeboren ergebenster

       Grünlich.«

      »Lieber Papa!

      O Gott, wie habe ich mich geärgert! Beifolgenden Brief und Ring erhielt ich soeben von Gr., so daß ich Kopfweh vor Aufregung habe, und weiß ich nichts Besseres zu tun, als beides an Dich zurückgehen zu lassen. Gr. will mich nicht verstehen, und ist das, was er so poetisch von dem ›Versprechen‹ schreibt, einfach nicht der Fall, und bitte ich Dich so dringend, ihm nun doch kurzerhand plausibel zu machen, daß ich jetzt noch tausendmal weniger als vor sechs Wochen in der Lage bin, ihm mein Jawort fürs Leben zu erteilen und daß er mich endlich in Frieden lassen soll, er macht sich ja lächerlich. Dir, dem besten Vater, kann ich es ja sagen, daß ich anderweitig gebunden bin an jemanden, der mich liebt, und den ich liebe, daß es sich gar nicht sagen läßt. O Papa! Darüber könnte ich viele Bogen vollschreiben, ich spreche von Herrn Morten Schwarzkopf, der Arzt werden will, und, sowie er Doktor ist, um meine Hand anhalten will. Ich weiß ja, daß es Sitte ist, einen Kaufmann zu heiraten, aber Morten gehört eben zu dem anderen Teil von angesehenen Herren, den Gelehrten. Er ist nicht reich, was wohl für Dich und Mama gewichtig ist, aber das muß ich Dir sagen, lieber Papa, so jung ich bin, aber das wird das Leben manchen gelehrt haben, daß Reichtum allein nicht immer jeden glücklich macht. Mit tausend Küssen verbleibe ich

      Deine gehorsame Tochter

       Antonie.

      PS. Der Ring ist niedriges Gold und ziemlich schmal, wie ich sehe.«

      »Meine liebe Tony!

      Dein Schreiben ist mir richtig geworden. Auf seinen Gehalt eingehend, teile ich Dir mit, daß ich pflichtgemäß nicht ermangelt habe, Herrn Gr. über Deine Anschauung der Dinge in geziemender Form zu unterrichten; das Resultat jedoch war derartig, daß es mich aufrichtig erschüttert hat. Du bist ein erwachsenes Mädchen und befindest Dich in einer so ernsten Lebenslage, daß ich nicht anstehen darf, Dir die Folgen namhaft zu machen, die ein leichtfertiger Schritt Deinerseits nach sich ziehen kann. Herr Gr. nämlich brach bei meinen Worten in Verzweiflung aus, indem er rief, so sehr liebe er Dich und so wenig könne er Deinen Verlust verschmerzen, daß er willens sei, sich das Leben zu nehmen, wenn Du auf Deinem Entschlusse bestündest. Da ich das, was Du mir von einer anderweitigen Neigung schreibst, nicht ernst nehmen kann, so bitte ich Dich, Deine Erregung über den zugesandten Ring zu bemeistern und alles noch einmal bei Dir selbst mit Ernst zu erwägen. Meiner christlichen Überzeugung nach, liebe Tochter, ist es des Menschen Pflicht, die Gefühle eines anderen zu achten, und wir wissen nicht, ob Du nicht einst würdest von einem höchsten Richter dafür haftbar gemacht werden, daß der Mann, dessen Gefühle Du hartnäckig und kalt verschmähtest, sich gegen sein eigenes Leben versündigte. Das eine aber, welches ich Dir mündlich schon oft zu verstehen gegeben, möchte ich Dir ins Gedächtnis zurückrufen und freue ich mich, Gelegenheit zu haben, es Dir schriftlich zu wiederholen. Denn obgleich die mündliche Rede lebendiger und unmittelbarer wirken mag, so hat doch das geschriebene Wort den Vorzug, daß es mit Muße gewählt und gesetzt werden konnte, daß es feststeht und in dieser vom Schreibenden wohl erwogenen und berechneten Form und Stellung wieder und wieder gelesen werden und gleichmäßig wirken kann. – Wir sind, meine liebe Tochter, nicht dafür geboren, was wir mit kurzsichtigen Augen für unser eigenes, kleines, persönliches Glück halten, denn wir sind nicht lose, unabhängige und für sich bestehende Einzelwesen, sondern wie Glieder in einer Kette, und wir wären, so wie wir sind, nicht denkbar ohne die Reihe derjenigen, die uns vorangingen und uns die Wege wiesen, indem sie ihrerseits mit Strenge und ohne nach rechts oder links zu blicken, einer erprobten und ehrwürdigen Überlieferung folgten. Dein Weg, wie mich dünkt, liegt seit längeren Wochen klar und scharf abgegrenzt vor Dir, und du müßtest nicht meine Tochter sein, nicht die Enkelin Deines in Gott ruhenden Großvaters und überhaupt nicht ein würdig Glied unserer Familie, wenn Du ernstlich im Sinne hättest, Du allein, mit Trotz und Flattersinn Deine eigenen, unordentlichen Pfade zu gehen. Dies, meine liebe Antonie, bitte ich Dich, in Deinem Herzen zu bewegen. –

      Deine Mutter, Thomas, Christian, Klara und Klothilde (welch letztere mehrere Wochen bei ihrem Vater auf Ungnade verlebt hat), auch Mamsell Jungmann grüßen Dich von ganzem Herzen; wir freuen uns alle, Dich bald wieder in unsere Arme schließen zu können.

      In treuer Liebe

       Dein Vater.«

       Inhaltsverzeichnis

      Es regnete in Strömen. Himmel, Erde und Wasser verschwammen ineinander, während der Stoßwind in den Regen fuhr und ihn gegen die Fensterscheiben trieb, daß nicht Tropfen, sondern Bäche daran hinunterflossen und sie undurchsichtig machten. Klagende und verzweifelnde Stimmen redeten in den Ofenröhren …

      Als Morten Schwarzkopf bald nach dem Mittagessen mit seiner Pfeife vor die Veranda trat, um nachzusehen, wie es mit dem Himmel bestellt sei, stand ein Herr in langem, engem, gelbkariertem Ülster und grauem Hute vor ihm; eine geschlossene Droschke, deren Verdeck vor Nässe glänzte und deren Räder so mit Kot besprengt waren, hielt vorm Hause. Morten starrte fassungslos in das rosige Gesicht des Herrn. Er hatte Bartkotelettes, die aussahen, als seien sie mit dem Pulver frisiert, mit dem man die Weihnachtsnüsse vergoldet.

      Der Herr im Ülster sah Morten an, wie man einen Bedienten ansieht, leicht blinzelnd, ohne ihn zu sehen, und fragte mit weicher Stimme: »Ist der Herr Lotsenkommandeur zu sprechen?«

      »Allerdings …« stammelte Morten, »ich glaube, daß mein Vater …«

      Hier faßte ihn der Herr ins Auge; seine Augen waren so blau wie diejenigen einer Gans.

      »Sind Sie Herr Morten Schwarzkopf?« fragte er …

      »Ja, mein Herr«, antwortete Morten, indem er sich anstrengte, einen festen Gesichtsausdruck zu gewinnen.

      »Sieh da! In der Tat …« bemerkte der Herr im Ülster, und dann fuhr er fort: »Haben Sie die Güte, mich Ihrem Herrn Vater zu melden, junger Mann. Mein Name ist Grünlich.«

      Morten führte den Herrn durch die Veranda, öffnete ihm im Korridor rechterhand die Tür zum Bureau, und kehrte ins Wohnzimmer zurück, um seinen Vater zu benachrichtigen.