und war beeindruckt. „In Liverpool hatten wir auf sie herabgesehen, aber sie hatten offensichtlich ziemlich viel geübt. Wir sahen jedenfalls einen verdammt großen Unterschied“74, sagte er. Casey war ein erfahrener Musiker, der in einer britischen Militärkapelle gespielt hatte, bevor er aus der Armee ausschied und ins Profilager wechselte. Ihm fiel besonders auf, wie stark der linkshändige Gitarrist die Band musikalisch vorantrieb. „Man merkt immer, wer in einer Band die kreative Kraft ist, und Paul hatte ganz offensichtlich diese Energie. Er war so gut darin, sich Akkorde zu erarbeiten und Songs zu erschließen. Und vom Gesang her war er hervorragend. Ich wusste, dass John in gewisser Hinsicht der Anführer war, aber musikalisch gab immer Paul den Ton an.“
Nach den Konzerten ließ Paul die Nacht oft zusammen mit dem Gitarristen der Seniors, Brian Griffiths, ausklingen, unterhielt sich über Musik und arbeitete neue Akkorde für die Songs aus, die er ins Programm nehmen wollte. Griffiths, der vom musikalischen Standard der Beatles ohnehin bereits sehr beeindruckt war, erkannte dabei, wie breit gefächert Pauls Geschmack war, der von den härtesten Rocksongs bis zu Jazz- und Shownummern reichte. „Er konnte viel mehr spielen als die anderen, kannte auch Gershwin und solche Sachen“75, sagt Griffiths. „Er hatte ein gutes Ohr für Akkordfolgen und wusste über verminderte Akkorde und so Bescheid. Damals fragte ich mich, wieso er so was nicht auch auf der Bühne zeigte. Aber sie waren ja nun mal eine Rockband.“
Das wurde Griffiths vor allem eines Morgens klar, nachdem sie das Kaiserkeller-Publikum eine lange Nacht hindurch mit abwechselnden Sets unterhalten hatten. Er war mit John zusammen im Morgengrauen frühstücken gegangen, und als sie ungefähr eine Stunde später zum Kaiserkeller zurückkehrten, hörten sie, dass Paul allein am Klavier saß und sich Elvis Presleys melodramatische Coverversion von „It’s Now Or Never“ erarbeitete. Er sang ins Bühnenmikrofon, und seine Version von Elvis’ theatralischer Darbietung hallte durch das leere, halbdunkle Lokal. John blieb mit Griffiths zusammen einen Augenblick in der Tür stehen, dann zog er eine Grimasse und stieß seinem Musikerkollegen den Ellenbogen in die Rippen. „Ich hasse diesen Scheiß!“, zischte er. „Der Typ versucht, auf Elvis zu machen. Aber das ist kein Rock ’n’ Roll, nicht wahr?“
Griffiths verstand, was John meinte. Aber er war trotzdem ziemlich beeindruckt von Pauls Vortrag. („Ich dachte nur … was hat der Typ für eine Wahnsinnsstimme!“). Genau, wie es ihn immer wieder faszinierte, wie professionell sein Musikerkollege arbeitete. Selbst im hysterischen, betrunkenen Durcheinander der Clubszene auf der Reeperbahn gab sich Paul alle Mühe, alles korrekt zu machen. „Wenn er einen Song auf der Bühne brachte, dann sollte der richtig klingen. Er arbeitete daran. Ich habe nie erlebt, dass er ins Trudeln kam oder sich verspielte, er kam immer wieder auf den richtigen Kurs. Und das lag daran, dass er probte und vorbereitet war.“
John fehlte die Geduld für einen derartigen Perfektionismus. Aber er war dennoch ein enorm druckvoller Rhythmusgitarrist und ein faszinierender Sänger, der selbst den dünnsten Rockhits neues Leben einhauchen konnte. Oft war es gerade die Spannung zwischen den beiden Frontmännern, die dafür sorgte, dass die Beatles sich von den zumeist eher einfallslosen Coverbands in den Reeperbahnclubs abhoben. Die Auftritte begannen häufig so, dass Paul die Zuschauer in seinem Schuldeutsch willkommen hieß, sich bedankte, dass sie gekommen waren, und den ersten Song ansagte. An manchen Abenden versuchte er sogar, dem ruppigen Publikum ein paar Brocken Englisch beizubringen. Aber im Laufe des Abends, wenn die Stimmung allmählich zum Kochen kam, übernahm John die Ansagen und überschüttete die zunehmend verwegeneren Gestalten vor der Bühne mit absichtlich unverständlichem Geplapper. Wenn die Pillen und der Alkohol richtig zu wirken begannen, rastete er völlig aus. „Klatscht mal, ihr Scheiß-Nazis!“, brüllte er, und die britischen Seeleute im Publikum grölten begeistert. Die Deutschen taten das ebenfalls, weil sie ihn entweder nicht verstanden und einfach davon ausgingen, dass er irgendetwas Aufrüttelndes sagte, oder weil sie seinen Irrsinn klasse fanden.
Wenn es dieser Irrsinn war, der dem deutschen Publikum gefiel, dann waren die Beatles gern bereit, ihn zu liefern, und das noch wesentlich länger, als die erste, über vier Wochen geschlossene Vereinbarung eigentlich vorgesehen hatte, denn ihr Vertrag wurde laufend verlängert. Aus Wochen wurden Monate, und als die Nächte sich in scheinwerferhelle, verschwommene Stunden voller Alkohol, Diätpillen und schreiender Seeleute verwandelten, verstärkte sich der Irrsinn auf der Bühne bis hin zur Performance Art. John trat an einem Abend mit einer Klobrille um den Hals ans Mikrofon. Paul erschien passend dazu nur in ein Bettlaken gekleidet. Ein anderes Mal kam John in Badehose auf die Bühne und setzte dem Auftritt die Krone auf, indem er seine Gitarre fallen ließ, sich auf der Stelle drehte und dann die Hosen herunterzog, um dem begeistert brüllenden Publikum sein blasses britisches Hinterteil zu präsentieren.
Der Sound energiegeladener Rockmusik war es, der den jungen Kunststudenten Klaus Voormann eines Nachts im Herbst 1960 in den Kaiserkeller lockte, aber es war die anarchistische Unterströmung der Musik, die dafür sorgte, dass er am nächsten Tag wiederkam und zum Stammgast wurde. Schließlich drängte er seine Freundin, die begabte Fotografin Astrid Kirchherr, ihn zu begleiten. Zuerst wollte sie nicht. „Die Reeperbahn war ein verrufenes Pflaster, dort ging man nicht hin“76, sagt sie. „Klaus brauchte einige Tage, bis er mich überredet hatte.“ Aber als sie es ihm dann doch gestattete, sie durch die neonbunten Straßen und hinunter in den verrauchten, nach Bier stinkenden Kaiserkeller zu führen, war auch Astrid fasziniert von dem, was sie dort sah. Und mit ihren schönen Augen sah sie die Beatles in einem ganz neuen Licht.
Astrid war von den Beatles sogar noch mehr fasziniert als Klaus. „Ich fand sie großartig. Auf der Bühne waren sie unglaublich energiegeladen. Sehr kraftvoll. Und natürlich sahen sie wahnsinnig gut aus.“ Inzwischen hatten die Beatles ihre albernen lila Jacketts gegen schwarze Lederjacken eingetauscht, unter denen sie schwarze T-Shirts trugen. Aber Astrid blickte hinter die Rocker-Fassade und den Hauch von Gewalt, der in der verrauchten Luft im Kaiserkeller hing; sie erkannte die Herzlichkeit und Intelligenz, die sich unter dem schwarzen Leder verbarg. Mit Klaus zusammen stellte sie sich der Gruppe vor, und obwohl sie beide kaum Englisch sprachen und Paul der einzige Beatle war, der ein kleines bisschen Deutsch verstand, freundeten sie sich miteinander an. Nach einer Weile kannte man sich gut genug, dass sie sich zu fragen traute, ob sie ein paar Fotos von der Band machen dürfe. Die Beatles waren gern dazu bereit, und sie führte die Jungs daraufhin zu einem verlassenen Rummelplatz und stellte die blassen Musiker mit ihren Gitarren vor die abgewirtschafteten Karussells und abgestellten Busse. „Sie machten alles, was ich ihnen sagte“77, erinnerte sie sich. „Und weil mein Englisch nicht besonders gut war, ging ich einfach hin und drehte ihre Köpfe in die Richtung, die ich haben wollte, oder legte ihre Hände so hin, dass sie ihre Gitarren auf bestimmte Weise hielten. Aber sie waren unheimlich nett und hatten sehr gute Manieren, sie waren einfach süß. Wenn man ihnen sagte, was sie tun sollten, verhielten sie sich wie richtige Profis.“
Die Bilder, die Astrid an jenem kühlen Herbstmorgen machte, zählen immer noch zu den faszinierendsten und einflussreichsten Künstlerporträts, die in moderner Zeit geschaffen wurden. Sie zeigten, dass die Beatles eine Größe hatten, die weit über das Format einer schlichten Rockband hinausging. Astrid gelang es, außer der trotzigen Haltung der jungen Musiker und der Melancholie in ihren erschöpften Augen auch das innerste Wesen der künstlerischen Kraft einzufangen, die in dieser Gruppe schlummerte. Eine Eruption des Lebens vor der Kulisse des Todes; das Beharren auf Freude selbst angesichts eines tiefen Verlustes.
Vielleicht war dies auch der Morgen, an dem sie sich in Stuart verliebte. Die beiden begannen eine leidenschaftliche Affäre, und das Verschmelzen der beiden Gruppen, für die sie standen, die ledergekleideten britischen Rocker auf der einen und die avantgardistischen deutschen Studenten auf der anderen Seite, sollte sie alle von Grund auf verändern.
Die Zeit in Hamburg kam schließlich zu einem abrupten und unangenehmen Ende. Die Beatles hatten sich dazu verlocken lassen, bei der Konkurrenz, dem neu eröffneten Top Ten Club, einen Vertrag zu unterschreiben, aber Koschmiders Zorn dabei gefährlich unterschätzt. Er sorgte nicht nur dafür, dass George ausgewiesen wurde – der Lokalbesitzer war ja so schockiert und entsetzt, als er erfuhr, dass der Gitarrist erst siebzehn war und damit aus Gründen des Jugendschutzes überhaupt nicht in einem Nachtclub hätte arbeiten dürfen –, Koschmider drehte es auch so hin, dass man Paul und Pete dafür festnahm, dass sie angeblich das Bambi-Kino angezündet hatten,