Peter Ames Carlin

Paul McCartney - Die Biografie


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vollgestopfte Terminpläne; dann reisten sie nach Hamburg, wo erneut drei Monate durchgespielter Nächte auf sie warteten, diesmal im größeren, attraktiveren Top Ten Club.

      Während dieses Hamburg-Besuchs betraten die Beatles erstmals ein professionelles Aufnahmestudio. Sie fungierten als Begleitband von Tony Sheridan, einem sehr angesagten Gitarristen aus England, der wegen seiner launenhaften Persönlichkeit berühmt-berüchtigt war. Mit ihm nahmen sie verschiedene Songs auf, darunter auch Sheridans Rock-Version des Traditionals „My Bonnie“, produziert von Bert Kaempfert. Die Beatles bekamen dabei Gelegenheit, bei ein paar Titeln selbst in die erste Reihe zu treten – John sang beispielsweise in gewohnt rauer Manier „Ain’t She Sweet“. Paul spielte bei der Session Bass und verstärkte damit noch die Spannung, die sich zwischen Johns beiden engsten Freunden inzwischen aufgebaut hatte.

      Dass Johns Kunsthochschulkumpel Stu Sutcliffe in der Band mitspielte, hatte Paul von Anfang an mit gemischten Gefühlen betrachtet. Zunächst hatten sie einfach einen Bassisten gebraucht, und obwohl Stu nie zuvor ein solches Instrument gespielt hatte, hatte allein seine Anwesenheit in der Band dafür gesorgt, dass John bei der Sache blieb – davon abgesehen, dass Stu allmählich auch Gefallen an den Auftritten fand. Aber die harten Anforderungen der Auftritte in Hamburg und die starken Bande, die dieser Aufenthalt zwischen den Bandmitgliedern knüpfte, hatten Paul zu der Überzeugung gebracht, dass für Stu eigentlich kein Platz in der Band war. Das sprach er zwar nicht direkt aus, ließ seine Meinung aber in jedem Wort, das er sagte, mitschwingen. „Manchmal flippte Paul aus und sagte: ‚Du musst mehr üben! Du hast da einen falschen Ton gespielt‘“82, berichtet Astrid Kirchherr, die inzwischen mit Stu verlobt war. „John meinte: ‚Ist doch egal! Er sieht gut aus!‘ Aber Paul war natürlich stocksauer. Stu hat sich nie die Mühe gemacht, zu proben.“

      Andere wiederum hatten durchaus das Gefühl, dass der Konflikt über die musikalische Ebene hinausging. Bill Harry, ein ehemaliger Freund und Kommilitone von John und Stu, der wenig später eine lokale Musikzeitschrift mit dem Titel Mersey Beat gründete, ist der Meinung, dass die anderen Beatles von den Fortschritten ihres bisher ungelernten Bassisten sehr beeindruckt waren. „Ich habe Postkarten, auf denen Paul davon schreibt, wie gut Stu als Bassist war“83, sagt Harry. Tony Sanders, der Schlagzeuger von Billy Kramer And The Coasters, betont, dass die meisten Titel im Repertoire der Beatles ziemlich schlichte Rocksongs waren – drei Akkorde, ein guter Beat und jede Menge Energie. Aber selbst, wenn sie sich Songs mit komplizierteren Strukturen heraussuchten – „Three Cool Cats“ oder „Your Feet’s Too Big“ –, konnte der Bassist, wie Sanders sagt, stets mithalten. „Ich kann mich nicht erinnern, dass Stu irgendwelche Probleme gehabt hätte.“84

      Der eigentliche Kampf spielte sich zwischen Stu und Paul ab, und es ging dabei um John. „Er und ich waren tödliche Rivalen“, gab Paul Jahre später zu. Tatsächlich gelang es Stuart besser als allen anderen, sich Johns Aufmerksamkeit zu sichern. Er war ein brillanter Künstler und besaß eine gewisse Kultiviertheit, die Paul, wie er selbst sehr wohl wusste, nie erreichen würde, gepaart mit einem Stilbewusstsein und einem künstlerischen Flair, das gleichzeitig völlig mühelos und aufregend wirkte. „Stu trug eine dunkle Sonnenbrille, und auf der Bühne hängte er sich einen Gabardinemantel wie ein Cape um, so wie Zorro“85, berichtet Sanders. „Ich mochte ihn sofort. Er hatte dieselbe Aura um sich wie die anderen.“ Vielleicht war es das, was Paul am meisten zu schaffen machte. Denn nun machte die Band zwar Fortschritte, und John interessierte sich wieder für Musik, aber wie konnten Paul und John sich auf ihre musikalische Zusammenarbeit konzentrieren, wenn Stuart dauernd im Weg stand? „Ich war immer praktisch orientiert und dachte, dass unsere Band noch ganz groß werden könnte“86, sagte Paul. „Aber mit ihm am Bass war da immer etwas, das uns bremste.“

      Also betrachtete Paul den Beatles-Bassisten ständig mit kritischem Blick, verfolgte seine Fortschritte, wenn es sie denn gab, und kommentierte es sofort laut, wenn Stu einen Einsatz verpasste oder einen falschen Ton spielte. Die anderen grinsten über Pauls Spielchen – John spürte stets ein unwillkürliches Bedürfnis, Menschen, die er liebte, zu beleidigen –, und daher wunderte sich niemand, als Paul eines Abends auch auf der Bühne des Top Ten ein paar hässliche Bemerkungen ins Stus Richtung machte. Paul war ans Klavier verbannt worden, das an der Seite des Podests stand, und schließlich ließ er seinen aufgestauten Ärger an dem Bassisten aus, der nur ein paar Meter entfernt stand. Stu, der kleiner und gutmütiger war als die anderen, ignorierte das zunächst. Aber als Pauls Kommentare immer lauter und gemeiner wurden, bekam er langsam einen roten Kopf. Schließlich sagte Paul noch etwas über Astrid, und nun wurden Stus Wangen weiß. Er nahm den Bass ab, sprang Paul mit der ganzen Kraft seiner zierlichen Statur an und versetzte ihm einen so harten Schlag ins Gesicht, dass sie beide auf die Bühne purzelten. Dort fielen sie mit erschreckender Heftigkeit übereinander her, tauschten harte Schläge und Tritte und hörten erst auf, als der Song zu Ende ging und sich John, George und Pete die Zeit nahmen, ihre beiden Bandkollegen voneinander zu trennen.

      Stu warf sich wieder den Gurt seines Basses um und spielte weiter. Aber die hässliche Auseinandersetzung hatte Folgen, wohl auch, weil John keine Anstalten machte, Paul dafür zu maßregeln, dass er angefangen hatte. Stu erkannte, dass er die Band verlassen musste. Er teilte den anderen seinen Entschluss nur wenige Tage später mit und erklärte, dass er mit Astrid zusammenziehen wolle, um sich dann wieder auf die Malerei zu konzentrieren. Um zu beweisen, dass er nicht nachtragend war, überreichte er Paul seinen Höfner-Bass und bot ihm an, er solle das Instrument behalten, solange er es brauche. Nicht, dass Paul sich darum riss, die Rolle des Bassisten zu übernehmen. Aber George war nun einmal der Leadgitarrist, und John hatte weder Lust noch die Geduld, auf ein anderes Instrument umzusatteln. Also tat Paul, was er tun musste, damit es mit den Beatles weiterging.

      * * *

      In Liverpool hatte sich die Rockszene derweil zu einer Art regionaler Jugendbewegung entwickelt. Aus den Kindern der Nachkriegsjahre waren Teenager geworden, und nun, da die britische Regierung die allgemeine Wehrpflicht für junge Männer abgeschafft hatte, wimmelte es in der Stadt und den Vororten überall von Rockbands, die Konzerte gaben – wie die Veteranen der Szene berichten, sollen es zeitweise bis zu 350 gewesen sein. Durch die große Zahl von Musikern und vor allem auch Fans, die bereit waren, für ihr Hobby Geld auszugeben, schossen überall Konzerthallen und Clubs wie Pilze aus dem Boden. Stadthallen, Gewerkschaftssäle, Pubs, Nachtclubs, selbst der einst so strikt nur dem Jazz offenstehende Cavern Club, sie alle öffneten nun ihre Türen für die Rock ’n’ Roll-Fans. Plattenläden hatten Hochkonjunktur. Und in der Liverpooler Innenstadt gab es inzwischen zwei gut ausgestattete Musikgeschäfte, in deren Fenstern elektrische Gitarren, Bässe, Verstärker und Schlagzeuge funkelten.

      Interessant dabei ist, dass die Liverpooler Rockszene buchstäblich eine Untergrundbewegung war: Viele der zentralen Orte – angefangen mit dem Casbah oder der Bühne im Jacaranda bis zur Schallplattenabteilung des NEMS-Ladens in der Whitechapel Street – und zahlreiche andere Schaltstellen lagen tatsächlich allesamt in Kellern. Nirgendwo spürte man das jedoch so sehr wie im Cavern, einem Club, der ein paar Straßen von NEMS entfernt in der Matthew Street 10 lag und innen an eine Krypta erinnerte. Er befand sich in der Mitte eines schmalen Durchgangs zwischen einigen Lagerhäusern; die Tür öffnete sich auf unebenes Kopfsteinpflaster, auf dem verwelkte Salatblätter und verdorbene Früchte lagen, die von den LKW-Fahrern und Gemüseverkäufern beiseitegeworfen waren. Eine nackte Glühbirne erhellte die achtzehn Stufen, die in den Keller hinunterführten, der von zwei Reihen steinerner Säulen in drei Tunnelgewölbe unterteilt wurde und hundert Jahre zuvor als Lagerraum für Fässer mit Rum und Melasse gebaut worden war. Die Betreiber hatten zunächst einen ausgesuchten Jazzclub nach der Art des Le Caveau in Paris daraus machen wollen, aber der Cavern war schließlich ein Jugendclub geworden, und die Bar verkaufte Limonade und Hotdogs an ein junges Publikum, das durch seine große Zahl und das wilde Tanzen in den Seitenschiffen des Clubs eine atemberaubende Hitze und Feuchtigkeit entstehen ließ. Der Cavern besaß keine Lüftung, und wenn, wie so oft, die zugelassene Zahl von sechshundert Besuchern erreicht war, wurde es dort durchaus um die dreißig Grad warm, und das Schwitzwasser lief von den Wänden.

      Anfang Februar 1961 hatten die Beatles ihre erste Mittagssession dort gespielt, und als sie Anfang Juli aus Hamburg zurückkehrten, waren sie mit ihrer ständig wachsenden und begeisterten Fangemeinde eine Weile eine der ständigen Hauptattraktionen des