Anja Michl

Wenn Träume wahr werden


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nur nebensächlich war.

      Wir erreichten die andere Straßenseite und mit jedem Schritt wurde ich unruhiger. Zögerlich ging ich auf das orangefarbene Gebäude zu. Meine Mutter, der meine Anspannung nicht entgangen war, begleitete mich, worüber ich jetzt doch ganz froh war.

      "Bist du sehr nervös, Schatz?", fragte sie mich und legte mir beruhigend ihre Hand auf die Schulter.

      Ich schluckte aufgeregt.

      "Ja, schon etwas. Was ist, wenn ich keine Freunde finde? Oder mir mein Problem wieder in die Quere kommt?"

      "Ach Schätzchen, das wird schon. Alles der Reihe nach, du wirst sehen!"

      Sie nickte mir aufmunternd zu. Ich lächelte sie skeptisch an.

      Vor der Eingangstür hatten sich mehrere Schüler versammelt, die teilweise auch von ihren Eltern gebracht wurden, teilweise aber auch alleine kamen. Es war zwar sehr nett von meiner Mutter gewesen, dass sie mich bis zum Eingang begleitete, jedoch wollte ich nicht, dass sie mit hineinkam. Nein, von hier an wollte und musste ich es auf eigene Faust schaffen.

      Wir hielten am Treppenabsatz an und ich drehte mich zu ihr.

      "So Mum, ab hier schaffe ich es allein."

      "Bist du sicher, Mäuschen?"

      Sie sah mich zögerlich an.

      "Klar! Grüß Papa von mir. Und bitte vergiss nicht, meine Fische zu füttern, solange ich weg bin."

      Ich umarmte sie.

      Sie drückte mich liebevoll an sich.

      "Ich bin so stolz auf dich, Emma. Du wirst dich bestimmt schnell einleben. Genau wie Valentina damals. Melde dich heute Abend kurz, wie der erste Tag gelaufen ist, okay?", sagte sie. "Und keine Sorge wegen der Jungs", fügte sie flüsternd hinzu.

      "Ja, ich gebe Bescheid. Danke für alles, Mama. Jetzt muss ich aber los. Mach's gut!", sagte ich, nahm meinen Koffer, straffte die Schultern und stieg die wenigen Stufen zur Eingangstür hinauf.

      Die anderen Schüler, die vorhin noch draußen standen, waren in der Zwischenzeit alle hineingegangen. Hoffentlich kam ich nicht zu spät. Mein Herz klopfte wild vor Aufregung. Ich war bereit für mein neues Leben in der Großstadt.

      Ich atmete noch einmal tief durch und legte meine Hand auf die kunstvoll verzierte Klinke der großen Holztür. Ich drückte sie herunter und zog daran. Nichts geschah. Da kapierte ich, dass ich nicht ziehen, sondern drücken musste. Typisch ich, so etwas passierte mir ständig, wenn ich unterwegs war.

      Bettina sagte nicht ohne Grund zu mir "Emma und die Türen..." und sah mich jedes Mal mit einem belustigten Blick an. Dieses Mal drückte ich dagegen und wieder geschah nichts.

      "Das gibt's doch nicht! Wahrscheinlich klemmt sie bloß", murmelte ich vor mich hin und stemmte mich mit meinem ganzen Gewicht dagegen. In diesem Moment merkte ich, wie jemand die Tür auf der anderen Seite schwungvoll aufriss, sodass ich hineingezogen wurde und direkt in die Arme eines Fremden taumelte.

      Aller Anfang ist schwer

      "Hey! Nicht so stürmisch", sagte eine tiefe, männliche Stimme überrascht. Plötzlich wurde ich von zwei starken Armen festgehalten. Der Griff war zwar fest, aber in keinster Weise so, dass es wehtat.

      "Geht es wieder?", fragte mich mein Retter.

      Ich hob den Kopf, um ihm zu versichern, dass mit mir alles in Ordnung sei und mich zu bedanken, dass er mich aufgefangen hatte, doch als ich ihm ins Gesicht sah, verschlug es mir mit einem Mal die Sprache.

      Ich blickte in ein wunderschönes Gesicht mit hohen Wangenknochen und sonnengebräunter Haut. Der junge Mann besaß dichtes, kurzes, braunes Haar, das zum Durchwuscheln einlud und ozeanblaue Augen, in denen wohl jedes Mädchen heillos ertrinken würde. Diese Augen schauten mich jetzt mit einem sorgenvollen Blick an, als ich auf seine Frage nicht antwortete. "Geht es dir gut? Hast du dir wehgetan?", fragte er erneut.

      Ich glotzte ihn weiterhin nur an. Hätte nur noch gefehlt, dass ich zu Sabbern anfing. Ich war wie gelähmt. In meinem Kopf schrie eine energische Stimme, ich solle ihm doch gefälligst antworten, dass es mir gut ginge, um dann schnellstmöglich meinen Koffer zu schnappen und pünktlich zu meiner Einführungsveranstaltung zu kommen.

      Doch da war noch eine zweite innere Stimme. Eine Stimme, die sanfter war. Geradezu gefühlsbetont. Jene Stimme wollte auch nicht, dass der Fremde mich losließ. Sie wollte weiter von ihm festgehalten werden und dabei in seine fesselnden, wunderschönen Augen blicken.

      Gleichzeitig spürte ich aber auch, wie Übelkeit und Nervosität aufstiegen, da ich in diesem Moment realisierte, dass mein Gegenüber mir unheimlich gut gefiel. Dass er mir so durchdringend in die Augen sah, machte es definitiv nicht besser.

      Gerade gewann meine Vernunft die Oberhand und ich wollte mich von ihm losmachen, da ertönte eine verärgert klingende Frauenstimme hinter dem jungen Mann, der mich daraufhin selbst losließ.

      Verschreckt machte ich einen Schritt zurück und wäre um ein Haar rückwärts über meinen Koffer geflogen. Mit hochrotem Kopf richtete ich mich wieder auf, als auch schon ein bildschönes Mädchen Anfang zwanzig an mir vorbeirauschte, den Fremden im Schlepptau. Ich sah den beiden hinterher.

      "Baby, jetzt komm. Ich habe um viertel nach Elf den Termin bei Sonya und den darf ich nicht verpassen! Weißt du, wie schwer es war so kurzfristig einen Termin bei der angesagtesten Nageldesignerin der Stadt zu bekommen?"

      "Ja, ich weiß, Victoria!", entgegnete der Mann etwas genervt.

      "Ich brauche unbedingt diese Gel-Nägel in Rosé. Die passen doch perfekt zu meinem Kleid für Christins Hochzeit am Samstag. Und du möchtest doch auch, dass ich die Hübscheste bin..."

      Das Mädchen drückte ihm einen Kuss auf den Mund. Dann zog sie ihn an der Hand weiter und die zwei verließen das Schulgelände.

      Oh man! Das hätte ich mir ja wohl denken können, dass so ein hübscher Typ vergeben ist. So einer will doch nichts von einem Tollpatsch wie mir, ärgerte ich mich und zog energisch an meinem Koffergriff. Meine Übelkeit, die schon wieder etwas nachgelassen hatte, vergaß ich in diesem Moment ganz, denn die Eingangshalle der Schule nahm mich voll und ganz gefangen. Dass sie pompös war, wusste ich noch vom Tag der offenen Tür, aber so pompös…

      Links von mir befand sich eine Art Empfang, wie man ihn normalerweise nur aus Hotels kannte. Seine Front war mit dunklem Holz getäfelt. Dahinter stand eine schick angezogene Dame mittleren Alters mit dunklem Pagenschnitt und Brille. Sie musterte mich, sagte jedoch nichts.

      Den Boden der gesamten Halle zierte ein edler Marmorboden. Rechts von mir war eine schnuckelige Sitzecke mit kleinen, runden Tischen und gemütlichen Sesseln. Obenauf lagen Zeitschriften in verschiedenen Sprachen. Ich konnte das Wort Comprendre erkennen, was verstehen auf Französisch, bedeutet. Dies war der Titel der Zeitschrift, die ich zuhause auch schon des Öfteren gelesen hatte. Am anderen Ende der Halle wand sich eine gigantisch breite Holztreppe ins obere Stockwerk, wobei man dann die Wahl hatte nach rechts, links oder geradeaus zu gehen. Die weiteren Etagen konnte man von hier aus noch gar nicht sehen.

      "Wahnsinn, ich kann es kaum abwarten, in diesen heiligen Hallen hier zu studieren!", staunte ich und lächelte dabei in mich hinein.

      "Kann ich Ihnen helfen?", riss mich die Stimme der Empfangsdame aus meinen Träumereien. Ich wandte mich ihr zu.

      "Äh, ja..." Ich schluckte nervös. "Ich muss zur Einführung für die Erstklässler. Können Sie mir sagen, wo ich hinmuss?" Ich lächelte. "Bitte?", fügte ich noch hinzu.

      "Nach dem Empfang nach links und dann die zweite Tür auf der rechten Seite. In diesem Gang." Die Dame deutete auf den entsprechenden Gang. "Aber an Ihrer Stelle würde ich mich etwas beeilen. Die Direktorin sieht es nicht gerne, wenn man zu spät kommt!"

      So, wie sie mich mit Nachdruck ansah, war das kein gut gemeinter Ratschlag, sondern ein Befehl!

      "Vielen Dank!", war alles,