Horst Bosetzky

Mit Genuss in Taxe, Bahn und Bus


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gelegen. Dort habe ich dann auch am 1. Februar 1938, einem Dienstag, das Licht der Welt erblickt. Meine Eltern hatten weder ein Auto noch Geld für eine Taxe. Wie denn auch bei ihrem geringen Einkommen? Und so wäre ich denn wohl mit der Straßenbahn von Köpenick nach Neukölln verbracht worden, wenn nicht meine Kohlenoma, die Mutter meines Vaters, die Kohlenhändlerin Anna B., einen Taxiunternehmer als Kunden gehabt hätte. Der bot nun an, ihren neugeborenen Enkel Horst Otto Oskar Bosetzky kostenlos in einer seiner Taxen von Köpenick nach Neukölln zu befördern, rund zwölf Kilometer. Das also war meine erste innerstädtische Reise, und sie muss mir sehr gefallen haben.

      Bis heute habe ich ein Wohlgefühl beim Taxifahren. Wähle ich die Nummer unseres Taxiunternehmens, tönt es sofort: »Sie sind bei uns als Stammkunde registriert.« Da zucke ich erst einmal kurz zusammen, weil sich das fast wie »Stammfreier« anhört, und befolge blitzschnell, was mir angeraten wird: »Wünschen Sie eine Taxe für sofort, drücken Sie die Eins.« Das tue ich, und mir wird versprochen, dass der Wagen mit der Nummer soundso in zwei Minuten vor meiner Haustür stehen wird. Ich beeile mich nicht sonderlich, denn meistens werden aus den zwei Minuten vier, sechs oder, wenn gerade ein Müllauto die Straße versperrt, auch schon einmal zehn.

      Etwa 22 Jahre nach meiner Geburt wurde mir von meiner Mutter nahegelegt, mich selbst ans Steuer einer Taxe zu setzen. Zu dieser Zeit hatte ich angefangen, Soziologie zu studieren. »Was soll denn das? Damit kannst du doch nur Taxifahrer werden!«

      Ja, warum denn nicht? Nur habe ich nie einen Führerschein gemacht. Wieso nicht? Zunächst aus Angst davor, dann von meinen Eltern ein Auto geschenkt zu bekommen und über Jahrzehnte hinweg ihren Chauffeur spielen zu müssen (»Kannst du uns bitte um vier Uhr morgens aus Kladow von Irma und Max abholen?«). Vielleicht auch aus ökologischen und ideologischen Gründen (»Zurück zur Natur«, Konsumverzicht). Vielleicht war es aber auch schlicht so, dass ich mich aufgrund meines fehlenden Fahrtalents nicht blamieren wollte. Die Liebe zu Straßen-, U- und S-Bahn kann es natürlich auch gewesen sein. Diesen Fortbewegungsmitteln wollte ich nicht untreu werden, sie nicht schnöde verraten.

      Jetzt muss ich aber ein Geständnis ablegen: Vier Autos habe ich in meinem langen Leben dennoch gekauft – einen Käfer, einen Golf und zwei Passat. Denn meine erste Frau hatte einen Führerschein, und als unsere beiden Kinder zur Welt kamen, schien ein eigenes Fahrzeug unverzichtbar zu werden, zumal wir in Wilmersdorf wohnten und eine Laube in Heiligensee gepachtet hatten. Das aber war einmal. Heute haben die Gefährtin meines Lebens und ich weder einen Führerschein noch ein Auto.

      Worum es sich bei einem Taxi überhaupt handelt, erfahre ich bei Wikipedia: um ein von einem Kraftfahrer mit Personenbeförderungsschein gegen Bezahlung gesteuertes Individualverkehrsmittel zur Personenbeförderung.

      Und was passiert, wenn man einen Koffer befördern möchte?

      Gegen Bezahlung – es wundert mich, dass es beim Taxifahren keine Vorkasse gibt wie etwa bei jeder chemischen Reinigung. Woher will der Fahrer wissen, ob ich beim Erreichen des angegebenen Ziels den vom Taxameter angezeigten Preis wirklich zahlen kann und will? Das ist ja bei längeren Fahrten ein ganz schönes Sümmchen. Man vertraut mir, und das ist schön, denn als Soziologe habe ich im Hörsaal oft genug erklärt, dass Vertrauen in der Systemtheorie von Niklas Luhmann eine wichtige Funktion innehat: die der Reduktion von Komplexität. Der Taxifahrer vertraut mir, dass ich ihn nicht berauben oder möglicherweise ermorden will, ich vertraue ihm, dass er vernünftig Auto fahren kann und sich in Berlin einigermaßen auskennt. Wobei: Letzteres scheint mir nicht immer der Fall zu sein.

      Ich steige am Bahnhof Zoo in eine Taxe und sage: »Nach Frohnau bitte!« Dann schließe ich die Augen, nicht für immer, sondern nur für ein paar Minuten, weil ich furchtbar müde bin. Als ich sie wieder öffne, fahren wir gerade durch den Straßentunnel Bundesallee / ​Berliner Straße. Ich schreie: »Entschuldigung, das ist die falsche Richtung!«

      »Nein, das ist die richtige Richtung!«, beharrt der Taxifahrer. »Ich lebe schon seit fünfzehn Jahren in Berlin.«

      »Und ich schon seit über siebzig«, kontere ich.

      »Vor uns, hinterm Bundesplatz, da liegt doch Friedenau!«, schreit der Taxifahrer.

      »Zweifellos, aber ich möchte nach Frohnau.«

      Manche Taxifahrer schalten, wenn sie sich geirrt haben, die Uhr aus. Meiner tut es nicht.

      »Gut«, beende ich unseren Streit, »dann setzen Sie mich bitte gleich hinter dem Bahnhof Bundesplatz ab, da, wo Friedenau beginnt, und ich fahre dann mit der S-Bahn nach Frohnau.«

      Ach ja, man hat es schwer mit mir, denn ich bilde mir ein, Berlin ganz gut zu kennen. Und da immer wieder zu hören ist, dass in Berlin viele Taxen sozusagen schwarz unterwegs sind, das heißt dass die Fahrer keine Prüfung abgelegt haben und über keine Konzession verfügen, bin ich misstrauisch. Oft befrage ich auch vor einer Fahrt Google Maps und lasse mir die optimale Route auf den Bildschirm zaubern. Egal, ob der Fahrer ein Navi hat oder nicht, ich gebe ihm dann höflich, aber bestimmt die Strecke vor. Die meisten nehmen das kommentarlos hin, andere fühlen sich in ihrer Ehre gekränkt. Es gibt auch welche, die sich für den guten Rat bedanken. Aber keiner beschimpft mich. Das tun dafür meine Tochter und meine Lebensgefährtin, wenn sie hinten im Wagen sitzen.

      »Papa, peinlich!«

      »Horst, lass das doch! Der Mann ist schließlich Profi, und du magst es auch nicht, wenn dir jemand in deine Arbeit hineinredet!«

      Ich mache einen Test. In der »Buchkantine« in Moabit habe ich eine Lesung. Auf der Hinfahrt gebe ich dem Fahrer die Route vor und bezahle fünfzehn Euro, auf der Rückfahrt lasse ich dem Fachmann freien Lauf – und bezahle siebzehn Euro. Das spricht für sich.

      Als Verfasser von Kriminalromanen muss ich eigentlich immer eine Taxe nehmen, denn Taxi nach Leipzig lautete der Titel des ersten Tatort, erstmals ausgestrahlt am 29. November 1970. Paul Trimmel hieß der Kommissar. Das Drehbuch lehnt sich an einen Roman meines alten Freundes Friedhelm Werremeier an, der in Witten geboren ist.

      Erinnert sei auch an den Kinofilm Taxi Driver von Martin Scorsese aus dem Jahr 1976 und an Senta Berger, die als Die schnelle Gerdi in einer Fernsehserie mit ihrem Taxi in München unterwegs gewesen ist. Ja sicher – ehe ich es mit den Feministinnen zu tun kriege –, es gibt auch tüchtige Taxifahrerinnen, aber die begegnen mir höchstens zweimal im Jahr.

      Zweifellos ist es schwer, den Taxischein zu machen und x optimale Routen im Kopf zu haben, vor allem die zu Krankenhäusern und Hotels. Ein alter Freund, geborener Berliner, der jahrelang in den USA Trucker war, in Berlin Waren ausgefahren hat und zudem ein »pfiffiges Kerlchen« mit einem hohen IQ ist, fiel bei der Prüfung für den Taxischein durch. Also, Hut ab vor allen, die einen haben!

      Es ist immer wieder spannend, wenn man die Tür eines Taxis öffnet und den ersten Blick auf die Person hinter dem Steuer wirft. Ohne eine längere empirische Untersuchung durchgeführt zu haben, zu der ich als Soziologe eigentlich verpflichtet wäre, möchte ich hier eine grobe Typologie der Taxifahrer aufstellen:

      > Der hässliche Deutsche

      Ihm sieht man seine Nähe zu »Pegida« auf den ersten Blick an. Er beginnt sofort, gegen alles Fremdländische zu hetzen. Einmal war ein Fahrer so schlimm, dass ich fast vorzeitig ausgestiegen wäre. Zum Glück gibt es immer weniger Taxifahrer dieser Art.

      > Der Aussteiger

      Der hasst alles, was nach Bürgertum aussieht, kleidet sich wie auf einem Campingplatz und hat sich seit Wochen nicht richtig gewaschen. Darunter gibt es einige Ausnahmen, so wie Herrn M., der uns oft gefahren hat und vorher Lehrer war.

      > Der Student

      Er verdient sich sein Studium mit Taxifahren, plaudert gern von seinem Fach und verachtet als künftiger Akademiker den Fahrgast ein wenig.

      > Der Neuberliner aus fernen Landen

      Er lebt gern in dieser Stadt und lobt uns Deutsche derart, dass es schon peinlich ist und einen an den Slogan »Am deutschen Wesen soll die Welt genesen« erinnert.

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