die Waffen des Alten, lebte bereits drei Jahre an seiner Seite und sollte innerhalb der nächsten zwei Jahre nach entsprechender Prüfung vom Sachsenherzog den Ritterschlag erhalten. Mit ihm wäre ich gerne geritten. Ihm gehörte meine heimliche Liebe. Nur einmal hatte er mir im Vorübergehen die Hand küssen können. Nie wieder hatte sich diese Gelegenheit ergeben. Sie musste uns beiden außer den Blicken genügen. Ich träumte von ihm und sehnte mich in seine Arme. Du siehst ihm ähnlich, Andreas. Deshalb helfe ich dir und hoffe, dass du bald meine Geschichte aufschreiben kannst. Dann könnte mein Geist endlich ruhen. Bitte hilf mir nach Hause zu kommen.
Das Mittelalter war auch für den Adel eine schreckliche Zeit. Fehden zwischen den Rittern, hohe kalte Räume, Dreck, Seuchen, verschwitzte Prunkgewänder und immer wieder Kreuzzüge, bei denen viele schon unterwegs starben und nur wenige zurückkamen. Heilig waren diese Kreuzzüge auch nicht. Viel unschuldiges Blut floss für eine absurde Idee.
Als Kaiser Rotbart zu seinem Zug ins Heilige Land rief, schickte der Alte an seiner Stelle den Knappen mit einer Gefolgschaft. Ich erfuhr einen Tag später durch meinen Beichtvater davon. Durch ihn hatte mir Udo noch einen Gruß schicken können. Der Alte hatte es ihm verboten. Ich schrieb in schönen Lettern das Vaterunser, ließ es segnen und schickte es Udo nach. Es fiel in die falschen Hände und kam zurück. Der Alte tobte, hielt das wohl gesetzte Latein für einen Liebesbrief – der das ja im Grunde auch war – und verurteilte mich zum Tode durch Gift. Bei bewiesener Untreue besaß er als mein Herr das Recht mich so zu verurteilen. Den Giftbecher gab er nicht heimlich. Im Gegenteil! Ich musste den vergifteten Wein in seiner Gegenwart trinken. Er wollte meine angstvollen Schlucke und meine Schmerzen genießen. Mir bedeutete der Tod eine Erlösung von ihm. Ich habe den Becher lachend genommen und seinen Inhalt in einem Zuge runtergekippt. Als dann die Schmerzen kamen, nichts von Vergebung in mir – nur Rache. Unter Krämpfen sprach ich ganz ruhig: „Jetzt habt Ihr Euer Kind mit getötet. Ich bin schwanger.“
Ich hörte ihn schreien. Dann war mein Leben zu Ende. Nur ein Teil meiner Seele blieb geistig da, schwebt durch die Zeit, wird sich orten, wenn ihre Geschichte bekannt wird. Suche sie. Ich bin keine Sagengestalt sondern ein Mensch gewesen, der unsäglich gelitten hat. Weshalb ich nicht ganz sterben konnte, weiß ich nicht. War es die lachende Lüge im Tod? Oder war es nur Zufall, dass mir im Sterben nicht alles entglitten ist? Ich weiß nur, dass, wenn mein Schicksal in Büchern steht, alles vorbei sein wird. Die wichtigste Urkunde für deine Arbeit fehlt noch. Es gibt sie – aber ich weiß nicht genau, wo du jetzt suchen musst.
Höre deshalb: Weil er sein Schweigegelübte nicht brechen durfte, hat mein Kaplan nach der Beichte des Alten die Geschichte niedergeschrieben. Sie quälte ihn derartig, dass nur das Schreiben ihm half, für andere ganz wieder da zu sei n. Er hat sein Schreiben versiegelt und in einem Gefäß mit alten Berichten vergraben.
Während des Dreißigjährigen Krieges haben die Schweden die Burg besetzt. Ein verheerender Brand hat sie dann aber zerstört. Nur der Turm der Oberburg auf dem Felsen hoch über der Saale blieb als Ruine zurück. Über den Trümmern der Unterburg wurde viel später ein barockes Herrenhaus gebaut. Das wurde durch andere Gebäude eingeengt und verfiel. Verwaltungsgebäude gibt es heute an dem alten Stück Ringmauer, das du vielleicht kennst. Mehr kann der Traum nicht erzählen – beinahe war’s schon zu viel.“
Andreas erwacht schlaftrunken, setzt sich auf, schwingt die Beine über den Rand des Bettes und bleibt so sitzen. Was er geträumt hat verwirrt und erklärt ihm doch vieles. Er greift seinen Notizblock vom Nachttisch, schreibt sich Stichworte auf, liest die immer wieder durch, schreibt noch etwas dazu und ist dann endlich zum Aufstehen bereit.
Im Bad wäscht er sich und kleidet sich an. Auf dem Weg zur Küche geht er am Schreibtisch vorbei, blickt zum Bild auf und grüßt. Kein Zeichen der Antwort!
„Es war zuviel“, wiederholt er ihren letzten Gedanken, frühstückt nur kurz. Dann eilt er ins Institut. Die Woche fängt gleich mit einer Vorlesung an. Kurz vor Mittag fragt ihn Professor Warnke nach dem Stand seiner Ermittlungen. Er legt ihm die lateinischen Texte, die Auszüge daraus und die Übersetzungen vor. Die genaue Zusammenfassung verschweigt er. Professor Warnke ist wegen der ausgezeichneten Übersetzungen sehr überrascht.
„Ich sehe, dass Sie in der letzten Zeit viel studiert und gelernt haben. Das Thema, das ich für die Promotion vorschlug, liegt Ihnen wohl doch mehr, als Sie anfänglich glaubten.“
Andreas bestätigt: „Ich lebe mich langsam in die damalige Zeit ein und empfinde mit ihr. Weil meine Freundin verreist ist, konnte ich mich über das Wochenende ohne Unterbrechung mit dem Thema beschäftigen. Das hat mich vorangebracht.“
„Ich hoffe Ihre Freundin lässt Sie noch länger allein“, meint der Professor schmunzelnd, „die Geschichte von Halle wird es ihr danken.“
Auf dem Heimweg besucht Andreas erneut das Antiquariat. Er sucht eine sehr alte Karte von Halle, findet auch eine, in der sogar andeutungsweise die Umrisse der alten Burg noch erhalten sind.
„Ein absolutes Einzelstück – und sehr alt“, erklärt ihm Frau Landau. „Ich wollte es dem Museum anbieten.“
„Ich zahle den Preis des Museums“, fällt ihr Andreas beinah ins Wort und legt gleich drei Scheine hin. „Ich kann die Karte in meine Doktorarbeit einbauen.“
Sie nimmt lachend die Scheine, glättet sie liebevoll, schreibt eine Quittung, legt die Scheine in die Kasse und packt die Karte sorgfältig ein.
„Ich danke Ihnen“, sagt sie, „so schnell hätte das Museum bestimmt nicht gezahlt. Ich gebe Ihnen 35 Euro Discount zur Verwendung auf Ihre weiteren Einkäufe.“
„Später!“, antwortet Andreas, winkt und verlässt schnell das Geschäft.
Zu Hause enthüllt er den Einkauf. Danach breitet er die Karte ganz vorsichtig auf dem Fußboden vor seinem Schreibtisch aus. Er stellt sich auf einen Stuhl und fotografiert sie mehrmals. Die Bilder sind okay. Nun widmet er sich genau dem Teil, der andeutend die alte Burg drunter zeigt. Er schlägt sehr behutsam die anderen Teile nach hinten. Jetzt passt, was er studieren will, genau auf den Schreibtisch. Die Straßenführung war damals anders als heute. Vieles fehlt ganz. Die Burg liegt am nördlichen Rand. Eigentlich gehörte Giebichenstein damals noch nicht dazu. Der Ort wurde erst im Jahr 1900 ins Hallesche Stadtgebiet eingemeindet.
Andreas genügt, was er sieht. Er braucht das Terrain vor dem Brand. Hat da einer die zarten Konturen nach eigener Fantasie mit eingegeben, oder hat er sie wirklich noch messen können? Fragend blickt Andreas nach oben. Nichts regt sich in Annas Gesicht.
„Bitte“, flüstert er, „bitte, schau her!“
Kein Zeichen entwickelt die Schöne. Vielleicht war das Zeichen schon da; er hat es nur nicht verstanden. Andreas sucht seine Morgennotizen, liest sie so lange, bis er sie auswendig kennt. Dann geht er nach draußen. Die Dämmerung senkt sich bereits. Er versucht von der Burgruine aus den längst verschütteten und nun überbauten Weg zur Kapelle, die es ja auch nicht mehr gibt. Er versinkt in Meditation, erhofft in ihr einen Hinweis. Ruhe kehrt in ihn ein, aber seine Füße werden in keine Richtung gelenkt.
„Du bist verrückt“, denkt Andreas, „nur weil ein lächelndes Antlitz dir Träume geschickt hat, willst du hier Verborgenes ausmachen. Geh nach Hause und denke nach!“
Trotzdem sucht er im letzten Licht noch den Weg in die Unterburg. Ihn treibt der Gedanke, dass eine abfallende Grünfläche einstmals vielleicht ein Stück Burggraben war. Da hat der Priester damals bestimmt nichts vergraben! Schluss mit dem Grübeln!
Die Straßenbeleuchtung führt Andreas auf Umwegen wieder nach Hause. Beim Klingeln des Telefons schließt er die Wohnungstür auf. Ilse begrüßt ihn, will wissen, wie es ihm geht. Er erzählt ihr vom Lob des Professors und dessen Bemerkung dazu. Sie kichert und meint, der Alte könne gut reden, sie aber habe Sehnsucht. Ein paar Tage muss sie noch bleiben. Dann aber will sie kuscheln und möglichst noch mehr! Darauf freut er sich mit ihr, schickt ihr viele Gute-Nacht-Küsse und legt dann auf.
In der kommenden Nacht holt den Andreas kein Traum ein. Er erwacht zeitiger als sonst. Er grüßt Annas Bild über dem Schreibtisch, erhält wieder keine Antwort und eilt früher als sonst ins Institut