ich vermisste die Freuden des Lebens und die Menschen. Oh Mann, ich hätte abhauen können. Aber wohin?
Sicher, ich konnte mich mühelos an jeden Ort der Welt begeben. Aber was nützte es mir? Ich war immer nur ein teilnahmsloser Zuschauer, den niemand wahrnehmen konnte - jemand aus einer anderen Welt, der nicht mehr dazugehörte.
Als ich meine Firma erneut heimsuchte, hatte inzwischen alle die Todesnachricht erreicht. Sie waren über die Unfassbarkeit meines plötzlichen Todes spürbar erschüttert. Das Ereignis hatte die gesamte Firma in einen Schockzustand versetzt. Aber ich fand niemanden, der auch nur eine Träne um mich weinte. Das hatte ich nicht erwartet.
„Eiskaltes Pack!“, dachte ich. Am liebsten hätte ich wieder die Lampen flackern lassen. Aber auch hierzu hatte ich nicht wirklich Lust, denn es gab offensichtlich für mich keinen Ort, wohin ich hätte gehen können. Sicher, ich existierte weiter, aber ich fühlte mich nicht wohl. Wenn das nun das allgemein gepriesene Paradies sein sollte, so konnte ich sehr gut darauf verzichten. Für mich jedenfalls war es die Hölle.
„Dann doch lieber für immer weg - und aus die Maus!“, dachte ich in meiner Verzweiflung.
Irgendwie freute ich mich aber doch auf meine Beerdigung. Da würde wenigstens wieder etwas los sein, was ich beobachten konnte. Ich war schon mächtig gespannt darauf, wer zu diesem Ereignis wohl auftauchen würde. Da ich mich jetzt mühelos in jeden Geist begeben konnte, würde es äußerst interessant werden, die Gedanken der Heuchler wahrzunehmen. Ich konnte es gar nicht erwarten. Sogleich stellte ich fest, dass ich auch nicht warten musste. Für mich gab es weder Gegenwart, Zukunft noch Vergangenheit. Ich war überall sofort präsent, wenn ich nur daran dachte. Das, meine Lieben, war nun auch wieder prickelnd und söhnte mich mit meinem Zustand ein wenig aus.
Mann, oh Mann, war das eine Schau. Die Trauerhalle glich einem einzigen Blumenmeer. Kränze über Kränze mit Abschiedsgrüßen von Freunden und Klienten. Das tat schon gut, das muss ich zugeben. Der schwere dunkle Sarg mit meiner sterblichen Hülle bereitete mir allerdings ein wenig Unbehagen. Nun, ich wollte gern einen letzten Blick auf meinen Körper werfen, war mir aber nicht ganz sicher, ob ich das tun sollte. „Ach du Schreck, ich hätte nicht daran denken sollen!“ Der Anblick war ekelerregend. Dieser Körper war fertig - reif für die Mülldeponie. „Gott sei Dank, dass der Deckel bereits auf der Nase war, so dass niemand dieses unansehnliche Stück Fleisch besichtigen konnte“, dachte ich und begab mich zur Ablenkung an das Friedhofstor. Hier erblickte ich eine ganze Armada von sündhaft teuren Luxuskarossen. Die zahlreichen Trauergäste drängten mit ernst aufgesetzten Mienen durch das Friedhofstor. Es war wohl die Beerdigung des Jahres auf diesem kleinen Vorstadtfriedhof. Aber wo blieb Werner? Ich konnte ihn nirgendwo entdecken. „Das würde er doch nicht fertig bringen, meiner Beerdigung fernzubleiben“, dachte ich ziemlich aufgebracht. Aber dann, Leute, sah ich meinen Porsche, wie er um die Ecke bog. Mir blieb vor lauter Rührung das Herz stehen. So fühlte ich, obwohl ich kein Herz mehr hatte. Als hätte Werner es gewusst, dass ich noch einmal einen Blick auf mein geliebtes Auto werfen wollte. „Guter Freund!“, dachte ich voller Dankbarkeit, während ich die unwiderstehlichen Rundungen des Porsche bewunderte. Das war eine Riesenüberraschung - besser als jeder Blumenkranz - das absolute Highlight meiner Beerdigung. So weltlich verbunden war ich noch zu diesem Zeitpunkt.
Nun wollte ich aber die Trauerfeier begutachten. Mal schauen, wer sich wohl ein Tränchen abdrücken konnte. Vollkommen überfüllt war diese sakrale Örtlichkeit. Nicht jeder hatte bei diesem traurigen Ereignis das Glück gehabt, einen Sitzplatz zu erhaschen. Die erste Reihe war mit meiner Familie belegt. Ja, meine Lieben, ich hatte eine Familie, die mir allerdings während meines Erdendaseins ziemlich auf den Wecker gegangen ist. Nun saßen sie hier in der ersten Reihe und überlegten sich bereits, wie und was sie von mir erben konnten. Es ist einerseits schon ganz schön vorteilhaft, Gedanken wahrnehmen zu können, aber andererseits kann die ungeschminkte Wahrheit auch entsetzlich wehtun. Vetter Diethelm und Ehefrau Michaela mit ihren schlecht erzogenen, völlig verstrahlten Teenagern Charlotte und Marvin machten sich augenblicklich die allergrößten Sorgen darüber, ob ich wohl an ein Testament gedacht hatte. In diesem Fall, das wussten sie nur zu genau, hätten sie nichts zu erwarten. Jetzt beteten sie voller Inbrunst zu Gott, dass die gesetzliche Erbfolge eintreten möge, da sie meine einzigen noch lebenden Verwandten waren. „Oh, sie taten mir fast leid. Für wie blöde hatten die mich bloß gehalten?“
Natürlich hatte ich ein Testament hinterlassen - wenn auch nicht in allen Einzelheiten - aber doch dahingehend vorsorgend, dass die mir verhasste Mischpoke jetzt ganz umsonst betete. Ich konnte mich einer gewissen Schadenfreude nicht entziehen, zumal die berechnenden Gebete der überaus frommen Verwandtschaft nicht eine einzige Fürbitte für meine unsterbliche Seele beinhalteten.
Mein Gott, was für ein Trara. Viele Leute fühlten sich verpflichtet, hier eine kleine Rede zu halten. „Ach, was war ich doch für ein herausragender Mensch!“ wenn man ihren selbstdarstellerischen Ausführungen Glauben schenken wollte. Mir war dieser Zirkus mittlerweile egal. Ich wollte dem ganzen Geschehen schon ziemlich angewidert entfliehen, als ich plötzlich Röschen entdeckte.
Völlig in sich gekauert weinte die treue Seele still vor sich hin, und ihre Tränen wurden ausgelöst von ehrlicher tief empfundener Trauer. Es tat so gut, endlich einen Menschen gefunden zu haben, der meinen Tod aufrichtig bedauerte.
Röschen, meine langjährige Sekretärin, hatte mich insgeheim immer geliebt. Jetzt, wo ich ihre Gedanken lesen konnte, wurde mir diese aufrichtige Liebe bewusst. Nein, das stimmt nicht so ganz. Ich hatte das schon zu meinen Lebzeiten bemerkt, aber vollkommen ignoriert. Röschen passte schon rein äußerlich so gar nicht in mein Beuteschema. Sie war aber meine Verbündete, die mich niemals enttäuscht und mir immer den Rücken freigehalten hatte. Hierbei musste sie sehr oft für mich lügen und viele unangenehme Dinge erledigen, die über die Arbeit einer Sekretärin wohl weit hinausgingen. So hatte sie meine zahlreichen Damenbekanntschaften, die fast immer gleichzeitig liefen, koordinieren müssen. Für diese Dinge benötigte sie einen separaten Terminkalender, der alle Vermerke über Eigenschaften sowie Vorlieben der verwöhnten Damen enthielt, so dass Röschen oftmals für meine privaten Belange Überstunden machen musste. Sie war wohl die verständnisvollste und warmherzigste Frau, die mir jemals über den Weg gelaufen ist. Trotz all dieser wunderbaren Qualitäten lebte sie zu meinem großen Unverständnis allein. Gewiss, sie gehörte nicht gerade zu den auffallenden Schönheiten, aber ganz bestimmt war sie auch nicht hässlich - nur ein wenig zu klein geraten und auch ein bisschen zu pummelig in der Figur - und vielleicht ein kleines bisschen zu unvorteilhaft gekleidet. Jedenfalls waren mir all diese Äußerlichkeiten bei Röschen nicht wichtig. Ich wollte ja nichts von ihr. Ich sah sie lediglich als Kumpel, bei dem ich mich wohl fühlte und alle meine Probleme abladen konnte.
Dagegen ließen mich die langen Beine von Vera auch in meinem jetzigen Zustand noch in Verzückung geraten. Sie trug ein hautenges, schwarzes Kostüm mit einem sehr kurzen Rock, der nichts von dem rassigen Fahrgestell verhüllte. Vera war rein äußerlich gesehen ein Vollblutweib der Extraklasse. Aber all ihre Gedanken drehten sich selbst bei diesem traurigen Ereignis ausschließlich um ihre Schönheit. Sie weinte weder eine Träne noch verschwendete sie einen Gedanken an meine unsterbliche Seele. Ihr werdet es nicht glauben, in diesem Augenblick überlegte sie sich tatsächlich, ob sie es wohl wagen könnte, sich während der Trauerfeier die Lippen nachzuschminken. Ich trug ihr diese Oberflächlichkeit nicht nach. Die Kleine war einfach unwiderstehlich und zuckersüß, aber eben auch eine ziemliche Hohlbirne. Alle meine Verflossenen fuhren letztendlich auf dieser Schiene. Nur auf Äußerlichkeiten ausgerichtet hatten sie sich ganz schön herausgeputzt und jede von ihnen beäugte jetzt neidisch die Konkurrenz. Diese Trauerfeier bedeutete für sie nicht etwa das würdevolle Abschiednehmen von einem guten Freund, sondern sie sahen darin eher einen Event der Extraklasse - ein Sehen und Gesehenwerden. Ja, so waren sie, meine so genannten Freunde und Geliebten. Sie waren nichts anderes als Spiegel meiner selbst.
Werner allerdings verzog keine Miene. Er saß wie versteinert auf seinem Platz und starrte gedankenverloren auf den Sarg: „Mensch, Alter, was mache ich jetzt bloß ohne dich?“
Er trauerte tatsächlich um mich und machte sich die größten Sorgen darüber, wie es nun ohne mich mit der Firma weitergehen sollte - vor allem finanziell. Werner geriet hierbei geistig in Panik. Er tat