Heinz-Dietmar Lütje

Auf Wölfe schießt man nicht


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aber dann kamen mir sofort Zweifel, weil …«

      »Mir auch«, quetschte der Notarzt durch die Zähne. Kurz darauf hob der Helikopter ab und nahm Kurs auf die Uni-Klinik in Kiel.

      »Und was machen wir beide jetzt?« Michaelis schaute den Tierarzt fragend an. »Wir vier«, dabei zeigte dieser antwortend auf die Hunde, »sollten wohl abbrechen und, wenn Sie einverstanden sind, ganz in der Früh hier wieder ansetzen.« »Einverstanden«, bestätigte Michaelis, »aber Sie haben doch auch deutlich Wolf verstanden oder etwa nicht?«

      »Doch, habe ich und«, er zögerte, »wenn ich ehrlich bin, habe ich auch ganz kurz den Gedanken gehabt, als ich mir die Haare genauer angesehen habe, die wir mit dem Schweiß am Grabenrand gefunden haben. Aber die hätten natürlich auch von einem grauen Hund stammen können.« Er zögerte, setzte aber dann noch hinzu, »zu Denken gegeben hat mir auch, dass Helmers, als Jäger und Jagdaufseher, nicht seine Büchse oder noch besser, seinen Drilling mitgenommen hat? Als vor einigen Wochen ein Boxer-Mischling auf der 404 angefahren und schwer verletzt wurde, hat er extra noch den Umweg zu sich nach Hause gemacht, um das Gewehr zu holen. »Weil doch die 9mm-Vollmantelpatronen seiner Dienstwaffe nur Durchschüsse produzieren und die Leiden des Tieres nur verlängern würden«, wie er auf Nachfrage erklärt hat.

      »Mhh, da haben Sie wohl recht. Er wollte auf keinen Fall auf den Wolf schießen, damit er sich Ärger erspart, obwohl er als Polizeibeamter im Dienst am Wenigsten zu befürchten hätte.«

      »Dann sollten wir wohl auch auf eine Nachsuche verzichten. Warum sollen wir uns selbst in Probleme stürzen?« Mit dieser Aussage hatte Dr. Klein gar nicht einmal so Unrecht, überlegte Michaelis. Nachdem die Katze, richtiger der Wolf, ja nun aus dem Sack war, half eigentlich nur noch die Flucht nach vorn, überlegte der Jurist. »Sie haben ja so recht, Dr. Klein. Also werden jetzt zwar jede Menge unserer selbsternannten Wolfsexperten durch unsere Reviere stapfen, aber das Päckchen müssen wir wohl tragen. Also, wie wollen wir vorgehen?« Dr. Klein blickte auf seine ohnehin verstimmte Hündin, die sich mit dem Schäferhund anzufreunden begann und meinte, »Wenn es Ihnen recht ist, besprechen wir das bei mir im Haus. Dann können auch die Hunde getränkt und gefüttert werden und wir haben uns wohl auch einen Schluck verdient.« Nach kurzem Nachdenken stimmte Gerd Michaelis zu.

      Zwei Stunden später, nachdem die Hunde versorgt waren und zufrieden zu Füßen ihrer Führer im Arbeitszimmer, das mehr wie ein Jagdraum aufgemacht war, mit den vielen Trophäen, Bildern mit Jagdmotiven und einer riesigen Sauschwarte, auf der Inka und Berry beide Platz gefunden hatten, waren auch die Männer zu einer Entscheidung gekommen.

      Sie hatten beschlossen, den schwarzen Peter einfach an die Polizei weiterzureichen. »Schließlich hat uns ja ein Polizist auch den Ärger eingebrockt und wohl ohnehin ein böses Spiel mit uns vorgehabt«, begründete auch Albert Klein nochmals, letztlich auch zu seiner Beruhigung, ihre Entscheidung. »Wollen Sie oder soll ich?« Bei diesen Worten wies Dr. Klein auf das Telefon auf dem kleinen Tischchen zwischen den wuchtigen und offenbar alten Ledersesseln, in denen die Jäger ausgesprochen bequemen Platz gefunden hatten.

      »Ich will mich ganz bestimmt nicht drücken, aber wenn der Anruf von mir als Anwalt kommt …?«

      »Schon gut. Hundertzehn?« Gerd Michaeles nickte dankbar zustimmend und trank einen großen Schluck von dem hervorragenden Rotwein, den ihm, nach einem reichhaltigen Schinkenbrot und einem großen Bier, der Tierarzt jetzt kredenzt hatte.

      »Ja, hier ist Dr. Klein, Tierarzt in Birkenrade. Sie sind über die Sache mit Ihrem Kollegen Helmers informiert? … Sehr gut. Also, Herr Schilling, es geht um folgendes …«

      Ausführlich, mehrfach von Zwischenfragen des Polizisten unterbrochen, schilderte Dr. Albert Klein dem Beamten am anderen Ende der Leitung den Fall und erwähnte auch, dass dessen Kollege ganz plötzlich das nachgesuchte Tier als Wolf bezeichnet hatte.

      »Ja und da der Wolf in Schleswig-Holstein ja nicht dem Jagdrecht unterliegt, werden der zuständige Revierpächter und auch ich natürlich uns hüten, jetzt nachdem wir von einem Wolf, statt einem angefahrenen und mutmaßlich wildernden Hund ausgehen müssen, hier noch etwas zu unternehmen. Wie bitte? Ja, auch ich halte es durchaus für möglich, dass es sich tatsächlich um einen verletzten Wolf handelt.«

      Mit diesen Worten beendete Dr. Klein das Telefonat. Später stieß dann noch seine Frau Merle zu den Männern und infolge der geistigen Getränke, die eine Heimfahrt von Herrn und Hund mit dem Wagen selbstredend ausschlossen, musste Michaelis das Angebot annehmen, im Gästezimmer zu übernachten. Es wurde noch ein vergnüglicher Abend und am nächsten Morgen verabschiedeten sich nicht mehr die Herren Michaelis und Dr. Klein voneinander, sondern Gerd von Albert und Merle.

      Auch Inka von der Senner Alm und Berry von Brachefelden hatten innige Freundschaft geschlossen.

      Und jetzt nahmen die Dinge ihren Lauf.

      Im Umweltministerium herrschte helle Aufregung. Schon auf dem Weg ins Amt wurde der den Grünen angehörende Minister verständigt. Eine Glanzleistung amtlicher und insbesondere ministerieller Arbeit sorgte dafür, dass noch am selben Tag eine »Task Force Wolf« unter Federführung des parlamentarischen Staatssekretärs gebildet wurde. Dieser gehörten auch ein Ministerialdirigent, ein Ministerialrat und der Leiter der Schleswig-Holsteinischen Landesforsten, gleich drei sogenannte Wolfsmanager, der stellvertretende Leiter des Veterinäramtes – der eigentliche Chef hatte just an diesem Morgen, kurz nach seiner Verständigung, festgestellt, dass ihn die Grippe gepackt hatte – sowie natürlich der Leiter des Landesamtes für Naturschutz und die unverzichtbaren absoluten Wolfsexperten von TINA (Tier-u. Natur e.V.) und Bund für Natur und Umwelt an. Auch die Arbeitsgemeinschaft Naturnahe Jagd in Schleswig-Holstein e. V. wurde selbstverständlich eingebunden. Nur der Landesjagdverband wurde nicht berücksichtigt, ja noch nicht einmal informiert. Präsident und Präsidium sowie Geschäftsführer erfuhren erst aus der Presse, was sich ereignet hatte. Häuptlinge waren also genug an Bord, nur die Indianer, die die eigentliche Arbeit vor Ort, beginnend mit der Nachsuche, also dem Aufspüren des verletzten Tieres, machen mussten, fehlten noch. An diese wurde, wie so häufig, zuletzt gedacht. Als man dann loslegen wollte, fiel schließlich doch noch auf, dass ja auch Personal für diese Tätigkeiten benötigt wurde.

      So etwas soll ja schon öfter vorgekommen sein: Alle Führungsposten sind sofort besetzt, aber am Ende der Kommandokette der hochbesoldeten und schwer an ihrer Verantwortung tragenden Entscheidungsträger werden auch noch ein paar Leute benötigt, die die Ausführung vor Ort übernehmen.

      Aber auch das wurde schließlich geschafft und drei Forstbeamte, darunter ein Schweißhundführer und der Amtstierarzt, sowie zur Absicherung ein Kleinbus mit Polizeibeamten konnten mit einem weiteren Tag Verzögerung tätig werden. Mit dem Schweißhund an der Spitze, geführt von Forstamtmann Kühn, den weiteren Forstbeamten und dem Amtsveterinär wurde nochmals die Fährte in Anwesenheit von Gerd Michaelis, den man immerhin verständigt hatte, dort aufgenommen, wo der Polizeibeamte Helmers so plötzlich zusammengebrochen war. Auch der von Gerd Michaelis verständigte Albert Klein und natürlich Jockel Buss hatten es sich nicht nehmen lassen, der Prozession zu folgen. Auch zwei der drei Wolfmanager, der Vizechef der allwissenden Ökojäger und natürlich die absoluten Experten von Bund für Natur und Umwelt und TINA trabten hinterdrein.

      Der Ministerialrat, als Entscheidungsträger vor Ort, und der Chef der Landesforsten blieben im landeseigenen VW-Bus sitzen und stärkten sich mit Kaffee und belegten Brötchen, derweil sie über Funk Kontakt hielten.

      »Ist ja ein gewaltiges Aufgebot«, meinte lachend Dr. Klein und grinste seinerseits den Revierinhaber Michaelis an. »Und, wie beurteilst du die Erfolgsaussichten, Gerd?« Dieser lachte unverblümt laut auf. »Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll? Wenn es um die Rettung eines Haustieres geht oder um leidendes und oft verhungerndes Vieh bei absolut ungeeigneten Tierhaltern, dauert es oft Wochen, bis etwas unternommen wird. Meist ist es dann ohnehin zu spät.«

      »Da hast du ja so recht, mein lieber Gerd, aber hier wird es ja wohl auch zu spät sein. Entweder die Verletzung ist doch nicht so gravierend, was ich aber nicht glaube, dann ist der Wolf, wenn es denn einer ist, längst weitergezogen.« »Allerdings. Das sehe ich auch so und im anderen Fall ist er wohl bereits verendet, oder was meinst