Susanne Zeitz

Sturmzeit auf Island


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hat sich in ihr Atelier zurückgezogen.“

      „Kommt sie nicht runter? Und unser gemeinsames Abendessen?“

      „Ich soll euch ausrichten, vor allem dir Julia, dass sie ihre heftige Reaktion bedauere. Sie möchte jetzt allerdings allein sein“, sagte Michael.

      „Am liebsten würde ich hochgehen und ihr die Meinung sagen“, grollte Julia und machte Anstalten, das Zimmer zu verlassen.

      „Julia! Lass sie in Ruhe!“ Ihr Vater hielt sie am Arm fest.

      „Komm, lass uns zum Italiener gehen“, schlug David vor.

      Julia nickte resigniert. „Tut mir leid, Paps. Richte ihr einen Gruß aus. Doch ich fliege trotzdem!“

      Michael begleitete seine Kinder zur Haustür und blickte ihnen hinterher, als sie in ihre Autos stiegen.

      Julia hatte die Sturheit ihrer Mutter geerbt und David das Verbindende und Versöhnende von ihm.

      Er seufzte und schloss die Tür. Irgendetwas bedrückte ihn. Nicht nur heute, sondern schon seit längerer Zeit. Lag es an ihrer Beziehung? Manchmal war er sich nicht sicher, ob er Elin überhaupt richtig kannte. Nun waren sie seit über dreißig Jahren verheiratet und er wusste nicht, ob ihre Familie auf Island noch lebte oder nicht. Warum vertraute sie ihm nicht?

      Er seufzte wieder und ließ sich schwer in den Sessel fallen. Er fühlte sich mit einem Mal alt.

      Julia steht auf, stößt das Schlafzimmerfenster weit auf und legt sich wieder aufs Bett.

      Draußen ist es mittlerweile hell und der Vogelchor hat sich vergrößert. Doch sie hat kein Ohr für den betörenden Gesang. Ihre Gedanken, die um ihre Mutter kreisen, sind lauter. Warum nur reagiert sie jedes Mal fast hysterisch, wenn die Sprache auf Island kommt? Hat es etwas mit ihrem Vater zu tun?

      Julia weiß nur, dass er Einar hieß und bereits vor ihrer Geburt gestorben ist. Mehr hat ihre Mutter in all den Jahren nicht preisgegeben. Es gibt keine Fotos, keine Erinnerungsstücke, gar nichts.

      „Du hast einen guten Vater, was willst du mehr“, lautet jedes Mal Elins Antwort, wenn Julia Näheres erfahren will. Was ja auch stimmt. Michael hat sie adoptiert, als sie zwei Jahre alt war. Er liebt sie wie sein eigenes Kind und macht keine Unterschiede zwischen David und ihr. Trotzdem möchte sie endlich mehr über ihren leiblichen Vater erfahren. Ist das zu viel verlangt?

      Wie sah er aus? Hat sie Ähnlichkeit mit ihm? Was war er von Beruf? Wie ist er gestorben? Ihre Mutter muss es ihr endlich erzählen. Sie hat ein Recht darauf!

      Doch jetzt kommt erst einmal ihre Reise nach Island. Zwei Wochen Freiheit. Auf dem Rücken eines Islandpferdes durch wilde Landschaften reiten, kristallklare Flüsse durchqueren, vorbei an Vulkanen und Geysiren. Der weite Himmel des Nordens über ihr und Nächte, die nicht dunkel werden.

      Sie kann es kaum mehr erwarten.

      Morgen um diese Zeit wird sie bereits im Flieger nach Keflavik sitzen.

      Julia wird von einem vorwitzigen Sonnenstrahl im Gesicht geweckt.

      Als sie sich aus dem Fenster lehnt, lacht ihr ein freundlicher Sommertag entgegen. Im Kastanienbaum gegenüber unterhält sich lautstark ein Krähenpaar und in der Rotbuche gurrt ein Täuberich.

      Julia streckt sich und nimmt einen tiefen Atemzug. Die Luft ist durch das gestrige Gewitter gereinigt. Der See liegt ruhig und glitzernd in der Morgensonne. Weit draußen Fischerboote und ein weißes Ausflugsschiff, das elegant über seine blaue Oberfläche gleitet und eine weiße Spur hinter sich herzieht.

      Das Telefon reißt sie aus ihrem meditativen Schauen.

      „Julia, möchtest du zum Frühstück kommen?“ Die Stimme ihrer Mutter klingt bittend an ihr Ohr.

      „Ich bin gerade erst aufgestanden“, entgegnet sie zögerlich. Sie hat keine Lust, das Streitgespräch von gestern fortzusetzen, außerdem muss sie noch ihren Koffer packen und ihre Wohnung einigermaßen aufräumen.

      „Bitte Julia.“

      „Also gut, aber keine Diskussion mehr über meinen Urlaub. Ich fliege morgen und damit basta.“

      „Einverstanden.“ Ihre Mutter seufzt.

      „Kommt sie zum Frühstück?“ Michael blickt seine Frau fragend an.

      Elin nickt. „Aber sie lässt sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen. Ich musste ihr versprechen, nicht wieder davon anzufangen.“

      Michael nimmt seine Frau liebevoll in den Arm. „Hast du über meine Idee, deine Geschichte niederzuschreiben, nachgedacht?“

      Elin nickt. „Ich glaube, das werde ich tun, auch wenn ich Angst davor habe.“

      „Aber die Vergangenheit kann dir heute nichts mehr anhaben. Und ich bin ja schließlich auch noch da. Ich werde dich gegen Wikinger, Vulkane und alte Geister verteidigen“, lacht Michael und lässt seine Armmuskeln spielen.

      „Woher weißt du?“ Elin schaut ihren Mann entsetzt an.

      „Weiß ich was?“, fragt Michael erstaunt.

      „Von den Unsichtbaren?“ Elin lässt sich erschöpft aufs Sofa fallen. Ein Häufchen Elend.

      „Wovon redest du?“ Michael kniet sich neben sie und greift nach ihrer Hand. „Du bist ja ganz bleich. Elin, was ist denn los?“ Er schüttelt sie sanft, als sie nicht reagiert.

      Elin zuckt zusammen. „Ich wusste, dass sie mich nicht in Ruhe lassen würden“, sagt sie leise. „Irgendwann musste es soweit kommen.“

      „Wer? Was?“, fragt Michael beunruhigt.

      Die melodische Klingel der Haustür unterbricht sie.

      Elin steht auf. „Lass jetzt. Du wirst es erfahren, aber du kannst mir nicht helfen. Die Unsichtbaren muss ich selbst versöhnen.“

      Michael erhebt sich ebenfalls. „Die Unsichtbaren? Du sprichst in Rätseln.“ Er schüttelt den Kopf.

      Elin zuckt mit den Schultern und eilt zur Tür.

      „Julia, mein Schatz, schön, dass du gekommen bist.“ Sie nimmt ihre Tochter in den Arm. „Es ist so warm, dass wir im Garten frühstücken können.“

      Julia hält ihrer Mutter eine Bäckertüte unter die Nase. „Versöhnungsbrötchen“, meint sie lächelnd und folgt ihr in die Küche, wo ihr Vater gerade dabei ist, ein vollbeladenes Tablett in den Garten zu tragen.

      „Paps, soll ich dir was abnehmen?“ Bevor er etwas erwidern kann, greift Julia die Kaffeekanne und bringt sie in Sicherheit.

      Michael zwinkert seiner Tochter schelmisch zu. „Ich kann so was“, meint er und geht in den Garten.

      „Dein Vater ist unmöglich! Erst kürzlich sind ihm zwei Teetassen vom Tablett gerutscht“, sagt Elin leicht ärgerlich. „Meine Lieblingstassen aus England.“

      Kurz darauf treten sie auf die Holzveranda, wo Michael sonnengelbe Teller und Tassen auf den hellgrün gestrichenen Holztisch stellt.

      Julia setzt sich auf die mit dicken Kissen ausgestattete Bank und lässt ihren Blick schweifen. Tontöpfe mit rosa und blauen Hortensien, die ihre kugeligen Blütendolden der Morgensonne entgegenstrecken. Der kleine Teich, den Elin liebevoll angelegt hat, glitzert im Morgenlicht und spiegelt das Türkis einer Libelle wider, die um die Seerosen schwirrt. Ein Büschel Schilfgräser wiegt sich beinahe meditativ im lauen Lüftchen. Der süßliche Duft des Geißblattes, das sich an der Hauswand emporrankt, steigt ihr in die Nase und das Summen der Bienen dringt an ihr Ohr.

      „Euer Garten ist wirklich ein Traum. Mam, du bist eine richtige Gartenkünstlerin.

      „Es macht mir auch großen Spaß, im Garten zu werkeln.“ Elin stellt den Brotkorb auf den Tisch. „Warum schaust du mich eigentlich so prüfend an?“

      „Du siehst immer noch so jung aus“, erklärt Julia.

      Elin