Daniel Juhr

Morde und andere Gemeinheiten


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er es viel zu gern geglaubt hatte. Jetzt war alles vorbei. Ihre Liebe war ein Irrtum gewesen, eine Berechnung von Max. Er überquerte den Marktplatz, schritt die Gasse zwischen Hansecafé und Kreissparkasse hindurch und lief über die Untere Straße hinweg durch die Kirchgasse hindurch auf den Platz vor der Kirche. Einen Augenblick schaute er zum überragenden Turm hoch, dann bog er auf den Hausmannsplatz hinter der Kirche Richtung Wupper ein.

      Nahe dem Ufer des Flusses stand die kleine Steinfigur des „Putschers“, eines Wipperfürther Sonderlings, der zu Lebzeiten Fritz Hamel geheißen hatte, und viele Jahre lang Tag für Tag durch die Stadt gezogen war. Man konnte ihm überall und an den unmöglichsten Orten der Stadt begegnen. Abends hatte er sich in eine Schlafstelle verkrochen, die ihm mitleidige Menschen zur Verfügung gestellt hatten. Jeder hatte ihn gekannt. Manche Leute mochten ihn, manche spotteten über ihn, machten sich auch über ihn lustig oder fanden ihn einfach nur eklig. Nach seinem Tod hatte ein Wipperfürther Gastwirt für die Errichtung eines steinernen Denkmals gesorgt. So war der „Putscher“ im Gedächtnis der Bevölkerung geblieben.

      Dicht dabei lag das Fitnessstudio, das Carsten nun schon lange nicht mehr besucht hatte. Kurzentschlossen trat er ein und meldete sich an. Es waren gerade einige Geräte frei, so dass er gleich mit seinem Training beginnen konnte. Sein Blick schweifte durch den Raum, wo sich mehrere Männer an den Geräten abarbeiteten und blieb an einem gutaussehenden Blonden hängen. Das war Sven, den er noch von früher kannte. Sven war schwul, das wusste er definitiv. Was für eine Chance, dachte er. Wenn Sven keinen Partner hat, dann könnte es vielleicht etwas werden.

       Juli

      Uschi klopfte an die Tür von Jasmin, ihrer Freundin. Wand an Wand lebten sie im sogenannten Hochhaus auf der Sanderhöhe, einer Siedlung, die nördlich vom Zentrum lag, durch die Wupper getrennt. „Hässe ins Tid för’n Kaffee?“, rief sie durch die geschlossene Tür. Die Frauen passten eigentlich überhaupt nicht zusammen. Jasmin war das aber egal. Bei Uschi konnte sie sich leger und ungezwungen geben, brauchte sich nicht zu verstellen. „Ich bin in der Unterhaltungsbranche“, sagte sie jedes Mal, wenn sie nach ihrem Beruf gefragt wurde. Was sich hinter dieser illustren Bezeichnung verbarg, wusste nur sie. In Wahrheit arbeitete sie für eine Begleitagentur. Gutes Aussehen, sicheres Auftreten und eine klare Artikulierung waren hier sehr wichtig. Darüber hinaus besaß sie noch einige nützliche Talente mehr. Geld hatte sie reichlich, denn sie hielt ihre Euros zusammen. „Ich mache das noch ein paar Jahre“, sagte sie sich immer, „ich muss schließlich für meine Rente sorgen.“ Uschi war da ganz anders. Bei Aldi an der Kasse verdiente sie ganz ordentlich; aber sie war eben nur halbtags beschäftigt. Zu einem Zusatzjob hatte sie keine Lust. Bei ihrem gesunden Phlegma brauche sie Zeit für sich selbst, dazu stand sie. Und diese Stunden verbrachte sie gern mit einem netten Plausch mit Bekannten, Freunden oder aber mit Jasmin, wenn diese wieder einmal im Lande war. War sie in der Stadt zum Einkaufen, konnte es gut vier Stunden dauern, bis sie wieder oben in ihrer Wohnung war. Einen Kaffee im Hanse, ein Bierchen in der Penne, das brauchte nun mal seine Zeit. Sie war nun einundfünfzig, und ihre Figur ähnelte der einer Walküre. Dagegen wirkte Jasmin filigran mit ihrer schlanken Taille und den zarten Gesichtszügen, die eine schokoladenfarbene Haarpracht umrahmte. Sie trat auf den Korridor hinaus. Der dunkle Kaschmirmantel kleidete sie vorzüglich. Lässig schwang sie eine Umhängetasche von Chloé über die Schulter. „Sorry, Schatz, ich habe es eilig“, sagte sie zu Uschi, „muss sofort weg, bin schon spät dran.“ Sie zuckte bedauernd die Schulter, lächelte ihr entschuldigend zu und lief die Treppe hinunter. „Keine Zeit, muss dringend zu einem Termin nach Wuppertal. Morgen bin ich wieder da.“ „Un wat maak ik jetz?“, fragte sich Uschi laut.

      Katja saß auf der breiten Couch in Pauls Wohnung. „Ich will das nicht“, rief sie aufgebracht, „ich will nach Hause. Sofort!“ Paul ließ sich neben ihr auf dem Lager nieder. „Schau mal“, begann er wieder und versuchte, so viel Gefühl wie es ihm möglich war, in seine Worte zu legen. „Ich helfe dir und deiner Mutter. Die zehntausend Euro kriegst du am Freitag, damit ist doch alles gut. Und dafür begleitest du mich zu Freunden. Du brauchst ja nur ein bisschen nett zu ihnen zu sein, ein bisschen flirten, sonst nichts. Ich will doch mit dir angeben und zeigen, was ich für eine tolle Freundin habe. Liebst du mich denn nicht mehr, Hase?“ Sanft strich er ihr über den Rücken. Sie starrte ihn an: „Sonst nichts?“, fragte sie, „bestimmt nicht?“

      „Ganz bestimmt nicht, Schatz“, beteuerte er und nahm sie in die Arme. Er küsste sie, erst sanft und zärtlich, dann fordernd und hart und legte sich neben sie. Aufgewühlt vergrub sie den Kopf an seinem Hals und klammerte sich an ihn. Sie liebte ihn doch so sehr, und er liebte sie doch auch. Und wenn man sich liebte, konnte man sich doch alles sagen. Deshalb hatte sie ihm auch von den Geldsorgen ihrer Mutter erzählt und von Till. Und jetzt würde er sie wieder glücklich machen. Stets wusste er, was sie mochte. Er grinste an ihrem Kopf vorbei und wusste, es würde wohl kaum Schwierigkeiten geben. Langsam schob er ihren Pullover hoch. Erwartungsvoll hielt sie den Atem an. Er hatte sie gelehrt, dass Sex Spaß machte. Später half er ihr auf und drückte ihr einen raschen Kuss auf die Wange. „Am Freitag hole ich dich ab, dann kannst du das Geld haben. Abends begleitest du mich zu einer Party. Deiner Mutter sagst du einfach, Till habe dir das Geld geliehen. Wenn sie so ist, wie du sie schilderst, macht sie sich um die Rückzahlung keine Gedanken und wird ihn nie darauf ansprechen.“ Er brachte sie bis zum Kölner-Tor-Platz und raste in Windeseile wieder zurück. Er wollte noch mit Max zu einer Party fahren.

      Uschi schaute sich in ihrem Wohnzimmer um. Schäbig sah das alles aus, die zerschlissene Couch im Wohnzimmer, die dunkle Schrankwand aus den Achtzigern, der verschrammte Tisch. Das würde nun alles anders werden. Nach dem Ausgleich des Mietrückstands war noch Geld übrig geblieben, davon würde sie eine neue Wohnzimmereinrichtung kaufen. Aber etwas ganz Tolles, Schickes, moderne helle Möbel auf jeden Fall. Super, dass Till Katja so viel Geld geliehen hatte. Die beiden waren wohl wirklich ganz dicke zusammen. Eigentlich könnten sie doch bald schon heiraten, fand sie. „Jung gefreit, nie gereut“, hatte ihre Mutter doch immer gesagt. Na ja, es hatte in ihrem Fall nicht gestimmt, aber was soll’s? Sie lief über den Flur zu Jasmins Wohnung und klingelte zweimal kurz, ihr vereinbartes Signal. „Hallo, Jasmin“, rief sie ihr entgegen, kaum, dass ihre Freundin geöffnet hatte, „ik mut die wat vertellen.“ Als die beiden bei einem Glas Sekt beieinander saßen, begann Uschi mit ihrem Bericht von den zehntausend Euro, die Katja von ihrem Freund bekommen hatte. „Un janz ohne Zinsen, un mie soot dä Vermieter janz schön im Jenick. Fö kottem wullte ik dik alt aanpumpen, äwer nu bin ik froh, dat et so jekommen is. Stell die vö, jetz häv ik noch Jeld üwerich. Dovan koop ik mie in neu Möbele für de joode Stuff. Is dat nich dull?“ Jasmin schaute sie nachdenklich an. „Freust du dik nich vö mik?“, fragte Uschi, beinahe beleidigt. „Ich weiß nicht“, Jasmin wusste nicht ob sie sich wirklich mit ihrer Freundin freuen sollte. „Du musst das doch wieder zurückzahlen. Gib doch lieber das übrige Geld sofort zurück, was meinst du?“ Uschi war nun wirklich beleidigt. „Ik häv et doch nu ins enmool un die Chance, endlich doch ins wat Neues te häven. Jünn mi dat doch eenfach ins.“ Jasmin öffnete ihre Handtasche. „Schau, ich gebe dir fünfhundert, und die brauchst du mir nicht zurückzugeben. Sag Katja, sie soll Till das Geld wieder zurückgeben.“ Uschi stand auf. „Van die neämm ik nix. Jeld matt ne Freundschaft kaputt.“

      „Und Till?“, wollte Jasmin fragen, „der ist doch Katjas Freund?“, aber sie schwieg, um die Stimmung nicht noch mehr aufzuheizen. Uschi ging bald hinüber in ihre eigene Wohnung, ihre Freude über das viele Geld hatte einen gehörigen Dämpfer bekommen. Jasmin hatte ihr den ganzen Spaß verdorben.

      Die Wohnungstür klappte, Katja war nach Hause gekommen. Sie lief ihr durch den Flur entgegen. „Schätzchen, schön dat du doo bis. Wull vie ins jlick Möbelkatalore dürchkieken? Et is doch noch Jeld üwerich.“ Katja schaute sie mit einem seltsamen Blick an. „Möbelkataloge? Wieso Möbelkataloge?“, fragte sie. „Et is doch noch Jeld üwerich“, wiederholte Uschi, „ik dachte, vie künnt ins noo neuen Wohnzimmermöbeln …“

      „Wohnzimmermöbel!“, höhnte Katja, ohne sie aussprechen zu lassen, „hast du denn keine anderen Sorgen? Wohnzimmermöbel!“ Damit klappte die nächste Tür und Katja war in ihrem Zimmer verschwunden. Uschi starrte ihr mit offenem Mund nach. Was war denn mit dem Kind los? So war Katja ja noch nie mit ihr umgesprungen.