Margot Wilke

Schulzeit – eine Zeit schöner Erlebnisse?!


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an der Tafel stand: „Der Himmel ist blau, das Wetter ist schön, Herr Lehrer, wir wollen spazieren geh’n!“, waren die Kollegen auf eine leere Klasse vorbereitet. Das schrieben wohl auch schon die Eltern und Großeltern an die Tafel. Was lag da nahe, dass der Lehrer seine Stunde auf den Berg verlegte und wohl auch jedem Stundenthema gerecht werden konnte, wenn es Biologie, Geographie, Deutsch oder Geschichte betraf.

      Aber was trieb unsere Kinder dorthin. Streiche? Abenteuerlust? Oder auch Bewegungsdrang nach der langen Winterzeit?

      Die Erinnerungen von heute Siebzigjährigen begannen immer gleich. „Einmal sind wir abgehauen und hoch auf den Frankenstein. Oben hatte jemand einen Garten. In diesem standen Kirschbäume und an denen hingen die schmackhaftesten Kirschen vom Ort. Die haben wir geklaut.“

      „Einmal ... abgehauen und haben oben auf dem Frankeinstein Räuber und Gendarm gespielt.“

      Ein beliebtes Spiel von Eltern und Großeltern übernommen.

      „Einmal ... abgehauen. Das merkte der Lehrer sehr schnell. Da er jung und sportlich war, ist er hinter uns her. Wir haben ihn, da wir ja den Frankenstein kannten, immer in die Irre geführt. Er ist uns trotzdem auf den Fersen geblieben. Wir lockten ihn bis hoch, versteckten uns in dem Turm und er folgte uns immer noch. Wir kletterten von außen am Turm hinunter, schlossen ihn ein und liefen weg. Wir wissen aber bis heute noch nicht, wie er wieder herausgekommen ist. Wahrscheinlich ist er aus einem Fenster geklettert.“

      „Einmal ... abgehauen, da hatten wir gestreikt. Wir sollten eine Arbeit schreiben, hatten aber am Tage zuvor schon eine große Klassenarbeit geschrieben. Da sind wir alle aufgestanden und gemeinsam aus der Klasse marschiert und dann auf den Frankenstein geflitzt.“

      Aber es war nicht immer der Frankenstein, der reizte. Eine Klasse hatte ihren Klassenraum in einem Nebengebäude. Dieses war einst eine Gastwirtschaft mit Saal (auf dem wurde der Sportunterricht erteilt). Ein Gebäude, welches Anfang 1800 gebaut wurde. Über dem Saal war ein Boden und dieser war schon jahrzehntelang nicht betreten worden. In der 6. Klasse fiel der Unterricht aus. Banges Warten, hoffentlich merken sie drüben nichts. Und dem war auch so. Das war die Gelegenheit für den Besuch des Bodens. Leise und langsam wie Diebe schlich die Klasse die morschen Treppen hoch bis zum ersehnten Ziel. Was bot sich außer Schmutz und Gerümpel? Alte Kulissen aus der Vorkriegszeit, alte Tische, kaputte Stühle, uralte Gläser und Flaschen. Sogar ein uralter Rollstuhl war vorhanden. Jeder Gegenstand wurde bestaunt oder bejubelt. Vergessen die Belehrungen über Einsturzgefahr und fast vergessen, die nächste Stunde. Verdreckt und verschwitzt, wie sie waren, wurde ihr Ausflug bald bekannt. Aber diesmal gab es eine Strafe: „Wir mussten einen Aufsatz schreiben, warum wir das nicht durften!“ Der Kollege, der diese Aufgabe stellte, war ganz bestimmt früher ein artiger und gewissenhafter Junge und wusste nicht, wie abenteuerlich Kramen auf einem alten Boden sein konnte.

      Diese Art von Streiche hatte aber ansonsten keine Folgen. Sie wurden heiter und verständnisvoll zur Kenntnis genommen. Man war ja selbst einmal Schüler und hatte an Aktionen dieser Art selbst teilgenommen.

      So dörflich-heiter wie die Schule war, so waren eben auch die Streiche.

      Diese Zeit war 1976 vorbei.

      Mehr Schüler – mehr abwechslungsreiche Streiche – mehr raffiniertere Streiche. Die Mentalität des Lehrers war entscheidend, wie er mit diesen Lausbübereien umgehen konnte.

      Die heiteren Momente und Episoden, die sich ergaben, werden heute von Schülern und auch von Lehrern belächelt.

      Im Vergleich zu den filmischen Streichen, die unwirklich sind, über die aber trotzdem gelacht wird, entstanden die unserer Schüler meistens aus Situationen oder Begebenheiten. Auch ihnen ging es darum, ihre Lehrer auszutesten, ihren Spaß zu haben, sie „reinzulegen“ oder „eins auszuwischen“. Sie entsprachen allerdings der Wirklichkeit und waren in den seltensten Fällen bösartig. Dabei spielte aber auch ihr Verhältnis zum Lehrer eine entscheidende Rolle. Auf jeden Fall zeigten sie sich phantasievoll, kreativ, erfinderisch und humorvoll.

      Bei derartigen „vorbereiteten Zufälligkeiten“ sollte der Lehrer schlagfertig und humorvoll auf die Schüler eingehen, um den Unterricht weiter gestalten zu können. Egal wie, er sollte jede Gelegenheit zum Lachen nicht ungenutzt lassen. Lachen ist gesund und es sollte sowieso jeden Tag einmal gelacht werden. Außerdem lockert es den Unterricht und auch das Verhältnis zum Lehrer.

      Die Lausbübereien, ob bewusst oder unbewusst, sind noch heute für einen bestimmten Personenkreis unterhaltsam.

      Wenn auch die Namen bei den nachfolgenden Episoden und Begebenheiten geändert wurden, wird sich dieser oder jener wieder erkennen. Wie bereits gesagt, das Wichtigste ist die Schule als Lehranstalt. Die Lehrer lehren und die Schüler lernen. Aber nicht alle Schüler sind lernbegierig oder fügen sich dem Unterricht. Unter ihnen sind auch die sogenannten Rabauken. Sie sind nicht mit Rowdys gleichzusetzen. Es sind Schüler, die kess, lebhaft und unbeherrscht sind. Sie fallen durch außergewöhnliche Handlungen auf und schießen manchmal über das Ziel hinaus, obwohl sie Normen und Grenzen kennen. Letztendlich aber siegt die Einsicht. Baut der Lehrer mit Geduld oder Humor ein gutes Verhältnis zu diesen Rabauken auf und gewinnt ihre Sympathie, wird es keine Probleme geben.

      Wenn er aber glaubt, seine Schüler zu kennen, soll er immer bedenken, dass ihn seine Schüler besser kennen, als er denkt.

      Soweit das Vorwort zu diesem Thema.

      Der erste Schultag in einer 1. Klasse verlief wie eben der erste Schultag in üblicher Weise verläuft. Mitten im Unterricht stand ein kleiner Knirps auf, packte seinen Ranzen und mit den Worten: „Ich gehe nach Hause, hier gefällt es mir nicht!“, setzte er seinen Ranzen auf und verschwand.

      Es ist durchaus möglich, dass dieser in späteren Jahren an nachfolgenden Schüleraktionen beteiligt war.

      Episoden und Begebenheiten aus dem Schulalltag, die für die Schüler erinnerungswert sind und für mich als Lehrer an schöne Stunden, aber auch an kritische Situationen, die oftmals vom Normalen abwichen, erinnern.

       Lieschen-Müller-Roman

      Deutsch in der 10. Klasse.

      „Ich möchte in der nächsten Stunde ein Romanheft behandeln. Bringt mir bitte ein bis zwei von diesen Heften mit!“ In der nächsten Stunde lagen nicht drei Hefte auf dem Tisch, sondern zwei Stöße, vom Arzt- bis zum Heimatroman. Ich fischte wahllos ein Heft heraus, schlug irgendeine Seite auf und las mit viel Herz, Schmerz und Schmalz einen Abschnitt vor. Gelächter der Jungen und zwischendurch empörte Mädchenstimmen: „Sie wollen uns nur die Romane vermiesen!“

      „Stimmt!“ Nach Behandlung dieser Art von Literatur machte ich den Vorschlag, selbst einen schnulzigen Roman zu schreiben. Damit traf ich den Nerv der Mädchen. Das war etwas für sie. „Zu welchem Thema?“

      „Einen Arztroman!“ Die Mädchen übertönten die Jungen. Es sollte ein Liebesroman werden mit verbotener Liebe, Eifersuchtsszenen, rührende Liebeschwüre, gebrochene Herzen, weiblicher Kampf zwischen arm und reich um einen jungen, erfolgreichen, bildschönen Arzt und der Schluss „Mit einem langen innigen Kuss schloss er ihren Mund.“ 25 Schüler ergaben 25 Kapitel. Für jedes Kapitel eine Überschrift und zwei bis drei Wortgruppen als roter Faden. Nach zweiwöchiger Zeit erfolgte die Auswertung. Bei dem, was da heraus kam, konnte keiner ernst bleiben und ich konnte mich bei diesem waschechten Lieschen-Müller-Roman ebenfalls nicht beherrschen. Lautes Gelächter, Trampeln, Klatschen war das Ergebnis. Wir bogen uns vor Lachen. Die Klasse tobte und ich mit. Im Schulgebäude unüberhörbar. Daneben war der Computerraum. Dort lachten die Schüler mit, ohne den Grund zu kennen. Der Schulleiter riss die Klassentür auf. Bei ihren Lachanfällen bemerkten ihn die Schüler nicht, mich sah er vorn am Tisch laut lachend und gekrümmt. Er winkte mit der Hand ab und schloss wieder die Tür. Sein Abwinken bedeutete so viel wie „hoffnungslos.“ Es wird mir wohl keiner glauben, aber die Kapitel der Jungen trieften vor Herz, Schmerz und Schmalz. Wollten sie die Mädchen, ohne zu wollen, verspotten? Das Wichtigste aber war wohl, dass die Mädchen erkannten, dass diese Literatur nicht lesenswert ist.

      Auf