Ursula Klein

Geburtsort: Königsberg


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hatte, wie es ein besonderer Geleitbrief der geistigen Menschen ist. Zugleich wurde man aber auch an ein Wort Kaiser Wilhelms erinnert, der einmal dem Rektor der Berliner Universität sagte, dass er verstanden hätte, wie ein König zu repräsentieren. Auch diese Rektoren, jeder ein kleiner König im Reich der Wissenschaft, hatten diese selbstverständliche Würde.

      Es folgten in kaum übersehbarer Fülle die Professoren der verschiedenen Fakultäten, auch sie in ihrer überlieferten, vielgestaltigen Tracht. Dann leuchteten zwei scharlachrote Mäntel auf: die Universitätspedelle mit den zepterartigen Stäben. Sie schreiten vor der Magnifizenz, die die Universität gewissermaßen inkarniert (verkörpert), vor dem Rektor der Albertina, Professor Uckeley. Ihm, dem das feierliche Ornat des Rektors besonders gut ansteht, folgt wiederum eine Fülle von Professoren und Gästen. Am Altar teilt sich der Zug.“

      Der Gottesdienst beginnt. Auch Vater Krohn war – mit einem Schirm bewaffnet – in den Reihen der Wartenden. An der Hand hielt er Hanna und Fritz. Beide Kinder waren hell begeistert über das, was sie gesehen hatten. Aber in den Dom kamen sie nicht mehr hinein.

      Und so machte Vater aus der Not eine Tugend und zeigte den Kindern das Grabmahl Kants, das anlässlich dieses Tages erneuert und im Farbton dem Dom angepasst worden war. Es war an diesem Tag besonders reich mit Blumen und Kränzen geschmückt, die direkt am Sarkophag lagen und auch vor dem Eisengitter. Hanna konnte nur mit Mühe die Inschrift lesen, da sie teilweise von Blumen verdeckt war: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir“

      „Versteht ihr das?“ Hanna antwortete nach kurzem Nachdenken: „Na, ja, je öfter ich am Abend den Sternenhimmel anschaue, desto schöner erscheint er mir, aber auch immer wieder neu. Man kann sich eigentlich gar nicht satt daran sehen, so schön ist er. Und je älter ich werde, um so lieber schaue ich mir abends einmal die Sterne an.“ „Und was meint Kant mit dem moralischen Gesetz in uns?“ Darauf wussten beide keine Antwort und Vater erklärte: „Als ihr noch viel kleiner gewesen seid, habt ihr euch um vieles keine Gedanken gemacht. Wenn ihr etwas Verbotenes getan habt, wurdet ihr bestraft oder wir haben euch euer Fehlverhalten erklärt. Nun ist Lisbeth zum Beispiel erwachsen und muss selbst bestimmen, was falsch und richtig ist. Diese Entscheidungen über falsches und richtiges Handeln werden immer schwieriger, weil man sich – wenn man älter ist – über alles mehr Gedanken macht über Wenn und Aber, weil man alles komplex betrachtet. Als Jugendlicher urteilt man oft spontan, im Alter wägt man seine Entscheidungen und Worte länger ab.“ Das hatten sie begriffen.

      Obwohl es immer noch regnete, zeigte Vater seinen beiden Kindern auch noch das Denkmal für Julius Rupp, das von Käthe Kollwitz geschaffen worden war, denn es war ihr Großvater. Hanna erinnerte sich, dass sie über ihn schon einmal etwas gehört hatte. Aber sie wusste es nicht mehr so genau und Vater erzählte: „Julius Rupp war Verfechter der philosophischen Ideen Kants, die er als Königsberger Divisionsprediger in die kirchliche Lehre einbringen wollte. Es kam zum Streit zwischen den kirchlichen Würdenträgern und Rupp. Er wurde aus der Kirche ausgeschlossen und durfte keine kirchlichen Handlungen mehr vornehmen. Darum gründete er eine Freie evangelisch-katholische Gemeinde. Rupp blieb aber in Königsberg, auch wenn er nach der Revolution seine Dozentur an der Universität verlor. Er betätigte sich weiter kirchlich und literarisch. Somit ist auch er als Königsberger ein Sinnbild des freien Denkens.“

      Die Inschrift auf dem Denkmal war noch recht gut zu erkennen: „Wer nach der Wahrheit, die er bekennt, nicht lebt, ist der gefährlichste Feind der Wahrheit selbst“. Das begriffen die Kinder sofort. Lügen durften sie nicht.

      Langsam entfernten sie sich vom Domgelände und Vater erzählte noch ergänzend, dass der Dom auf mehreren hundert Eichenpfählen ruht, die in den moorigen Untergrund gerammt wurden, damit das Fundament fest war. „Als die Mauern des Chores bereits hochgezogen waren, ahnte der Hochmeister Luther von Braunschweig, welch gewaltiges Bauwerk entstehen würde, eine richtige Kirchenburg. Das wollte aber der Orden nicht dulden und es wurden viele Veränderungen nachträglich festgelegt, da der Dom auf keinen Fall die Ordensburg in den Schatten stellen sollte. Erst nach 50 Jahren, nämlich 1380, war der Dom fertiggestellt und wurde trotzdem zum eigentlichen Wahrzeichen unserer Stadt.“

      Als die Kinder von weitem die Straßenbahn sahen, freuten sie sich wieder auf Zuhause, denn nun war es durch den Regen und Wind doch empfindlich kalt geworden. Mutter machte schnell einen warmen Tee und die Kinder erzählten begeistert von den Erlebnissen. Fritz äffte die Professoren mit steifem Rücken und ernsten Gesichtern nach, erzählte aber auch, was sie für schöne Kleidung angehabt hatten.

      *

      Ein paar Wochen später, am 14. Juni 1924, wurde der Flughafen Devau feierlich eingeweiht. Und wieder strömten die Königsberger hin. In der Königsberger Hartungschen Zeitung hieß es an diesem Tage: „Eine ganze Anzahl Straßenbahnwagen beförderte gegen 4 Uhr die Schar der Festteilnehmer nach dem festlich geschmückten Flugplatz Devau hinaus zur Einweihungsfeierlichkeit … Zwei Fokker und ein Junkersflugzeug sowie A. G. G. Doppeldecker des Aero Lloyd waren vor den Hallen zur Begrüßung aufgestellt und ließen mitunter den kraftvollen Gesang ihrer Motoren ertönen. In den Hallen sah man weitere Flugzeuge … “

      Der Luftverkehr für die abgetrennte Provinz Ostpreußen hatte eine immense Bedeutung. Die wichtigste Linie war „Berlin – Danzig – Königsberg“, brachte sie doch die schnelle Verbindung zum Reich. Aber ebenso wichtig auch für den Handel waren die beiden anderen Verbindungen in den Norden und Osten: von „Königsberg nach Moskau“ und von „Berlin – Königsberg – Insterburg – mit Anschluss an die Linie Stockholm – Petersburg“. Hiermit hatten Reisende die Möglichkeit, innerhalb eines Tages von Berlin nach Moskau zu gelangen. Natürlich war das nur für Geschäftsleute und Politiker erschwinglich, denn ein Hin- und Rückflug nach Berlin kostete nach dem 30. 8. immerhin 82,50 Reichsmark.

      Es wurden aber auch für die Flüge zum Teil Nachtstunden ausgenutzt. Und so wurde die Luftlinie „Berlin – Königsberg“ als eine der ersten mit Nachtbeleuchtung ausgestattet, so dass hier für das gesamte deutsche Flugwesen sehr wertvolle Erfahrungen gesammelt werden konnten.

      Ein weiterer wichtiger Fortschritt war im gleichen Jahr die Inbetriebnahme des Königsberger Rundfunkbetriebes, den der Kaufmann Walter Zabel gegründet hatte. Weithin sichtbar waren die großen, hohen Sendemasten neben der Alten Pillauer Landstraße zu sehen, die alle Königsberger ehrfurchtsvoll bestaunten. Keiner konnte sich so richtig vorstellen, wie ein Rundfunk funktionieren sollte, dass Musik aus einem Kasten kam, in dem keine Musiker saßen.

      Bei den „Reichen“ erfreute sich aber diese technische Neuerung großer Beliebtheit, wurden doch Sinfonie- und Künstlerkonzerte übertragen. Mit dem Rundfunk wurde der Dirigent Hermann Scherchen ab 1930 bekannter, als wenn er „nur“ im Saal dirigiert hätte.

      Die letztgenannten Ereignisse hatten zwar wieder einen optimistischen Charakter, sie täuschten aber nicht darüber hinweg, dass das Leben nicht einfach war. Zwar war im April 1925 Hindenburg zum Reichspräsident gewählt worden und alle Menschen hofften auf Besserung, aber die wirtschaftliche Entwicklung wollte nicht kommen. Im Gegenteil: in diesem Jahr musste Königsberg 139 Konkurse registrieren.

      Und so lebten Otto und Anna mit ihren Kindern immer im Glauben an eine bessere Zukunft und im Vertrauen auf Gott.

      *

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