dieser Sektor immer noch eine – relative – männliche Domäne ist.
Insgesamt ist nach 150 Jahren modernen Aufstiegs der Frauen in der Medizin der Punkt der inhaltlichen und numerischen Gleichheit mit den Männern nahezu oder bereits überschritten. Im Jahre 2012 waren schon rund 60 % der im Arztberuf beginnenden Mediziner Frauen. Von diesen Ärztinnen in Deutschland sind allerdings nach einer Umfrage des Jahres 2012 ungefähr ein Drittel mit Teilen ihrer Welt unzufrieden: „mit der Mitbestimmung, ihren Entwicklungschancen am Arbeitsplatz und ihrem Einkommen“. So kann es zu dem erstaunlichen Satz kommen:
„Rund 60 % der Neueinsteiger in den Arztberuf sind Ärztinnen. Ihre berufliche Zufriedenheit wird wesentlich die Zukunft des Gesundheitswesens mitbestimmen“ (Zahlen nach einer Onlineumfrage unter 1.200 Ärztinnen aller Altersgruppen, Fachgebiete und Hierarchieebenen. Quelle: Chirurgische Allgemeine 13, Heft 5, Heidelberg 2012, S. 267).
Angesichts dieser Zahlen möge man den altrömischen Frauenanteil unter den Ärzten, der um die 5 % lag, nicht an unseren Tagen messen. Stellen wir uns aber nur einmal kurz die Könige von Preußen und Bayern des Jahres 1850 vor, denen man sagen würde, dass im nächsten Jahr jeder zwanzigste Arzt in ihren Ländern eine Frau sein würde: Die Majestäten hätten einträchtig den Kopf geschüttelt und niemand hätte ein Wort geglaubt, durften Frauen damals doch das Fach Medizin überhaupt noch nicht studieren.
Heilkundige Frauen des Mittelalters
Heilkundige Frauen gab es freilich in allen Jahrhunderten, auch nachdem um 500 n. Chr. die antike Welt untergegangen war. Die Überlieferungslage zum Ärztestand hatte sich in den Jahrhunderten des beginnenden und des hohen Mittelalters allerdings radikal verändert. Die Kenntnisse der antiken Medizinschriftsteller ging zunächst rapide zurück. Der Aufschwung der Medizin nach dem Jahr 1000, also immerhin ein halbes Jahrtausend nach dem Untergang des Weströmischen Reiches, hing auch mit der zunehmenden Wiederentdeckung der antiken Medizinautoren zusammen. Die Übersetzungen aus Salerno in Süditalien und Toledo in Kastilien spielten hier die entscheidende Rolle.
Wie zu allen Zeiten haben Frauen in der realen Alltagswelt auch des Mittelalters heilkundige Handlungen und Beratungen ausgeübt. Das Feld der Geburtshilfe, die Arbeit der Hebamme, blieb ein weibliches Reservat. Schon aber die Frage, ob die aus der Römerzeit des Altertums aktenkundige Ärztin weiterhin unter dem Namen einer Ärztin tätig war, stößt auf die Probleme der Überlieferungslage.
Das Phänomen der Arztgräber mit Beigaben hörte mit der späten römischen Kaiserzeit der Jahre um 300 n. Chr. auf. Noch schwerer wiegt das Ende der antiken Inschriftensitte. Das Altertum war eine Welt der Inschriften, meist auf Stein, daneben auch auf Metall oder als aufgemalter Wandanschlag an Häuserwänden. Die öffentlichen Plätze der Städte im Römischen Reich waren voller Ehrendenkmäler, Ehrenstatuen und Ehreninschriften. Die vor den Toren der Städte gelegenen Grabmäler trugen Inschriften, die manchmal karg waren, oft aber auch den Lebensweg des Verstorbenen ausführlich schilderten und lobten. Zwar darf man für das Römische Reich annehmen, dass nur ein bescheidener Prozentsatz der Menschen Lesen und Schreiben gelernt hatte; dennoch spielte dies keine Rolle, weil die bestimmende römische Aristokratie schon früh die Sitte Griechenlands der Ehreninschriften und der beschrifteten Grabmäler übernommen hatte. Und selbst wenn jemand nicht lesen konnte, so ließ er sich eben den Wortlaut vorlesen: Aber eine ordentliche Grabinschrift gehörte sich einfach.
Diese Welt verschwand mit den Jahren um 500, und dies nicht nur im Westen, sondern auch im christlichen Reich Ostroms, in Byzanz. Damit verlieren wir eine Hauptquelle über den Ärztinnenberuf, stammen doch unsere Informationen über die antiken Ärztinnen zuerst aus Inschriften, dann erst aus den archäologischen Grabinventaren und aus den Bemerkungen antiker Autoren.
Im Mittelalter sind wir bei dem Fehlen aller Inschriften und auch aller archäologischen Bodenfunde nur auf die Medizinliteratur angewiesen. Hier begegnen uns freilich heilkundige Frauen in beachtlicher Zahl. Der heutige Leser wird mit dem Begriff Medizin im Mittelalter vermutlich zuerst den Namen Hildegard von Bingen verbinden. Diese Gestalt der Jahre 1098–1179 wurde und wird in jüngster Zeit immer berühmter. Es entstand inzwischen eine regelrechte Hildegard von Bingen-Industrie; gibt man den Namen in die aktuellen Suchmaschinen des Internets ein, bekommt man gut 2 Millionen Zitate. Der rezente Ruhm Hildegards entspricht nicht der Situation im Mittelalter, soweit es um die Medizin geht. In der damaligen altdeutschen medizinischen Literatur spielten Hildegards zwei Schriften (Physica, Causae et curae) anscheinend keine Rolle und werden kaum zitiert.
Das berührt jedoch nicht die Frage der Wertschätzung heilkundiger Frauen. Eine Episode aus der Zeit Hildegards und mit einer vergleichbaren Hauptperson steht in der Reinhardsbrunner Briefsammlung: Mitte des 12. Jh. wendet sich der Abt eines thüringischen Klosters an einen Amtsbruder und bittet um Hilfe bei einer Krankheit; man möge ihm bestimmte Arzneien schicken und man möge sich bei einer heilkundigen, berühmten Frau in Sangershausen genau erkundigen, wieviel und wie man von der Medizin einnehmen müsse. Bei dem Kranken handelte es sich um einen Mönch, was belegt, dass Ärztinnen nicht immer allein Frauen behandelten.
Im medizinischen Alltag des Mittelalters waren Frauen in großer Zahl tätig. Ihr Anteil an der Praxis war sicher größer, als es die medizinischen Schriften vermuten lassen. Frauen waren nach der mittelalterlichen Literatur als Hebammen und Pharmazeutinnen, als medizinische Autorinnen und eben auch als Diagnostikerinnen und Ärztinnen tätig. Freilich ergab sich im Laufe der Zeit die Einschränkung, dass Frauen spätestens seit dem 14. Jh. keinen Zugang mehr zu medizinischen Hochschulen bekamen. Im traditionsreichen Salerno konnten Frauen allerdings noch bis zum 14. Jh. den Grad einer Chirurgin erwerben. Die medizinische Hochschule von Salerno in Süditalien war neben Toledo in Spanien in der Vermittlung medizinischer Texte der Griechen, Römer und Muslime maßgebend. Die Universität Salerno existierte bis 1812, die Blütezeit der Salernitaner Medizinschule des Mittelalters war jedoch das 11. und 12. Jh. Für unser Thema sind die in Salerno tätigen Medizinerinnen hervorzuheben, die Mulieres salernitanae. Man hat sie entweder apodiktisch zu Hebammen erklärt oder erwogen, in ihnen doch auch Ärztinnen erkennen zu dürfen. Mit der Frauenheilkunde ist der Name Trotula verbunden, ein Frauenname, den man als Autorin eines Hauptwerkes der Schule von Salerno annahm, eine Schrift über die Leiden der Frauen oder die Heilmittel für Frauen. Inzwischen nimmt man nicht nur die Existenz einer Salernitaner Ärztin (nicht Hebamme) namens Trota an, man hat auch versucht, ihr schriftstellerisches Werk aus der ersten Hälfte des 12. Jh. in Umrissen zu rekonstruieren.
In mittelalterlichen Schriften werden die Mulieres salernitanae des Öfteren zitiert, und das nicht allein bei Problemen der Frauenheilkunde. Eine Ärztin Abella schrieb angeblich ein Werk in Versen (wie es üblich war) über die Schwarze Galle; Rebecca Guarna aus Salerno publizierte medizinische Versgedichte über das Fieber und über den Urin. Andere namentlich genannte Salernitaner Medizinerinnen waren Sigelgaita, Mercurias, Francesca Romano und Constanza Calenda. Eine Ärztin aus Katalonien nannte sich im Jahre 1188 in einem Grundstücksvertrag ganz selbstverständlich „ego Dulcia, medica“ (Ich, Dulcia, Ärztin).
Aus der gleichen Zeit, dem 12. Jh., hören wir nach langen Jahrhunderten wieder etwas von einer Ärztin im griechischen Byzanz: Im Pantokratorspital Konstantinopels hatte man einen Frauenflügel eingerichtet, den zwei Ärzte leiteten, denen eine Ärztin (iátraina) unterstellt war. Die Ärztinnen von Salerno waren in der Welt des Mittelalters nicht allein.
Der Weg zu den Universitäten
Salerno, wo Frauen hatten Medizin studieren können, war auf diesem Gebiet kein Vorbild geworden. Die maßgebenden Hochschulen des späten Mittelalters, angefangen von Bologna und Pavia in Norditalien, über Montpellier in Südfrankreich bis zum einflussreichen Paris, setzten diese Linie nicht fort. Außerhalb der Schulmedizin waren heilkundige Frauen allenthalben im späten Mittelalter und früher Neuzeit tätig. Aber sie waren eben von den Akademien und Zünften ausgeschlossen und es dauerte viele Generationen, bis sich auf diesem Gebiet etwas änderte.
Dies ist der Grund, weshalb der Fall Erxleben bis heute eine so große Beachtung erfuhr. Der harte, doch erfolgreiche Lebensweg der Frau Dr. Dorothea Erxleben, geb. Leporin (1715–1762) hat ein Zeichen gesetzt. Das Fräulein