Jan Eik

Schaurige Geschichten aus Berlin


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untrennbar mit dem Hohenzollernschloss verbunden ist: die Weiße Frau.

      Nach älteren Quellen soll es sich bei dieser Dame um die verwitwete Gräfin Kunigunde von Orlamünde-Plassenburg gehandelt haben, die in Liebe zu dem Nürnberger Burggrafen Albrecht dem Schönen entbrannt war, der sich jedoch zurückhielt. »Gern wollt ich dem schönen Weib mich zuwenden«, soll er geäußert haben, »wenn nicht vier Augen wären« – womit er seine Eltern meinte. Die verliebte Gräfin bezog den Ausspruch auf ihre beiden Kinder und beschloss, sie zu töten, indem sie ihnen mit einer goldenen Nadel ins Hirn stach. Nach anderen Quellen beauftragte sie ihren Bediensteten Hayder mit dem Mord.

      Natürlich wandte sich der Burggraf nun vollends von ihr ab und heiratete eine andere. Viel zu spät bereute die Gräfin ihr scheußliches Verbrechen, unternahm eine Pilgerfahrt nach Rom, stiftete das Kloster Himmelsthron und verbrachte dort den Rest ihrer Tage mit Bußübungen. Im nahen Kloster Himmelskron bewahrte man noch im 17. Jahrhundert die angeblichen Gebeine der beiden Kinder auf, bevor sie infolge häufigen Vorzeigens zu zerfallen drohten und in einer steinernen Truhe bestattet wurden. Kein Wunder, dass die Mörderin nicht einmal nach ihrem Tode Ruhe fand und »als weiße Frau umgehen muss, bis ihre Zeit erfüllt ist«.

      Den Geist der Gräfin von O. zeichnete nach ihrem Tode eine gewisse Reiselust aus. 1486 trat sie als Weiße Frau erstmalig im alten Schloss zu Bayreuth auf und wurde zwei Jahre später in den düsteren Gängen und Gewölben der Plassenburg gesichtet. 1540 stellte der dortige Schlossherr Markgraf Albrecht Alkibiades das Gespenst und warf es die steile Wendeltreppe hinunter. Unten lag sein Kanzler Christoph Straß mit gebrochenem Genick …

       Die Weiße Frau – die schöne Gießerin

      Wen wundert es, dass die echte Weiße Frau daraufhin den beschwerlichen Weg nach Berlin wählte, um sich ausgerechnet im Schloss der zahlreichen Ururgroßnachkommen ihres einst Angebeteten festzusetzen? Im Cöllner Schloss ist ihr Auftreten seit 1598 bezeugt. Da allerdings war sich alle Welt einig, dass es sich nicht um die längst vergessene Gräfin von Orlamünde handelte, sondern um die schöne Gießerin Anna Sydow, Witwe des Artilleriehauptmanns und Stückgießers Matthias Dieterich aus Burgund. Sie war die langjährige Favoritin des Kurfürsten Joachim II., der sie mehr liebte »als alle seine anderen Gespielinnen, von seiner angetrauten Ehefrau gar nicht zu reden«. Sie begleitete Joachim auf allen Reisen und Jagden und spielte auch sonst gerne die Landesmutter.

      Mindestens zwei Kinder gingen aus dieser Verbindung hervor. Der Tochter Magdalena von Brandenburg verlieh der Vater den Titel einer Gräfin von Arneburg und sorgte sich sehr um ihre Aussteuer.

      Joachim Hektor trat 1539 entgegen seinem dem frommen und fruchtbaren Vater geleisteten feierlichen Eid zum Luthertum über. Ohnehin war ja ein Hohenzoller, Joachim Nestors Bruder Albrecht nämlich, Schuld an der Reformation. Der hatte sich bereits als 24-Jähriger zum jüngsten Erzbischof von Magdeburg und Kurfürsten von Mainz emporgekauft. Die Augsburger Fugger liehen ihm das Geld dafür. Damit er es zurückzahlen konnte, privilegierte der Papst Albrecht zum Ablasshandel, unter der Bedingung, dass die Hälfte der Einnahmen für den Bau des Petersdoms nach Rom floss. Der nicht sonderlich fromme Erzbischof holte den wegen Ehebruchs zum Tode durch Ersäufen verurteilten und vom Sachsenherzog zu ewiger Haft begnadigten Dominikaner Tetzel aus dem Grimmaischen Turm zu Leipzig und ernannte ihn zum »Untersuchungsrichter der ketzerischen Entstellungen« und zum obersten Ablasskrämer. War es ein Wunder, dass sich der Doktor Luther in Wittenberg gegen Tetzels freches Gebaren empörte und die halbe Christenheit aufschrie? Erzbischof Albrechts und Joachim Nestors Vetter Markgraf Albrecht von Hohenzollern, letzter und jüngster Hochmeister des Deutschritterordens, war 1525 der erste Herrscher, der die neue Religion in seinem eben vom Polenkönig gelehnten Herzogtum Preußen zur Staatsreligion erhob.

      Joachim sorgte sich nicht nur um seine uneheliche Tochter Magdalena und um die drei Kinder der Anna Sydow aus deren erster Ehe. Mit Recht misstraute er vor allem seinem ältesten Sohn Johann Georg. Am Sonnabend nach Pfingsten 1561 ließ er diesen in Zechlin eine Urkunde ausstellen, in der Johann Georg Folgendes versicherte:

       Unsre liebe getreue Anna Sydows … jederzeit schützen handhaben und vertheidigen … Wir nehmen sie samt Kindern Haab und Gütern in Unsern sonderlichen Schutz, und versprechen auch alles wie obstehet, und Wir solches Unserm Herrn und Vater mit Hand und Mund angelobet haben …

      Kaum aber war der Herr und Vater nach einer Wolfsjagd in der Nacht zum 3. Januar 1571 im Jagdschloss Köpenick verblichen, ließ der wortbrüchige Sohn die Sydow verhaften, aller ihrer Güter und Kleinodien berauben und auf die Festung Spandau bringen, »wo sie bis an ihren Tod (im Jahre 1575) sehr hart gehalten worden sein soll«.

      Die durch Joachims Prunksucht und Mätressenwirtschaft verarmten Landeskinder sahen darin eine durchaus gerechte Strafe. Neben dem kurfürstlichen Münzjuden Lippold war ihnen die schöne Gießerin am meisten verhasst. Auch aus der glänzenden Aussteuer der mit einem Grafen von Eberstein verlobten Tochter Magdalena wurde nichts. Johann Georg fragte seinen verkrüppelten Schreiber Andreas Kohl mit herbem Spott: »Willst du mein Schwager werden?« Der lehnte nicht ab. Nach Kohls Tod lebte die kurfürstliche Halbschwester als bürgerliche Witwe in Berlin.

      Sosehr das Volk die Gießerin verabscheute, verknüpfte es ihr Schicksal dennoch mit der Sage von der Weißen Frau, »die seit Jahrhunderten im Schloss zu Cölln umgeht und sich vor jedem Todesfall in der Hohenzollern-Familie zeigt«. Zu ihrer Zeit eine berühmte Schönheit, avancierte Anna Sydow 23 Jahre nach ihrem Tode zum berühmtesten Gespenst Brandenburg-Preußens. Sie fände, so behauptete der Volksglaube, in Spandau keine Ruhe, ja, sie sei in Wahrheit im Jagdschloss Grunewald unter der Treppe eingemauert worden. Selbst in einem Privatgebäude in Charlottenburg ginge sie um. Man bemerke dort im Trauerzimmer eine sanfte Erschütterung, die silbernen Wände würden von einer unsichtbaren Macht in einer lebhaften hellgrünen Farbe erleuchtet, süße, harmonische Töne vermischten sich zu einer fröhlichen Melodie …

      Die Weiße Frau war kein fürchterliches Gespenst. Lautlos schwebte sie dahin und erfüllte die ihr vom Schicksal zugedachte Aufgabe, die Todesbotin der Hohenzollern zu sein.

      Zum ersten Mal zeigte sich die weiße Gestalt in Cölln 1598, acht Tage vor dem Tod des 73-jährigen Johann Georg, dem Anna Sydow ihr bitteres Ende verdankte. Kurfürst Johann Georg war der fruchtbarste aller Hohenzollernherrscher, deren 20 es auf immerhin 165 anerkannte Nachkommen brachten. Das letzte von Johann Georgs 23 Kindern wurde erst nach dem Tod des Vaters geboren.

      Auch vor dem Ableben von Johann Georgs Enkel, dem abergläubischen Kurfürsten Johann Sigismund, geisterte das Gespenst herum: »Dies, der Wein und dunkle Gedanken veranlassten den Zermürbten, die Regierung seinem Ältesten zu übergeben und das bessere Jenseits aufzusuchen …«

      Es half nicht, dass Johann Sigismund aus Furcht vor der Weißen Frau ins Haus seines Kämmerers Anton Freytag an der Langen Brücke zog – er hatte nur noch sechs Wochen zu leben.

       Die Weiße Frau wird aktenkundig

      Mit der Leichenrede des Dompredigers Berger von 1619 geriet das Gespenst in die schriftlichen Annalen des Hauses Hohenzollern:

       Es hat sich die Weiße Frau in leidtragender Gestalt auf dem Churfürstlichen Schlosse sehen lassen vor Personen allerhand Standes und Alters, daß also an ihrer Erscheinung nicht zu zweifeln ist.

      Aus dem 17. Jahrhundert stammen die meisten Meldungen über das Gespenst, das sich gewöhnlich ruhig und anständig benahm. Nur wenn man sie durch frechen Übermut reizte, wurde die Dame zornig. Ein hoher Kavalier erzählte, dass er bei Ihrer kurfürstlichen Durchlaucht einstmals wegen wichtiger Affären ziemlich spät im Gemach gewesen, da sei das weiße Weib in Gestalt einer Beschließerin über den Saal gegangen. Sein Page, aller Warnungen ungeachtet, sei ihr nachgelaufen und habe sie angefasst mit den Worten: »Mutter, wo wollt ihr hin?« Der Vorwitzige bekam mit dem Schlüssel einen solchen Schlag an die Ohren, dass er bewusstlos zu Boden stürzte, während das Gespenst über ihn hinwegschritt. Zitternd wagten sich die anderen hervor und trugen den Pagen in seine Kammer, wo er trotz ärztlicher Bemühungen am dritten Tag den Geist aufgab. Man darf den Satan nicht reizen, schlussfolgerten die Todesmutigen, und so flüchteten sie alle, wenn im Schloss nur entfernt etwas Weißes