liebst und ich liebe dich auch so sehr, von hier bis zum Mond liebe ich dich! Aber die Sehnsucht trieb mich hinaus in die Welt. Alles erschien mir so eng, auch wenn ich in deinem Palast meine Körnchen von goldenen Tellern picken konnte. Fliegen wollte ich, nicht nur einmal kreuz und quer durch die Orangerie zur Belustigung der Diener, sondern fliegen bis zum Horizont und über das blaue Meer bis zum Morgenland. Freiheit wollte ich schmecken, ich konnte nicht anders.
Erzähl mir doch, mein Feuervogel, sagte Marlene, warst du wirklich im Morgenland? Und ist es wahr, dass dort jeden Tag die Sonne scheint und die Bäume sich unter der Last der köstlichsten Früchte biegen, so dass sie den Leuten von allein in den Mund fallen?
Oh ja, antwortete der schöne Vogel und Marlene hörte einen tiefen Seufzer, der aus seiner Brust kam. Auch sah sie unter dem Gefieder sein kleines Herz unruhig pochen, ganz als würde dort ein Vogelkind sitzen. Es ist sehr schön dort, Marlene, sagte er. Und wenn ich hierbleiben darf, wenn du mich nun noch haben willst, obwohl ich dir so untreu war, werde ich dir alles ganz genau berichten.
Ach du dummer Vogel, sagte die Prinzessin. ... Zwei Tränen rannen dabei über ihre Wangen und sie sahen aus wie Perlen, so fein schimmerten sie in der Sonne. Nun ja, es waren die Tränen einer Prinzessin. ... Natürlich darfst du wieder in den Palast, denn ohne dich langweile ich mich furchtbar und es ist mir ganz bange ums Herz. Oder willst du lieber wieder ins Morgenland, wenn es dort doch so schön ist? Dann musst du mich aber diesmal mitnehmen.
Nein, meine liebe Marlene, antwortete ihr der Feuervogel, ich will am liebsten bei dir bleiben! Wie habe ich mich gesehnt nach der Heimat! Wunderschön ist es in der südlichen Fremde, und es gibt dort keinen eisigen, kalten Winter, der uns armen Vögeln zu schaffen macht. Doch glaube mir, das Brot der Fremde schmeckt bitter, besonders wenn man allein ist. Was nützt mir alle Freiheit dieser Welt, wenn ich nicht mehr sehe, wie hinter dem Schlossturm die Sonne untergeht und meine Prinzessin Marlene im Schein des Abendrots am Fenster steht und ihr goldenes Haar bürstet. Was soll ich mit der Freiheit anfangen, wenn ich sie nicht mit dir teilen kann?
Oh, antwortete die Prinzessin, das hast du aber schön gesagt. Sie beugte sich zu ihm hinab und küsste ihn mitten auf seinen kleinen Schnabel. Da schüttelte das Vögelchen sein leuchtendes Gefieder und auf einmal, hast du nicht gesehen, stand ein stattlicher, junger Mann vor Marlene.
Wie groß war nun die Freude im Schloss und sie hörten, dass er ein verzauberter Prinz gewesen war, den nur die Liebe einer Prinzessin erlösen konnte. Als er sie verließ, behielt Marlene die Liebe zum kleinen Vöglein in ihrem Herzen und vergaß ihn nie. Dadurch aber konnte der böse Zauber gebannt werden, der den jungen Königssohn in einen Feuervogel verwandelt hatte und bald hielten sie fröhliche Hochzeit.
Ihre Hochzeitsreise führte sie mit einem Schiff in das Morgenland, damit auch Marlene all die Herrlichkeiten dort sehen konnte. Aber danach, liebe Kinder, da blieben sie in ihrem Schloss, bis an ihr Lebensende, denn in der Heimat ist es am schönsten.“
Die Kinder sind mäuschenstill und man sieht ihnen an, dass sie noch immer im Wald bei der Prinzessin Marlene und ihrem Feuervogel sind. Auch die Erzählerin schweigt nun und malt mit ihren Schuhen Kreise in den schlammigen Boden.
Ein Kind, denkt Gerhard, sie ist selbst wie ein Kind, so zerbrechlich sieht sie aus, so verletzlich.
Ein kleiner Junge fragt die rothaarige Kindfrau, was Heimat ist. Ihre Hände greifen nach den Händen des Kindes und sie sucht seinen Blick.
„Schau mich an“, sagt sie, „magst du mich ein bisschen leiden?“
Der kleine Junge nickt heftig, ein Lächeln huscht über sein Gesicht. „Sehr!“
„Und ich mag dich auch sehr. Siehst du, so ist das mit der Heimat. Wo man dich mag und du dich sicher und geborgen fühlst, wo es dir gut geht, da ist deine Heimat.“
„Aber Mama sagt, die Heimat ist da, wo die Wiege stand und nirgends anders.“
„Ich kann deine Mama gut verstehen. Sie ist müde. ... Hab ein bisschen Geduld, wenn all das hier zu Ende ist und ihr ausreisen könnt, was denkst du, wie sie sich freuen wird. Ihr werdet eine neue, gute Heimat finden.
„Und das Brot? Ich meine das Brot in der Fremde, es schmeckt bitter. Das hast du doch gesagt, oder?“
„Das mag wohl sein, wenn man ganz allein in die Fremde geht, so wie der Feuervogel in meiner Geschichte. Dann hat man es in der ersten Zeit sicher nicht leicht. Aber du bist doch nicht allein hier, nicht wahr?“
„Ein bisschen schon. Meine Oma ist nicht hier. Sie wollte nicht mit.“
Wortlos nimmt sie den Kleinen in den Arm. Gerhard aber dreht sich um und geht. Das ist mehr, als er ertragen kann. Das rührselige Märchen, die Tränen des kleinen Jungen, der seine Oma vermisst und die rothaarige Frau, die nun neben ihm im Schlamm kniet und etwas in sein Ohr flüstert.
Tränen rinnen über sein Gesicht. Es ist ihm gleich, ob jemand sieht, dass er weint. Er spürt eine große Erleichterung, seine Tränen spülen fort, was in den letzten Tagen wie ein Stein auf seinem Herzen lag. In der Jacke des fremden, jungen Mannes findet er ein Taschentuch, es riecht tröstlich nach Lavendel und erinnert ihn an Frau Seewaldt.
„Ist es so schlimm?“
Die rothaarige Frau steht plötzlich an seiner Seite und legt ihre Hand auf seinen Arm.
„Ach, es ist nichts. Ich glaube, ich habe wohl eine kleine Bindehautentzündung, ich muss irgendwo im Durchzug gestanden haben.“
„Ich verstehe. Männer dürfen nicht weinen. Lassen Sie es ruhig raus, es erleichtert. Ich kenne das. Als ich vor drei Wochen hier ankam, da habe ich geheult wie ein Schlosshund.“
„Vor drei Wochen? Solange kampieren Sie schon hier? Wie haben Sie das ausgehalten, die vielen Menschen, der Lärm und der ganze Dreck!“
„Zu Anfang war es nicht so schlimm. Aber nun werden es immer mehr. Doch es dauert nicht mehr lange, dann lassen sie die Ersten ausreisen. Hast du von den Montagsdemonstrationen gehört? Die Menschen gehen auf die Straße, jeden Montag, überall, nicht nur in Leipzig, Dresden und Berlin, auch in den kleinen Städten.“
Gerhard zuckt mit den Schultern. „Keine Ahnung. Eigentlich interessiere ich mich nicht sehr für Politik.“
„Aber warum bist du dann hier? Lass mich raten, sicher willst du drüben ein schickes Auto fahren oder Urlaub machen Gott weiß wo!“
„Nein, es ist eine Familienangelegenheit. Ehrlich gesagt möchte ich nicht darüber reden.“
„In Ordnung. Wenn das so ist ... Na dann, bis ein andermal.“
Er sieht, wie sie langsam über den Hof schlendert. Sie bleibt stehen und redet lebhaft mit einer jungen Frau und er denkt, ich kann gar nicht vorsichtig genug sein. Er weiß nicht, warum er den vagen Verdacht hat, die Staatssicherheit hätte sie hier eingeschleust, es ist ein Bauchgefühl, mehr nicht.
„Na, alles in Ordnung? Du bist neu hier, nicht wahr?“
Ein junger Mann steht vor ihm. Er hat einen alten Parka an, der dem seinigen, den er nicht mehr trägt, sehr ähnelt.
„Ganz neu“, antwortet er und verspürt nicht die geringste Lust, sich jetzt auf ein weiteres Gespräch einzulassen.
„Ich will ja nicht aufdringlich sein“, sagt der junge Mann und schaut ihn ernst an. „Kennst du die Rothaarige, mit der du eben geredet hast?“
„Nicht wirklich. Eigentlich gar nicht. Ich habe zugehört, als sie den Kindern ein Märchen erzählte.“
„Märchen, das ist gut! Pass auf, es gibt hier Einige, die reden zu viel. Und mit der Wahrheit nehmen sie es auch nicht so genau. Vor denen sollte man sich in Acht nehmen. Entschuldige, wenn ich dich voll labere, aber du bist mir sympathisch, Kumpel.“
„Danke, nett von dir. ... Meinst du wirklich, sie ist von der Firma?
„Möglich ist alles. Was hat sie dir denn so erzählt?“
„Ach, nichts Besonderes.“
„Angeblich