Miriam Rademacher

Die Farben des Mörders


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Freund geht’s gut, um den machen Sie sich mal keine Sorgen. Der hat Sie ja hergebracht. Und eine Nachricht hat er Ihnen auch dagelassen. Sehen Sie mal!« Sie deutete vorwurfsvoll auf die Bierdeckel neben sich an der Wand.

      Ja, die Bierdeckel fand Jasper besonders irritierend. Für gewöhnlich war es Colin, der Bierdeckel aus dem Lost Anchor mit nach Hause nahm. Darauf standen stets von Jasper notierte Adressen und Uhrzeiten, die Colin zu neuen Aufgaben führten. Aufgaben, die Jasper seinem Freund für verlorene Dartpartien aufs Auge zu drücken pflegte. Jasper war im Pfeilewerfen nahezu unschlagbar, spielte aber niemals um Geld, sondern um gemeinnützige Tätigkeiten in seiner Gemeinde. In den letzten Wochen hatte Colin eine ganze Reihe solcher Aufgaben durch Verlieren gewonnen – nicht immer zu seinem Vergnügen.

      Jasper wagte eine vorsichtige Gewichtsverlagerung und kam schwankend auf die Füße. Träge wühlte sich jetzt auch ein brauner Cockerspaniel unter der Bettdecke hervor. Dewey, ein Waisenhund, der vor einigen Monaten im Pfarrhaus eingezogen war, begrüßte den Tag auf seine Weise und gähnte herzhaft.

      »Morgen, Kumpel. Na? Auch eine wilde Nacht gehabt?«, fragte Jasper. Der Hund sah ihn aus trüben Augen an und ließ sich wesentlich eleganter als sein Herrchen auf die Füße fallen.

      Der Weg bis zur Zimmertür erschien Jasper länger als sonst. Doch schließlich hatte er die finster dreinblickende Mrs Hobbs und die ominösen Bierdeckel erreicht.

      Leise und leicht nuschelnd las er: »Herzlichen Glückwunsch zu deinem ersten verlorenen Dartspiel, alter Freund.« Jasper rieb sich den Nacken und warf Dewey einen fragenden Blick zu, den dieser mit Gleichmut erwiderte. Dunkel stieg jetzt eine Erinnerung in ihm auf. Pfeile, die weit am Ziel vorbeischossen und in einem Blumenfenster landeten. Goldgelber Whisky, der in seinem Glas funkelte. Er las den nächsten Deckel. »Mit großer Freude verkünde ich deine Aufgabe … Der hat sie ja wohl nicht alle!« Voll böser Vorahnungen las er den dritten Bierdeckel und sah diese bestätigt. »Mistkerl! Das hat der mit Absicht gemacht! Er hat mich mit Whisky abgefüllt und dann herausgefordert. Zum letzten Spiel des Abends unter Freunden … wehe, wenn ich den erwische! Der hat wahrscheinlich seine eigenen Whiskys alle in die blöde Kübelpalme neben unserem Tisch geschüttet, nur um nüchtern zu bleiben. Nur, um einmal gegen mich zu gewinnen! Wenn ich den in die Finger kriege, dann kann er aber …« Noch während Jasper ungeachtet seiner Kopfschmerzen herumbrüllte, schmolz sein Ärger und machte einem Anflug von Heiterkeit Platz. Er war in eine gut vorbereitete Falle getappt. Und er hatte verloren. Na gut. Das hatte er wohl irgendwie verdient, nach all den unliebsamen Aufgaben, die er Colin in letzter Zeit aufgetragen hatte. Und er würde sich nicht drücken. Spielschulden waren Ehrenschulden. Auch, wenn die Nachricht des Bierdeckels nicht Gutes versprach. »Du darfst sechs Wochen lang den Kurs für ›Therapeutisches Malen‹ in Hodge House leiten. Viel Spaß!«, las Jasper weiter vor. Den Abschluss der Notiz bildete ein fetter Smiley.

      »Das hat sich Ihr sauberer Freund aber nicht gut überlegt, Herr Pfarrer. Weiß der denn nicht, dass Sie nicht mal ein Strichmännchen zustande bringen?«, fragte Mrs Hobbs und zog verärgert einen der Pfeile aus der Wand, wobei ein Bierdeckel zu Boden fiel.

      »Doch. Vermutlich schon. Deswegen hat er es ja getan. Das ist seine Rache für die Tanztherapie, die ich ihm in Hodge House aufgenötigt habe.«

      »Der Tanzlehrer therapiert seinen Tanz?«

      »Nein. Er therapiert andere mit seinem Tanz. So war es zumindest gedacht«, erwiderte Jasper und fuhr sich durch die langsam ergrauenden Kringellocken.

      Auf den letzten beiden Bierdeckeln stand: Bis heute Abend um fünf und Pack deine Badehose ein. Jasper runzelte nachdenklich die Stirn und warf Dewey ein letztes Mal einen fragenden Blick zu. Der Hund, offensichtlich überfordert, vollführte eine Drehung und dackelte zurück ins Bett. Jasper wäre ihm gern gefolgt.

      »Was hat Ihr Freund sich nur dabei gedacht? Die Löcher, die die Pfeile in der Wand hinterlassen haben, werden für immer sichtbar bleiben! Eine Sauerei ist das«, schimpfte Mrs Hobbs und rupfte bereits am zweiten Pfeil herum.

      »Lassen Sie sie einfach stecken. Es ist zwar eine ungewöhnliche Wanddekoration, aber sie wird mich stets ermahnen, nicht zu viel zu trinken und Colin nicht zu vertrauen, wenn er Whisky spendiert.«

      »Hütet euch vor Griechen, die mit Geschenken kommen«, zitierte Mrs Hobbs und drehte den bereits aus der Wand gezogenen Pfeil zwischen den Fingern. »Sie wollen diese Dinger wirklich in der Wand stecken lassen, Herr Pfarrer? Gehören die nicht dem Lost Anchor

      Jasper deutete auf die Metallspitze des Pfeils und schüttelte den Kopf. »Nein. Dort spielen wir mit Plastikspitzen. Colin muss diese Dinger extra zu diesem Zweck gekauft haben. Vielleicht ergibt sich eines Tages die Gelegenheit, sie ihm auf gebührende Art zurückzugeben. Ich muss darüber nachdenken.«

      Während Jasper finstere Rachepläne schmiedete, schien Mrs Hobbs noch immer über die perforierte Zimmerwand nachzudenken. Die Türklingel schreckte beide auf. Zum zweiten Mal an diesem Morgen überfiel Jasper eine dunkle Ahnung.

      »Welcher Tag ist heute, Mrs Hobbs?«

      »Dienstag. Warum?«

      »Weil das bedeutet, dass ich die Beerdigung von Graham Norton verschlafen habe.«

      »Ach du liebe Güte! Und jetzt?«

      »Halb so wild.« Jasper sah sich nach seinem Talar um, um ihn über seine zerknitterte Kleidung zu werfen. An Tagen wie diesen fand er seine Dienstkleidung enorm praktisch. »Zumindest die Hauptperson wird geduldig auf mich gewartet haben.«

      Nicht weit entfernt legte Lucy gerade ihr Honigbrötchen zur Seite und sah Colin über den Frühstückstisch hinweg streng an. »Ich kann das gar nicht lustig finden. Ausgerechnet malen. Wenn man dem Dorfklatsch glauben darf, hat sich Jasper letztes Jahr am Bühnenbild für das Krippenspiel selbst versucht. Angeblich konnte man den Engel der Verkündung nicht wirklich von den Schafen unterscheiden. Und jetzt soll er einen therapeutischen Malkurs leiten? Für Senioren? Darf er das überhaupt? Ich meine, braucht man dafür nicht irgendwelche Qualifikationen?«

      »Natürlich braucht man die. Genau wie für die Leitung eines Tanztherapiekurses. Und eine solche Qualifikation fehlt mir ebenso sehr wie Jasper jegliches Gefühl für Malerei. Doch in Hodge House ist man diesbezüglich recht schmerzfrei. Die nennen alles Therapie, damit es nach Wellness und Gesundheit klingt. Das Anwesen liegt so weit ab vom Schuss, dass sie sich freuen, wenn überhaupt irgendwer zu ihnen rauskommt und sich mit den alten Leuten beschäftigt. Jasper wird dort interessante Stunden verbringen, da bin ich mir ganz sicher. Genauso interessante wie ich.«

      Colin grinste schon seit dem Aufstehen unablässig vor sich hin. Seine Revanche war mehr als überfällig gewesen. So gerne er auch mit Jasper Darts spielte, seine Wettschulden hatten sich in jüngster Vergangenheit immer öfter als Schikanen entpuppt. Jasper war einfach fällig gewesen. Und da der Pfarrer einem guten Tropfen nur schwer widerstehen konnte, hatte Colin diese Schwäche am gestrigen Abend nach Strich und Faden ausgenutzt. Und Jasper hatte ihm tatsächlich den Gefallen getan, ihm auf den Leim zu gehen. Colin war stocknüchtern geblieben, während Jasper ein Glas nach dem anderen geleert hatte. Die Maltherapie hatte er absichtlich gewählt. Der Pfarrer hatte sie sich verdient. Vor einem Vierteljahr hatte einer von Jaspers Samariteraufträgen Colin sogar in einen Mordfall verwickelt. Doch nicht einmal diese Erfahrung konnte toppen, was er derzeit in Hodge House durchmachte. Das kleine Seniorenheim, idyllisch gelegen inmitten der grünen Hügel Mittelenglands, befand sich nur wenige Autominuten von dem Dorf entfernt, in dem Colin einst ein beschauliches Leben für sich geplant hatte.

      Nach seinen vielen Jahren als Tanzlehrer im reizüberfluteten London hatte ein hartnäckiges Rückenleiden ihn dazu ermutigt, sein Leben noch einmal umzugestalten. Doch die Umgestaltung war nicht so richtig in Fahrt gekommen. Statt eine neue Richtung einzuschlagen, war er wieder auf dem Tanzparkett gelandet. Seinem Rücken ging es inzwischen sogar wieder so gut, dass einer Rückkehr in den Beruf nichts mehr im Wege gestanden hätte. Doch seine neue Freundin Lucy und Jasper mit seinen zeitraubenden