Michael Kirchschlager

Emil und die Burg der Trolle


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im Norden lebt.“

       „Und du willst uns nicht fressen oder unser Dorf versengen?“

       „Nein, ich esse nur Fisch, am liebsten Karpfen. Manchmal auch

       Frösche, aber nur, wenn es nichts anderes gibt.“

       „Karpfen haben wir in unserem Dorfteich genug“, sagte der Dorfälteste sichtlich

       erleichtert, „ich mache dir einen Vorschlag. Du schaffst den Quacker (damit meinte

       er den Stein) an den Rand unseres Feldes und zum Lohn darfst du zehn von unseren

       Karpfen verspeisen.“

       Kaum hatte der Bauer seinen Vorschlag ausgesprochen, schnappte sich Emil auch schon

       den Findling und schoss ihn zu der bezeichneten Stelle.

       „Für ein paar fette Karpfen mache ich alles“, frohlockte Emil.

       Wie groß war das Staunen beim Bauernvolk, als der Stein donnernd zur Erde fiel.

       „Kommt herbei, ihr braven Leute“, rief der Dorfälteste, „das ist Emil der Drache. Er

       meint es gut mit uns! Heißt ihn willkommen!“

       Anfänglich zauderten die Dörfler, da sie Emil fürchteten und Drachen nur aus Sagen

       und Mythen kannten, wo sie obendrein Gift und Galle spuckten und Menschen scha-

      deten oder Schätze bewachten. Ein paar Jungen schlossen jedoch schnell Freundschaft

       mit Emil, der mit einigen kleineren Findlingen lustige Kunststückchen vollführte.

       Der Dorfälteste hielt Wort und ließ zehn Karpfen aus dem Dorfteich fischen. Zur größ-

      ten Freude aller, besonders aber der Kleinsten, die Emil schnell in ihr Herz geschlossen

       hatten, warf Emil die Karpfen geschickt in die Höhe, briet sie mit kurzen Feuerstößen

       und schluckte sie dann mit dem größten Genuss hinunter. Jedem Bissen folgte ein

       lockerer Spruch wie:

       Karpfen lieb' ich brutzelbraun,

       werd' mir jetzt den Bauch vollhau'n.

       Oder:

       Karpfen in 'nem Drachenmagen

       sorgen für größtes Wohlbehagen.

       „Emil, du bist ein lustiges Vögelchen“, sagte ein kleines Mädchen und steckte dem

       Drachen ein Gänseblümchen hinter eine Rückenschuppe.

       „Ich danke dir, tapferes Mädchen“, sagte Emil und verbeugte sich höflich, worauf alle

       Kinder fröhlich lachten.

       6

       Der alte Kettenhund

       Als der letzte Karpfen in Emils Schlund verschwunden war, rieb sich unser Drache

       den Bauch und fauchte zufrieden: „Mit 'nem vollen Magen lässt sich ein Schläfchen

       wagen.“ Sprachs und streckte sich auf der Dorfwiese nieder.

       Wenn Drachen ein Nickerchen machen, dauert das erfahrungsgemäß einige Tage oder

       noch länger. So war es auch hier. Als Emil nach einer Woche wieder erwachte, stand ein

       alter Hund vor ihm, der eine Kette um den Hals trug. Es war der Kettenhund Otello.

       Einst glänzte sein glattes Fell in schönstem Rabenschwarz. Nun war es aber zerzaust

       und zur Hälfte grau. Kaum dem Welpenalter entsprungen, hatte man ihn an eine Kette

       gelegt und ihn zum Wachhund erniedrigt.

       Sein ganzes Leben lag er nun schon in Ketten, durfte nur bellen und erhielt wenig

       Fressen. Oft empfing er die Rute, wenn die Katzen Würste stahlen oder er die Marder

       nicht von den Hühnerställen fernhalten konnte. Wie sollte er das mit der Kette auch?

       Sie hielt ihn kurz. Im Laufe der Zeit erkannten Gänse, Katzen und Marder die schwache

       Stelle des Kettenhundes und er wurde fortan zum Gespött aller.

       „Du bist ein dummer Hund, Otello, ich würge die Hühner und werde weit und breit

       geachtet. Aber du, du liegst an der eisernen Leine und wirst für deine Dienste mit kal-

      tem Fressen belohnt“, sagte der ansonsten stille Marder eines Tages zu ihm und strich

       sich über seinen weißen Kehlfleck.

       „Miau, miau, Otello, du starker Held. Sieh, wir haben uns wieder Würste geholt. Du

       sagst ja gar nichts? Miau, bist aber heute wieder kurz angebunden, hihihi“, stänkerten

       die Katzen voller Falschheit.

       Aber noch schlimmer als die ewigen Hänseleien der Katzen war das unerträgliche

       Geschnatter der dummen Gänse, die überhaupt keinen Respekt vor ihm hatten

       und ihm die letzte Ruhe raubten.

       7

       Otello stand vor Emil und bestaunte seine Größe. Er

       war ganz dicht an den Drachen herangegangen, so

       weit es ihm die Kette erlaubte. Im Unterschied zu den

       anderen Tieren, die den Drachen mieden, fürchtete

       er ihn nicht.

       „Du hast es gut, Emil, du bist frei“, winselte er traurig

       und altersschwach.

       Emil öffnete die Augen und sah Otello an.

       „Beim Maule meines Großvaters, niemand soll in Ketten

       liegen“, fauchte er missmutig. „Willst du frei sein?“

       „Ja, aber wo soll ich alter Hund dann hin?“

       „Bleibe hier, aber ohne Ketten.“

       „Das würden die Menschen niemals dulden.“

       „Ein Versuch wäre es wert.“ Und kaum hatte Emil seinen Satz beendet, zerriss er mit

       seinen starken Drachenkrallen die Kette.

       Der alte Otello konnte seine neu gefundene Freiheit gar nicht fassen. Wie ein Welpe

       sprang er ausgelassen herum und freute sich seines Lebens. Als die Katzen aber sahen,

       dass der alte Kettenhund frei war, liefen sie um ihr Leben und stoben in alle Richtungen

       auseinander. Die Gänse verstummten respektvoll und auch bei den Mardern sprach es

       sich schnell herum, dass der alte Otello nicht mehr an der Kette lag.

       Als der Bauer sah, dass Emil die Ketten zerrissen hatte, sagte er nachdenklich: „Recht

       getan, Emil, das wollte ich schon lange tun!“

       „Wisst ihr, wo ich meine Mama finden kann?“, fragte nun Emil, aber alle schüttelten

       die Köpfe. Nur Otello wusste zu berichten, dass hoch oben im Moor, welches sich

       hinter dem nördlichen Meer befindet, ein Drache hause. „Das erzählten mir letzten

       Herbst die Saatkrähen“, fuhr er fort, „und ich dachte mir noch: Er wird genauso

       einsam sein wie ich.“

       „Das ist meine Mama!“, schnaufte Emil. Und mit diesen Worten erhob sich unser Drache

       in die Lüfte.

       „Fauch,