Erhard Heckmann

100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 4


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den ihr Meer und Fels zusprechen, gewaltig hin und her. Eine kurze Pause muss sie uns jedoch in Neah Bay gönnen, wo das Makah Indian Reservation’s Cultural and Research Center interessiert. Das Museum selbst ist sehr informativ und mit original nachgebauten Booten, Longhouse, Korbarbeiten, Kunsthandwerk, Walskelett und Ausgrabungsfunden, die 1970 durch Gezeiten-Erosionen von dem einstigen Makah-Indianerdorf Ozette zum Vorschein kamen, eindrucksvoll gestaltet. Das Dorf, einst fünfzehn Meilen südlich des heutigen Neah Bay angesiedelt und bis ins 20.Jahrhundert hinein bewohnt, wurde durch einen Erdrutsch verschüttet und gab nach elfjährigen Ausgrabungsarbeiten (1981 abgeschlossen), Zehntausende sehr gut erhaltener Gegenstände aus den 500 Jahre alten Behausungen frei, die die Geschichte dieser Indianer als Walfänger, Fischer, Jäger, Sammler, Künstler oder Krieger dokumentierten. Nach diesem Stopp passt sich auch die Straße mehr und mehr der sich zuspitzenden Landmasse an, wird noch enger, noch kurvenreicher und stimmt so richtig auf das Kapp ein. Und dieses entpuppt sich als ein wildes Stückchen Erde mit Felsen, an denen das anstürmende Meer einige Meter nach oben springt, spielerisch leicht oder mit aufgetürmten Wellen voller Urgewalt in der Brandung, einer wilden Bucht und Regenwald. Es sind Bäume ohne Himmel. Hunderte von Jahren alt und unberührt, doch für diese Schönheit hatte mein Reiseführer kein einiges Wort übrig. Natürlich hatte ich Vorstellungen von einem Kapp, denn ich hatte schon an einigen gestanden, darunter auch an den gewaltigen Felsen die sich Nordkap, Cape Reinga (Neuseeland) nennen oder an dem, das Gute Hoffnung verspricht. Es waren nicht nur hier alles beeindruckende Momente, die das Spiel des Meeres zu ihren Füßen bot, sondern fast immer auch schon die Wege zu ihnen. So in Südafrika, wo der alte Pfad zum Cape of Good Hope über Holzstege führt, auf denen Paviane die Vorfahrt haben, und der sich abgeschieden und still durch Tausende von blühenden Proteabüschen windet und auf dieses „Ende der Welt“ einstimmt. Während der Blick oben am Kreuz die Gedanken animiert, sich zu verlieren, lädt die kleine, über Holzteppen linkerhand zu erreichende romantische Sandbucht ein, die afrikanische Sonne zu genießen und gleichzeitig die Urgewalt des anrennenden Meeres aus sicherer Entfernung zu beobachten. Aber hier am Cape Flattery war es auch sehr schön, nur ganz anders. Zu diesem wilden Regenwald und den rauen, trotzenden dunklen Klippen passen Regen, diesige Sicht, eine steife Brise und der aufgepeitschte Ozean auch viel besser, als Sonnenschein. Und weil das so ist möchte ich jetzt auch noch gar nicht weiterfahren, sondern bleiben, schweigen, und den Akzenten, die diese Natur hier setzt, nur lauschen. Auch, oder gerade weil es regnet und der Wind gewaltig pfeift.

      Die 117 Kilometer, die dieses Kapp von den gestrigen „Hot Springs“ entfernt ist, haben sich gelohnt, denn die gesamte Fahrt, auf der uns fast nur schwer beladene Holzlaster begegneten, war eine sehr schöne und ein kurzer Halt in Calham Bay interessant. Diese kleinen ärmlichen Anwesen im Indianerreservat sind keine Idylle, sondern vermitteln das Gefühl, dass diese Bewohner in der modernen Welt noch immer nicht angekommen sind. Ein absoluter Treffer war allerdings der Räucherlachs, denn hinter einer unscheinbaren Verkaufswerbung verbarg sich allerbeste Qualität. Der „Laden“, in den wir stiefeln, sah allerdings gar nicht danach aus. Er war duster, klein und eng, unaufgeräumt und schien mehreren Funktionen zu dienen. In der Mitte des niedrigen Schuppens entwich einem uralten Räucherofen Wärme, die heute gar nicht so unangebracht war. Gleich daneben eine abgewetzte „Theke“ mit einem schwarzen überdimensionalem Topf mit Deckel und ein dickes, rustikales Schneidebrett, das auch nicht mehr zur neueren Sorte seiner Art gehörte. Dennoch roch es in diesem Raum recht gut, und aus der Gesamtkreation ließ sich auf Anhieb nur „Zedernholz“ diagnostizieren. Und eigentlich wollten wir auch gar keinen geräucherten Lachs kaufen, sondern einen fangfrischen für den Grill. Fangfrisch war die im großen Holzbottich gelagerte Ware auch, aber diese Lachse waren riesig und „so“ auch gar nicht zu verkaufen. Es war lediglich der Nachschub für den Räucherofen des dicken, großen Indianers, der mit Wolljacke, buntem Karohemd, Mütze, abgewetzten Jeans und Gummistiefeln unrasiert hinter seinem Ladentisch stand, mit dem rechten Zeigefinger kurz auf den riesigen Topf vor ihm tippte und anfügte „just smooked“. Fast gleichzeitig hob er mit der linken Hand den Deckel an, stach mit einem langen spitzen Messer in den Topf, schnitt von dem aufgespießten Stück Fisch auf dem Holzbrett zwei Scheibchen ab, stach diese mit dem langen Messer wieder an und streckte sie uns wortlos entgegen. Das erste Stück in Richtung Sabine, mit dem zweiten zielte er auf mich. Warmer, geräucherter Lachs, der erst kurz vorher den alten Ofen verlassen hatte und mit einem Geschmack, den ich bisher noch niemals auf der Zunge hatte.

       Hoh Rain Forest, Regenwald an der Küste Washingtons

      Der Preis war allerdings so saftig wie dieses Produkt, zwanzig Dollar für unser Kilo! Im Supermarkt gibt es dafür drei ordentliche Burschen, auch fangfrisch. Dennoch, was der Mann uns hier an „Qualität“ einpackte, war eine Besonderheit und damit ihren Preis wert. Sofort klar war auch, dass zu dieser Köstlichkeit ein „guter Weißer“ gehört, auch wenn ein solcher in Nordamerika viel zu teuer ist.

      Wieder auf der „101“ und vorbei am Lake Pleasant, lockt kurz vor Forks die La Push Road über knappe zwanzig Kilometer zur Küste. Im 350-Seelendorf La Push haben die Quileute-Indianer schon seit über eintausend Jahren ihre Heimat, doch versprechen auch wildromantische Küstenabschnitte und die bis zu fünfzig Meter hohe Felseninsel James Island in der Wetterecke Amerikas ein fotogenes Panorama. Der alte Name des Ortes, den französische Pelzhändler hinterließen, blieb erhalten, die alten Häuser der Indianer, die heute von Fisch, Holz und Tourismus leben, nicht, 1889 wurden alle 26 ein Opfer der Flammen. Nördlich gegenüber, am Rialto Beach, haben Winterstürme gewaltige Mengen Treibholz aufgeschichtet, während der südliche „First Beach“ mit Hotel auch Surfer und, im Winter, Sturmbeobachter anzieht. Nach einem Spaziergang und einem größeren Lebensmitteleinkauf in Forks verlassen wir die „101“ erneut und folgen den etwa dreißig Kilometern der Upper Hoh Road in den Hoh Rain Forest, einem unserer wichtigsten Ziele in der Olympic Wilderness. Und hier, wo die Straße am kleinen Visitor Center endet, Trails und Rundwege starten und nur grün gefiltertes Licht durch das Blätterdach auf den feuchten Boden dringt, werden wir heute auch übernachten, um morgen auf einem Trail für ihn Zeit zu haben.

      Dieser Hoh Rain Forest an der Westseite des Olympic National Parks gilt als eines der besten Beispiele des gemäßigten Regenwaldes in Amerika, gehört zu dem Gürtel des Pazifischen Nordwest-Regenwaldes, der einst die Küste von Südostalaska bis zur zentralen Küste Kaliforniens bedeckte, und hier präsentiert er sich noch in seiner fast unberührten Ursprünglichkeit. Drei bis vier Meter jährlicher Niederschlag lässt Grün in allen Schattierungen zur Hauptfarbe werden und neben Farnen auch Moose und Flechten wuchern, die sich teppichartig ausbreiten. Die alten Baumriesen verzaubern und ordnen dem Regenwald eine weitere Dimension hinzu. Vierhundert Jahre alte Wurzeln keilen sich hier in die Erde, und was stirbt bleibt liegen. Aus ihm wird neues Leben entstehen, neue Triebe oder Pilze, die vom mürben Holz leben. Dieser „Zauberwald“ mit gewaltigen Western Hemlock- und Douglastannen, erhabenen Sitka-Fichten und den dick bemoosten großblättrigen Ahorns ist einer der beliebtesten Orte im Park, von dem auch wir begeistert sind. Wir haben uns in dieser urig-schönen Umgebung unter einer riesigen Zeder einrangiert und genießen, während es draußen leicht zu regnen beginnt nach einem kurzen Bummel über den großzügigen Campingplatz, der entlang des Flusses im alten Wald 88 Standplätze anbietet, den Räucherlachs, dessen delikates Aroma den Gaumen richtig verwöhnt. Erfreulich ist auch ein Beitrag im „Olympic National Park Summer Newspaper 2010“ der darüber informiert, dass die beiden Dämme Elwha (33 Meter hoch) und Glines Canyon (64m) im Elwha River, der westlich von Port Angeles in die Strait of Juan De Furca mündet, entfernt werden, damit die Lachse wieder in sein 110 Kilometer langes Einzugsgebiet schwimmen können. Als die beiden Dämme in den zeitigen 1900er Jahren errichtet wurden, spielten sie in der gesamten Region eine wichtige Entwicklungsrolle, auf die man nun verzichten will oder kann. Der Elwha ist einer der wenigen Flüsse im heutigen Pazifischen Nordwesten, in den alle fünf Arten der Pazifischen Lachse zum laichen zurückkehren, doch statt der 400.000, die vor dem Bau den Fluss jährlich hinaufschwammen, waren es danach nur noch 4.000, und deren Weg war bereits nach acht Kilometern zu Ende. Nach jahrelangen Planungen und Vorbereitungen wurde 2010 der „letzten Damm-Sommer“ gefeiert und im September 2011 mit