dieser Burg mit zweihundert erfahrenen Soldaten. Wir sichern den Norden vor den Ungarn. Sollte ihr Heer im Frühjahr hier eindringen, werden wir sie am Fuße der Berge schlagen.“ Wieder unterbricht ihn das Trommeln, zustimmende Schreie aus rauen Männerkehlen künden vom Siegeswillen.
„Euch aber“, setzt der Kommandant fort, „brauchen wir als Bauern und für den Transport. Ihr sollt uns versorgen und den Ausbau der Verteidigungsanlagen unterstützen. Wenn die Ungarn einfallen, werden eure Männer an unserer Seite kämpfen, sie werden dem Heerbann folgen müssen.“ Den letzten Satz hat er eindringlich an die Frauen gerichtet, die darob ein wenig nachdenklich und auch bedrückt dreinschauen. Der Kommandant räuspert sich und beschließt seine Ansprache:
„Liebe Freunde, wir, Hauptmann Siegmund, stehen im Dienste unseres Königs. Morgen werdet ihr sehen, wo ihr eure Höfe errichten sollt. Heute wollen wir eure lang ersehnte Ankunft gebührend feiern. Da es schon spät ist, müsst ihr diese Nacht noch einmal auf euren Wagen schlafen.“ Wie auf ein Zeichen schleppen nun ein paar Männer schwere Kübel mit Suppe herbei, stellen Körbe voll Brot dazu und holen Wein und Wasser. Hauptmann Siegmund hebt seinen Becher und gibt mit einer Geste seinen Gästen Bescheid:
„Auf euer und unser Wohl, auf die neue Heimat und auf das Gelingen all dessen, was wir uns vorgenommen haben.“ Der Spruch findet lautstark Beifall und gleich darauf ist nur noch das genüssliche Schmatzen und Schlürfen der Hungrigen zu vernehmen.
Als die Schüsseln geleert sind, erhebt sich Hildebrand von der Bank.
„Habt Dank für die herzliche Begrüßung und das wunderbare Essen, Hauptmann Siegmund. Mich nennt man Hildebrand und meine Aufgabe war es, zwölf Familien hierher zu führen. Mein Dank gilt Gott dem Allmächtigen und auch den wackeren Männern und den braven Weibern, die mit mir waren, durch ihren Tatwillen konnten wir die Fahrt ohne Tücken meistern. Nun wollen wir Euch zur Seite stehen, aber – wir sind Bauern! Wenn es Not tut, werden wir in Euren Reihen kämpfen, doch sorgen wir uns lieber um Euer leibliches Wohl. Aber wie soll das vonstatten gehen? Wir müssen vorderhand Felder in dieser Wildnis anlegen, erst nach dem Winter können wir säen, um schließlich im Herbst des nächsten Jahres die Ernte einzuholen. Bis dahin müsst Ihr euch schon selbst beköstigen! Man hätte besser daran getan, an unserer statt Getreide zu schicken und Schlachtvieh. Wir haben nur Saatgut dabei, und unsere Ochsen, die wir zum Pflügen brauchen. Nur ein wenig Getreide ist dem Verzehr vorbehalten. So vertrauen wir auf Euren Beistand.“ Der Hauptmann nickt wissend und winkt dann ab.
„Daran ist gedacht. Unser König tut nichts unüberlegt! Dieser Wald ist reich an Wild und wird uns bis zur ersten Ernte ernähren, denn kein Treck wird bis zum nächsten Jahr zu uns gelangen. Sobald der Winter vorbei ist, werden die ersten Kundschafter der Ungarn kommen, vor denen wir uns verbergen werden. Erst wenn ihr Heer bis hierher vordringt, werden wir wie die wahren Erdgeister plötzlich auf sie einfallen und ihnen die Schädel spalten. Deshalb die missliche Jahreszeit für euren Neubeginn hier, nämlich sind bis zum Frühjahr die Spuren eurer Gefährte getilgt.“ Hildebrand lächelt bewundernd:
„Das habt Ihr Euch gut ausgedacht. – Doch wenn wir mit den Sorben aneinandergeraten? Der Alte, der uns als erster hier empfing, erwähnte König Karl als unseren Herrn. Wenn es den auch lange nicht mehr gibt, so hat er doch vor hundert Jahren die Sorben empfindlich getroffen. Es muss sehr grausam zugegangen sein, die Sorben berichten noch heute davon, und wenn sie es nicht vergessen, werden sie es auch nicht vergeben können und Grimm gegen uns hegen. Ob sie uns dulden, weil wir Bauern sind? Wo dies ihr angestammtes Land ist?“ Reinhold, der die ganze Zeit still gesessen und gelauscht hat, nimmt den Arm von der Schulter seiner Frau und wendet ein:
„Was heißt denn ‚angestammtes Land‘, Hildebrand? Für den Norden, wo der Wald endet, mag das stimmen. Aber hier in der Wildnis gibt es nur wenig Flecken, an denen Siedler sesshaft wurden. Sie liegen verstreut, womöglich haben die Unseren hier vor langer Zeit gelebt und es lassen sich ein paar noch finden.“ Der Hauptmann richtet seinen Blick erstaunt auf Reinhold.
„Er scheint sich auszukennen, Bauer. Es stimmt, die Sorben leiden uns, weil sie so wenig sind und wir sie im Kampf stärken. Der alte Janko ist ihr Priester, er ist bald hundert Jahre alt und ebenso weise. Doch ist er so gewandt auf seine alten Tage, dass er es noch mit manchem Jungen aufnehmen kann. Als Bursche muss er ein Recke ohnegleichen gewesen sein.“ Hildebrand drängt sich ein Vergleich mit Hildburga auf.
„Vielleicht hat er die Kämpfe damals nicht selbst erlebt. Auch bei uns gibt es Familien, in denen die Geschichte lebendig gehalten wird.“ Und leise an Reinhold gewandt: „Wo ist Mutter Hildburga, geht es ihr wieder besser?“ Bevor er antworten kann, ergreift Gunhild das Wort:
„Sie liegt auf dem Wagen und schläft. Wiprecht hat nach ihr gesehen, sie fiebert noch immer. Er hat die heißen Steine ausgetauscht und ihr Suppe gegeben. Morgen wird es ihr sicher besser gehen.“ Den Hauptmann interessiert der Grund der Besorgnis und Gunhild stellt ihm geschwind Hildburgas Rolle in der Gemeinschaft und ihre plötzliche Erkrankung dar. Er wiegt nachdenklich den Kopf und murmelt:
„Augenscheinlich eine Schwester Jankos im Geiste. Er wird sie sicher heilen. Wenn nicht Bruder Hieronymus dazwischenkommt, lasse ich morgen nach dem Priester schicken.“ Erstaunt hebt Hildebrand den Blick:
„Was denn, es gibt noch keinen christlichen Ort hier aber schon Priester unserer heiligen Mutter Kirche? Predigen sie den Bäumen und wilden Tieren im Walde, oder laufen sie den Sorben hinterher?“ Der Hauptmann schmunzelt.
„Jetzt ist es an der Zeit, sich zur Ruhe zu legen.“ Damit ist die Tafel aufgehoben und die müden Ankömmlinge klettern auf ihre Wagen, um sich von ihrer langen Reise zu erholen.
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