José R. Brunó

El Raval


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erschrocken, dass er am liebsten gleich wieder gegangen wäre. Er brauchte eine Weile, um mit seinem Anliegen fortzufahren. Der unfreundliche Polizist schaute ungläubig und übergab Pep einen Zettel, auf dem er die Zimmernummer und den Namen eines Kollegen gekritzelt hatte.

      »Erste Etage, Zimmer 109 bei Comisario Lopez«, sagte der Beamte kurz und bestimmend und schob eine Art Gästebuch über den Schreibtisch, in das sich jeder Besucher eintragen musste.

      Pep ging etwas ängstlich die breite Treppe mit dem reichlich verzierten Geländer hinauf, um ins erste Obergeschoss zu gelangen.

      Als er an die Tür des Zimmers 109 klopfte, kam aus dem Raum hinter der Tür ein lautes Adelante. Pep bemerkte, dass seine Knie zu zittern begannen, als er das Büro des Comisario Lopez betrat. Ein riesiger Raum, der außer ein paar Sitzmöbeln und einigen Regalen an der Wand sehr spärlich eingerichtet war. Peps flüchtiger Blick fiel auf die Berge von Akten, die auf dem Schreibtisch lagen. Hier herrschte ein Chaos, das man nicht übersehen konnte. Der uniformierte Beamte schaute fragend durch die Aktenberge. Auf dem Schreibtisch stand ein großer Aschenbecher, der so voll mit Zigarettenstummeln war, dass die Asche bereits über einige Teile des Schreibtisches verstreut lag.

      Pep stellte sich vor und begann, sein Anliegen vorzutragen.

      Comisario Lopez, ein großer kräftiger Mann mit graumeliertem Haar schaute sein Gegenüber nachdenklich an und erhob sich langsam aus seinem klapprigen Bürostuhl. Lopez trug eine braune Uniform, die mit einigen Auszeichnungen versehen war. Er bemusterte den Zigeunerjungen von oben bis unten und begann nun endlich zu sprechen.

      »Woher kommst du, José Maria Cardona?«, frage er.

      »Ich bin aus Barcelona und wohne in der Carrer Sant Fernando«, antworte Pep höflich.

      Lopez drehte sich herum und schaute auf den an der Wand hängenden Stadtplan von Barcelona. Ein aussichtsloses Unterfangen. Er schien in dem Wust der Straßen, die auf dem Plan verzeichnet waren, die Carrer Sant Fernando nicht zu finden.

      »San Fernando? Wo ist das?«

      »In El Raval«, entgegnete Pep.

      Der Comisario schaute verwundert über seine Brille, die er auf der Nasenspitze trug.

      »Aha, und du willst dich bei der Policia Nacional bewerben? Ganz schön mutig, mein Freund.«

      Lopez war es gewohnt, Leute aus diesem Viertel auf andere Weise kennenzulernen und plötzlich stand ein junger Zigeuner vor ihm und wollte sich bei der Polizei bewerben. Das bekam er im ersten Moment nicht auf die Reihe.

      »Hast du Vorstrafen?«

      »Nein«, entgegnete Pep entrüstet. Obwohl die Frage nicht unberechtigt war. So einfach war es nicht für einen Jungen aus El Raval, ohne Vorstrafen auszukommen.

      »Was kannst du sonst noch, José Maria Cardona?«

      Lopez war neugierig geworden. Überhaupt schien sich die Laune des Comisario Lopez jetzt etwas gebessert zu haben.

      Pep erzählte kurz und knapp, dass er soeben seine Militärzeit absolviert habe und sein Abitur mit einem Notendurchschnitt von 8,5 bestanden hatte.

      Lopez schien beeindruckt und lächelte das erste Mal. Ein kleiner Funke Sympathie schien bei ihm übergesprungen zu sein. Der Polizeikommissar schob nachdenklich seine Brille mit dem rechten Zeigefinger auf dem Nasenrücken hin und her, bevor er fortfuhr.

      »Um ehrlich zu sein, José, ich finde deine Bewerbung ausgesprochen mutig und ich möchte deine Unterlagen bis Ende der nächsten Woche auf meinem Tisch haben, dann werden wir mal sehen, was wir mit dir machen. Ist das okay für dich?«

      Lopez legte einige Formulare auf den Schreibtisch, die es auszufüllen galt.

      »Du bringst mir deinen Lebenslauf, dein Zeugnis und die Beurteilung aus deiner Militärzeit mit, ist das klar?«, sagte er einem Befehlston. »Du solltest dich beeilen, bald beginnen die Lehrgänge«, fügte Lopez hinzu und reichte Pep lächelnd die Hand.

      Aus dem alten Griesgram, der eben noch so abweisend auf Pep gewirkt hatte, war ein freundlicher Herr geworden.

      Die Verabschiedung war herzlich und Pep versäumte es nicht, sich mit einem freundlichen »encantado de conocerle, es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen«, zu verabschieden.

      In den nächsten Tagen hatte Pep es eilig, die von Lopez geforderten Unterlagen zusammenzutragen. Sämtliche Papiere mussten in Original sowie in Kopie vorgelegt werden.

      Pep versuchte, eine Kopieranstalt ausfindig zu machen, um seine zusammengetragenen Werke kopieren zu lassen. Schließlich fand er einen schäbigen Laden an der Plaza Catalunya, der von außen seine Dienste als Copisteria anbot. Die Kopien waren grausam und man konnte auf den Fotos, die Pep auf die Bewerbungsunterlagen geklebt hatte, kein Gesicht erkennen. Ihm war es egal, es wurde so verlangt und da waren ja noch die Originale.

      Die erste Hürde war genommen, die Scheu war abgelegt und nun wollte er auch wissen, wie die Sache ausging. Pep hatte sich beeilt und begab sich bereits Anfang der Woche wieder in die Via Laietana, um die Unterlagen zu überbringen.

      Der Polizist, der an diesem Tag in der großen Halle hinter dem kleinen Schreibtisch saß, war ein freundlicher junger Beamter, der Pep lächelnd mit einem »buenos días« begrüßte.

      »Ich habe hier Unterlagen für Señor Lopez, die ich ihm persönlich übergeben muss. Er hat bei meinem letzten Besuch darauf bestanden, die Unterlagen selbst entgegenzunehmen«, sagte Pep.

      »Der Comisario ist gerade außer Haus, aber er ist gleich wieder da », erwiderte der Polizist. Es war nicht außergewöhnlich, dass jemand seinen Arbeitsplatz verließ, um in einer nahegelegenen Cafeteria einen Kaffee zu trinken. Dieser Vorgang wiederholte sich in der Regel mehrmals täglich und wurde von allen Leuten praktiziert, ganz gleich welcher Berufsgruppe. Der Kaffee war wichtig und gerade bei der Polizei war nichts so eilig, dass man auf die Pausen hätte verzichten können.

      Pep musste nicht lange warten. Er wollte sich gerade auf eine alte Holzbank setzen, als der Kommissar die große Eingangshalle betrat. Lopez entdeckte ihn sofort und kam lächelnd auf ihn zu. Mit einem »Hola José« begrüßte er Pep, der schüchtern seine mitgebrachten Unterlagen in den Händen hielt.

      Lopez machte eine kurz Handbewegung, die ihn zum Mitkommen aufforderte.

      Der Kommissar war eher der bequemere Typ, der nicht gerne die breite Treppe nahm, um in sein Büro in die erste Etage zu gelangen. Er ging auf den alten Aufzug zu, der sich in der Ecke der großen Halle befand. Pep benutzte diese Fahrstühle mit gemischten Gefühlen und nur im äußersten Notfall. Zu oft gab es Stromausfälle und dann steckte man manchmal stundenlang in diesen Aufzügen fest.

      Dieser Paternoster war sicherlich so alt wie das Gebäude und noch aus dem vorherigen Jahrhundert. Man konnte, während sich der Korb ächzend nach oben bewegte, hinaus schauen und sehen, wer auf den Treppen nach unten ging.

      Auf der ersten Etage angekommen gingen sie auf das Zimmer 109 zu, welches sich direkt gegenüber dem Aufzug befand. Lopez zog langsam einen Schlüsselbund aus seiner Hosentasche und schloss die Bürotür auf.

      Der junge José war verwundert, dass selbst die Polizei ihre Türen verschließt. »Wer sollte wohl wagen, hier etwas zu klauen«, dachte Pep.

      »Komm«, sagte er und forderte Pep auf, einzutreten.

      Lopez setzte sich in seinen verschlissenen Schreibtischsessel und betrachtete die mitgebrachten Unterlagen. Er hatte einige Minuten damit verbracht, sich den Lebenslauf und seine Zeugnisse anzusehen.

      Lopez nickte nachdenklich mit dem Kopf, bevor er sich erhob und Pep eine Weile anschaute.

      »José, du solltest mir jetzt noch ein Certificado Medico, ein Gesundheitszeugnis vorbeibringen und dann wirst du in den nächsten Tagen von mir hören.«

      »Bedeutet das, Sie nehmen mich, Comisario?«

      »Noch bedeutet das gar nichts, mein Freund, und jetzt raus, du hörst von mir«, sagte Lopez lächelnd.

      Pep