Gunnar Kunz

Krähen über Niflungenland


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es doch, den Ruhm seines neuen Herrn zu mehren.

      Mit dem genossenen Alkohol nahm der Lärm in der Halle zu. Da die Trinkhörner keine Standflächen besaßen, waren die Krieger gezwungen, sie ununterbrochen kreisen zu lassen oder in einem Zug zu leeren, ein Zwang, der manchem gelegen kam. Ansgar, ein großmäuliger, aber allseits geschätzter Gefolgsmann Gunters, war schon jetzt sturzbetrunken. Er lallte ein Lied und grölte nach Volker, dem Skopen, der ebenso unbekümmert vom anderen Ende der Halle zurückbrüllte, dass er zu singen bereit sei, sobald Ansgar sein Gekrächze aufgebe. Die Umsitzenden amüsierten sich über den Schlagabtausch.

      Während Grimhild Wein einschenkte und sich hie und da auf ein paar Scherzworte oder eine Unterhaltung einließ, kehrte allmählich ihre Sehschärfe zurück. Immer wieder suchten ihre Augen den blonden Sachsen. Seine Unbeschwertheit hob ihn unter allen Anwesenden hervor. Die meisten Krieger konnten ihre Wachsamkeit auch bei einem Gelage nie vergessen, nicht so Sigfrid. Er genoss den Frohsinn des Augenblicks wie kein zweiter und strahlte eine Entspanntheit aus, die dafür sorgte, dass sich jedermann in seiner Nähe wohlfühlte. Und dann waren da noch seine Augen …

      Grimhild hörte ihn über irgendeinen Scherz lachen, laut und unmelodisch, und doch traf sie dieses Lachen mitten ins Zentrum wie ein Albstich. Sie wünschte, er würde hersehen, aber er unterhielt sich angeregt mit Gunter. Warum ließ er nicht von Zeit zu Zeit seine Blicke zu ihr gleiten wie andere Männer? Ob sein Desinteresse nur vorgetäuscht war? Grimhild beschloss, es herauszufinden. »Darf ich Euch Wein nachschenken, frō Sigfrid?«

      »Gern. Habt Dank für Eure Güte, frūa

      Sein sächsischer Akzent gefiel ihr. »Es bereitet mir Freude, Euch zu dienen«, kokettierte sie und atmete tief ein, als sie sich vorbeugte. Sie wusste, welch reizvolles Bild sie damit bot. »Ist der Wein zu Eurer Zufriedenheit?«

      »Er ist das Beste, was ich seit langem zu kosten bekam.« Sigfrid dankte ihr artig und wandte sich wieder dem Gespräch mit ihren Brüdern zu.

      Sein Betragen war tadellos, es gab nichts daran auszusetzen. Aber es war offenkundig, dass ihm ihre Reize nichts bedeuteten. Warum wirkte ihr Zauber nicht bei ihm?

      Volker hatte derweil seine Hände in einer Wasserschale gesäubert, die fünfsaitige lyra mit den geschwungenen Jocharmen ergriffen und zupfte nun ein paar Töne. Eckewart, der auf dem linken Ohr mehr oder weniger taub war, legte den Kopf schräg, um besser zuhören zu können. Die Gespräche verstummten.

      »Einst war die Zeit,

      da Ymir lebte.

      Nicht war Stein noch Wellen

      noch Baum und Strauch.

      Nicht Grund unten

      noch Sterne oben.

      Leblose Leere,

      und überall Stille.«

      So sang der Skop, und seine Stimme erfüllte die Halle. Volker war ein Meister seiner Zunft. Er besaß Wodans Gabe, die Gabe der Dichtkunst. Seine Stimme war weich und voll wie Honig und rührte die Herzen der Zuhörer. Vor ihren Augen und Ohren erstanden Walhall und Hel, Helden und Dämonen. Volker sang von fernen Zeiten, als die Welt aus dem Körper des Riesen Ymir erschaffen wurde, und dann sang er vom Tod des Gottes Balder und von seinem Vater Wodan, der dem Leichnam seines Sohnes eine Rune ins Ohr flüsterte, das Geheimnis aller Geheimnisse.

      Lange war es still, als er schließlich endete. »Es liegt Macht in deinen Worten«, brach Gunter das Schweigen. »Du kannst Bilder der Seele heraufbeschwören und tapfere Männer weinen machen.« Er zog einen kostbaren Ring vom Finger und warf ihn dem Skopen zu, der ihn geschickt auffing. »Nimm dies als Lohn für deine Kunst.«

      Volker verneigte sich dankbar und schlug einen neuen Ton an. Den Gästen zu Ehren sang er von der Landung der Nordmänner in Haduloha, vom Kampf um den Hafen und der folgenden Zeit des Handels mit den Einheimischen. Seine Stimme veränderte sich mit der Stimmung, die er beschrieb, sie wurde bitter, wenn er von Enttäuschung sang, und schwermütig angesichts eines harten Schicksals, doch immer behielt sie ihre Klarheit. Dann schlich sich ein listiger Tonfall ein, als er erzählte, wie ein Nordmann Goldschmuck an die Einheimischen verteilte im Austausch für etwas Erde, die er in seinem Rockschoß forttrug. Die Zuhörer wurden Zeuge, wie die Nordmänner die getauschte Erde dünn über die Äcker streuten, um dann Anspruch auf das damit bedeckte Land zu erheben, und nickten einander zu. Tiefe Wahrheit lag in Volkers Worten, denn die Einheimischen hatten das Heil und die Seele der Erde fortgegeben. Ja, das war erdmegin, von solcher Macht war die Kraft der Erde!

      Sigfrid war den Tränen nahe. Der Gesang des Skopen wühlte ihn auf. Plötzlich meinte er, das Meer zu riechen. Obwohl die Sachsen seit langem sesshaft waren, floss noch immer das Blut von Nordmännern in seinen Adern. So ergriffen war er von Volkers Worten, dass es eine Weile dauerte, bis er entdeckte, dass der Sänger geendet hatte. Bewegt zog er ein edelsteinbesetztes Amulett aus einem Beutel und warf es ihm zu. »Ich will hinter König Gunters Freigebigkeit nicht zurückstehen«, sagte er. »Euer Gesang ist wahrlich eines Königs würdig.«

      Volker bedankte sich und beendete seine Darbietung.

      Ansgar boxte ihm in die Seite. »Nicht übel für einen Schönling«, grinste er.

      Die Unterhaltungen, die während des Vortrags unterbrochen worden waren, setzten wieder ein. Grimhild näherte sich Sigfrid von neuem, um ihm einzuschenken.

      »Wollt Ihr mich betrunken machen, frūa?«, lachte er.

      Seine Hand streifte ihren Arm, als er ihr das stechal entzog, und ein weiterer Stich traf sie, diesmal in der Lendengegend. Verzweifelt suchte sie nach einer Möglichkeit, eine Unterhaltung mit ihm zu beginnen, doch er hatte sich bereits wieder umgedreht, um sein Gespräch mit Gunter fortzusetzen. Grimhild kochte vor Zorn. Sie war es nicht gewohnt, derart beiläufig behandelt zu werden. Wütend drehte sie sich um und stürmte aus der Halle.

      Sigfrid bekam ihren Abgang gar nicht mit. Seine Gedanken waren weder bei ihr noch bei dem, was ihr Bruder ihm gerade erzählte, sondern daheim. Nachdem er den letzten Auftrag seines ehemaligen Gefolgsherrn ausgeführt hatte, war er nun frei, nach Tarlungenland zurückzukehren. Er hatte gelernt, was ein Krieger lernen musste, und sich eigenen Ruhm erworben. Seine Sippe würde ihn mit offenen Armen empfangen. Er konnte es kaum erwarten, mit den Seinen am Feuer beisammenzusitzen, sich am Frieden zu erwärmen und von der Kraft des Sippengefühls zu trinken. Und um Brünhild zu freien, dachte er bei sich, und ein süßer Schmerz schnürte ihm die Brust zu. Die Svawenkönigin war die streitbarste Frau, die er je getroffen hatte, aber ihr nachtdunkles Haar war wie Seide, und in ihren Augen loderte ein Feuer, das jeden Winter fernhielt. Mit ihr zu streiten barg größere Leidenschaft als anderer Leute Liebesgeflüster. Sie war die eine, mit deren Seele er unauflöslich verbunden war.

      Über seine Gedanken waren ihm Gunters letzte Worte entgangen. »Was habt Ihr gesagt?«, erkundigte er sich.

      »Ich sagte: Warum erholt Ihr Euch nicht eine Weile, ehe Ihr Euch auf die weite Heimreise macht? Ihr seid herzlich eingeladen, Mittsommer mit uns zu feiern.«

      Sigfrid wollte Gunter nicht vor den Kopf stoßen, und ihre Pferde konnten Ruhe gebrauchen, deshalb sagte er: »Bis zum Fest können wir nicht bleiben, aber für ein paar Nächte nehmen wir Eure Gastfreundschaft gern an.«

      Er konnte nicht ahnen, wie folgenschwer diese Entscheidung sein sollte.

      3.

      Es war ein herrlicher Morgen. Die Sonne schien in die hintersten Ecken der Räume, als wollte sie alles, was atmete, ins Freie locken. Irmgard blickte sehnsüchtig aus dem Fenster, während sie die Haare ihrer Herrin in einer louga aus Ziegenfett und Buchenasche bleichte. Sie tat diese Arbeit gern, es machte ihr Freude, die Finger durch Grimhilds vollen Haarschopf laufen zu lassen. Ein Lied vor sich hinsummend seifte und spülte sie und massierte dabei die Kopfhaut der Niflunge.

      »Hör endlich mit dem Geplärre auf!«, fuhr Grimhild sie an.

      Erschrocken verstummte Irmgard. Sie kannte ihre Herrin;